KNA: In der Theatinerkirche, wie das Gotteshaus auch genannt wird, leiten Sie zwei Chöre und das Orchester, dessen Mitglieder unter anderem aus den Meisterklassen der Hochschule für Musik und Theater München stammen. Über 60 Produktionen bringen Sie jährlich in der berühmten Theatinerkirche zur Aufführung. Wie sah es 2020 und wie sieht es aktuell aus?
Pater Robert Mehlhart (Chordirektor und Kirchenmusiker der Münchner Hof- und Stiftskirche Sankt Kajetan): In der Liturgie konnte immer Musik ertönen, zumindest durch die Orgel. Bei den Chören war es schwieriger. Noch bis Februar 2020 konnten wir unser geplantes Programm aufführen. Dann kam der erste Lockdown und in der Kirche blieb es stumm, auch öffentliche Gottesdienste fanden bis Mai nicht statt. Wir als Dominikaner haben aber als Hausgemeinschaft unser Gebet und den Choral weiter gesungen.
Ab Juni durften dann die Profis wieder ran, ohne Probe versteht sich. Aber die können vom Blatt singen.
KNA: Wie viele Sänger waren im Einsatz?
Mehlhart: Anfangs waren es nur vier Solisten. Als über den Sommer die Infektionszahlen zurückgingen, durfte eine Schola von zehn Leuten singen. Kein großer Chor, aber für unser Repertoire, das vor allem aus Renaissancemusik und gregorianischem Choral besteht, funktionierte es. Auch kleinere Werke, die frühe d-Moll-Messe von Mozart oder die Ursulinenmesse, die er als 12/13-Jähriger geschrieben hat, waren aufführbar. Deren Umfang ist überschaubar, es reichen zwei Violinen, ein Cello und Orgel sowie acht Sängerinnen und Sänger.
KNA: Haben Sie diese Messen neu entdeckt?
Mehlhart (lacht): So ist es. Durch die Pandemie bin ich auf diese Werke gestoßen, die als coronatauglich eingestuft werden können.
Neben den frühen Messen von Mozart waren auch welche von Haydn darunter oder vom zeitgenössischen schottischen Komponisten James MacMillan. Ich selber habe sogar eine geschrieben: die "Missa in tempore coronae" (Messe in Zeiten von Corona) für Orgel und Sopran-Solo. Die habe ich für die Sopranistin Verena Maria Schmid komponiert.
KNA: Was haben Sie sich dafür einfallen lassen?
Mehlhart: Es ist eine ruhige, innige Messe, die die Leute beim Gebet begleiten soll. Verena Maria Schmid hat in ihrer Stimme so einen wunderbaren Übergang vom F zum G. Da gehen wahnsinnig viele Obertöne auf, das wollte ich hörbar machen. Die Messe ist eine Frucht der äußeren Umstände, kurz, knapp und linear. Zudem soll sie den Zuhörenden Mut machen.
KNA: Unterricht, Konferenzen - vieles ist in der Pandemie in digitale Räume verlegt worden. Geht das auch mit Musizieren?
Mehlhart: Die Theorie lässt sich gut über Zoom machen. Geht es ums Künstlerische, wird es schwierig. Gemeinsam Singen funktioniert überhaupt nicht, weil der Klang unterschiedlich ankommt. Deswegen müssen die Sänger, die alle die Noten vor sich haben, auf stumm schalten. Der Chorleiter kann vom Klavier oder Keyboard aus nur mit der jeweiligen Stimmgruppe üben. Die Sänger können mich hören und mitsingen. Daumen hoch heißt: Alles okay, wir können mit dem nächsten Takt weitermachen. Daumen gesenkt: bitte wiederholen. Dann kann man auf laut stellen und die Stelle besprechen.
KNA: Klingt nach einer kreativen Lösung.
Mehlhart: Na ja, mühsam ist das alles schon. Und es fehlt halt der soziale Kontext. Die Leute kommen ja nicht nur in die Probe zum Singen, sondern damit man sich trifft. Man erhält Abstand von der Arbeit und begibt sich in eine musikalische Umarmung. Außerdem bietet Musik auch einen spirituellen Ausdruck. Das fällt derzeit alles flach. Jeder bleibt zu Hause und singt im Trocknen sein Zeug.
KNA: Und die Motivation?
Mehlhart: Schwierig. Sonst probt man auf eine große Aufführung hin, um vor Publikum zu zeigen, was man über Monate geübt hat. Aber momentan weiß keiner, wann es wieder ein Konzert gibt. Da geht es uns in der Kirchenmusik nicht anders als allen anderen in der Kulturszene. Trotzdem: Wir bleiben dran.
KNA: Inwieweit haben Ihnen die Hygienekonzepte, die vom Allgemeinen Cäcilienverband (ACV) ausgearbeitet wurden, für Ihre Probenarbeit geholfen?
Mehlhart: Die waren eine große Hilfe. Für uns war es wichtig zu zeigen, dass Singen der gesündeste und sicherste Sport ist, den man haben kann. Im vergangenen halben Jahr wurde nicht bekannt, dass Chöre große Infektionsherde darstellen. Die Sicherheits- und Hygiene-Konzepte sollen zeigen, dass man sicher proben kann, wenn man sich an Regeln hält.
KNA: Manche orakeln schon vom großen Chorsterben. Teilen Sie diese Befürchtungen?
Mehlhart: Nein. Wie in vielen Bereichen wird es sicher Umwälzungen geben. Mancher, der schon länger aufhören wollte, wird sagen, dass sei jetzt der Moment. Aber bestimmt gibt es auch Leute, die das Singen im Chor vermissen und wiederkommen; auch das Erlebnis, etwa in der Theatinerkirche Aufführungen zu haben. Das wird eine große magnetische Wirkung haben. Da bin ich optimistisch.
KNA: Konnten Sie die durch ausgefallene Proben gewonnene Zeit anderweitig nutzen?
Mehlhart: Ich habe viel komponiert, meine Noten mit einer großen Excel-Datei archiviert und thematisch katalogisiert. Eine neue Homepage entstand, einen Youtube-Kanal habe ich mir angelegt und Artikel für Fachzeitschriften geschrieben.
KNA: Gibt es ein Werk, auf das Sie sich besonders freuen, wenn Sie es wieder aufführen können?
Mehlhart: Gerne würde ich endlich die C-Dur-Messe von Beethoven zur Aufführung bringen. Sie ist eine geniale musikalische Interpretation des Textes der Heiligen Messe, von der Beethoven selbst sagt, Sanftheit soll über diesem ganzen Werk liegen. Mit 20 Mitwirkenden im Chor, 4 Solisten und 20 Leuten im Orchester ist das zu machen.
Das Interview führte Barbara Just.