"Wir haben keine oder nur eine ungenügende Sprache für Missbrauch und Sexualität", sagt Christopher Haep, Internatsleiter des Bonner Jesuitengymnasiums Aloisiuskolleg, an dem es Fälle von Missbrauch gegeben hat. Haep war einer der Referenten bei der am Donnerstag beendeten Tagung "Sexueller Missbrauch in der Katholischen Kirche. Dabei stellen sich Vertreter von Betreuungsstellen, betroffenen Einrichtungen und der Wissenschaft gemeinsam mit Studenten die Frage, was sich in der theologischen Ausbildung ändern muss.
"Es ist dringend an der Zeit, die Sexualmoral der katholischen Kirche zu überdenken und in die heutige Zeit zu übersetzen", fordert Haep. Vor allem Institutionen wie das Aloisiuskolleg müssten sich Fragen hinsichtlich ihrer pädagogischen wie theologisch-spirituellen Konzeption stellen. "Hier ist es aus einem unguten Verständnis der theologischen Grundlage heraus zu eindeutigen Fehldefinitionen gekommen", kritisiert Haep. Erziehung sei vielfach mit Beziehung verwechselt, Arbeit mit Privatem vermischt worden. "Die Folge davon sind Grenzüberschreitungen", so Haep.
Auch für Ulrike Bowi, Psychologin an den Kliniken der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität, muss es in der Ausbildung von Theologen stärker um das Thema Nähe und Distanz gehen. Zwar sei die Arbeit, die Priester und Laien in der katholischen Kirche übernehmen, vielfach Beziehungsarbeit. "Trotzdem muss immer ganz klar sein, dass es ausschließlich um Arbeitsbeziehungen geht", betont sie. Es sei oft bereits problematisch, wenn ein Lehrer den Arm um einen Schüler lege. Natürlich gebe es immer Grenzfälle, aber "gerade deshalb muss sich jeder, der mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, um größtmögliche Transparenz bemühen". Zudem gehöre die Auseinandersetzung mit der eignen Sexualität in die Ausbildung von Theologen. "Das darf kein Tabuthema sein", fordert sie.
"Die Zeiten haben sich geändert"
Dass sich etwas ändern muss, davon sind vor allem die Studenten überzeugt. Tomasz Frankowski studiert im dritten Semester katholische Theologie - das Thema sexuelle Gewalt sei dabei bisher nicht zur Sprache gekommen. "Aber natürlich sollte das in unserer Ausbildung eine Rolle spielen", sagt Frankowski, der Priester werden will. "Schließlich werden wir später vielleicht auch in Leitungsfunktionen arbeiten und mit dem Thema konfrontiert sein." Die Studenten sind froh, dass die Uni das Thema aufgreift. "Wir müssen darüber reden, es darf kein Deckmantel des Schweigens aufgebaut werden", sagt Theologiestudent Max Krause. "Wir müssen Verhaltensweisen lernen, damit das nie wieder passieren kann."
Die Forderungen der angehenden Theologen richten sich jedoch nicht nur an die Lehre. "Auch die Kirche muss etwas tun", fordert Theologiestudentin Linda Schmitt-Thees. Die Sexualmoral der katholischen Kirche sei veraltet, "die Zeiten haben sich geändert". Man könne das Thema Sexualität und vor allem auch das Thema Homosexualität nicht mehr einfach wegschieben.
Beim kommissarischen Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät, Reinhold Boschki, stoßen die Studenten mit ihren Forderungen auf offene Ohren. "Uns ist ganz klar, dass wir die Konsequenzen aus den Missbrauchsfällen ziehen und uns mit dem Thema auseinandersetzen müssen", sagt der Professor. "Wir bilden schließlich die Leute aus, die später in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sind." Das Thema sexuelle Gewalt sollte in Kirche und Theologie offen angegangen werden. Denn auch die Theologie, so Boschki, habe zu einer offenen Gesprächskultur in der katholischen Kirche beizutragen.
Missbrauch als Herausforderung für die theologische Ausbildung
"Wir müssen die Konsequenzen ziehen"
Das Thema sexueller Missbrauch hat Deutschland über Monate beschäftigt - und doch ist dabei eines der größten Probleme die Sprachlosigkeit. Eine Tagung an der Bonner Universität nahm sich nun dem Thema an.
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