Die Generalstaatsanwältin des Bundesstaates New York, Barbara Underwood, redet nicht um den heißen Brei herum: Der Missbrauchsbericht der Grand Jury in Pennsylvania habe "unglaublich verkommene und irritierende Handlungen von katholischen Geistlichen ans Licht gebracht, die durch eine Kultur der Vertuschung und Geheimniskrämerei in den Bistümern begünstigt wurden".
So erklärte die New Yorker Chefanklägerin ihre Motivation, eigene Ermittlungen gegen die katholische Kirche einzuleiten, denn "die Opfer in New York verdienen ebenfalls Gehör zu finden". In Pennsylvania hatte der Bericht der Grand Jury den Missbrauch von mehr als 1.000 Kindern durch Hunderte von Priestern über Jahrzehnte dokumentiert.
Hotline, bei der sich Opfer melden können
Underwood fährt gleich schweres Geschütz auf - mit Vorladungen an alle acht in ihrem Bundesstaat ansässigen Bistümer. Ihre Behörde werde eng mit den lokalen Staatsanwaltschaften zusammenarbeiten und "alles in unserer Macht stehende tun, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen", kündigte sie an. Außerdem soll eine Hotline eingerichtet werden, bei der sich Opfer melden können.
Und wie reagiert die Kirche? Joseph Zwilling, der Sprecher des Erzbistums New York, dem Kardinal Timothy Dolan vorsteht, signalisiert volle Kooperationsbereitschaft: "Wir sind darauf eingestellt und wollen mit ihr bei der Untersuchung zusammenarbeiten."
Entschädigungszahlungen für 315 Opfer
Bisher fehlt es an einer systematischen Aufarbeitung sexueller Missbrauchsvorwürfe in dem Bundesstaat, der für die katholische Kirche der USA wegen seiner Größe und seines Reichtums eine zentrale Bedeutung hat. Lediglich im Rahmen eines freiwilligen Programms des Erzbistums New York gab es bisher Entschädigungszahlungen für 315 Opfer, die von Geistlichen missbraucht worden waren.
Im angrenzenden Bistum Brooklyn meldeten 250 Opfer Ansprüche auf Zahlungen an. In den vergangenen Monaten erschütterten zudem Berichte über einen Priester im Ruhestand die Gläubigen. Der Mann soll zwischen den 1960er und 1980er Jahren mehr als ein Dutzend Jungen missbraucht haben soll.
Im Bistum Buffalo gibt es Rücktrittsforderungen gegen Bischof Richard Malone, der aber den Vorwurf zurückwies, er habe nicht konsequent genug auf Informationen über Missbrauchsfälle reagiert. Im Bistum Albany wurde Bischof Edward Scharfenberger selbst aktiv und wandte sich mit der Bitte an den örtlichen Staatsanwalt, die Kirchenakten unter die Lupe zu nehmen.
Hohe Dunkelziffer vermutet
Experten wie Terence McKiernan von der Organisation "BishopAccountability.org" gehen darüber hinaus von einer hohen Dunkelziffer aus. Es werde nicht bei den 83 Priestern bleiben, die bisher im Missbrauchsregister seiner Organisation erfasst sind, ist er überzeugt. Ein Problem seien die "laxen Verjährungsvorschriften", die es in New York schwer machten, zurückliegende Fälle strafrechtlich aufzuarbeiten.
Parallel zur New Yorker Generalstaatsanwältin Underwood kündigte im benachbarten New Jersey Chefankläger Gurbir S. Grewal eigene Ermittlungen an. Eine Task Force soll sich ausschließlich der Aufklärung kirchlicher Missbrauchsfälle widmen, so Grewal: "Wir schulden es den Menschen von New Jersey, herauszufinden, was hier geschah."
Zuvor hatten bereits die Bundesstaaten Illinois, Missouri, Nebraska und New Mexiko Ermittlungen eingeleitet. In allen betroffenen Bistümern versprachen die Verantwortlichen, eng mit den Behörden zu kooperieren. Beobachter erwarten, dass die Ermittlungen in den sechs Bundesstaaten die US-Kirche über Jahre beschäftigen werden und zudem weitere Generalstaatsanwaltschaften auf den Plan rufen könnten.
Druck auf Papst Franziskus
Mit der Aufgabe ihrer bisherigen Zurückhaltung erhöhen die staatlichen Behörden außerdem den Druck auf Papst Franziskus. Denn ähnlich wie in Australien, Chile und Honduras stehen auch in den USA hochrangige Kardinäle und Bischöfe am Pranger, die zum engen Beraterkreis des Papstes gehörten oder noch gehören. Was die Situation in der US-Kirche zusätzlich brisant macht, ist die Tatsache, dass viele die Missbrauchsthematik mit weit verbreiteten grundsätzlichen Vorbehalten gegen den kirchenpolitischen Kurs von Franziskus vermischen.
Im Zentrum der Debatte steht weiterhin der frühere Kardinal von Washington, Theodore McCarrick (88), dem neben homosexuellen Beziehungen zu erwachsenen Priesterseminaristen auch der Missbrauch Minderjähriger vorgeworfen wird. Hier steht immer noch die Frage im Raum, ab wann andere hochrangige Kirchenmänner - allen voran McCarricks Nachfolger in Washington, Kardinal Donald Wuerl - von den Vorgängen gewusst haben.
Und der frühere Papstbotschafter in den USA, Erzbischof Carlo Maria Vigano, hat in seinem heftig diskutierten Memorandum ja auch den Papst selbst zum Rücktritt aufgefordert. Sein Hauptvorwurf: Franziskus habe viel zu lange die Übergriffe McCarricks geduldet, bevor er ihm Ende Juli in einem spektakulären Schritt die Kardinalswürde entzogen hatte.
Auch wenn es viel Kritik an Viganos Vorstoß gibt und erhebliche Zweifel an einigen seiner Aussagen - die Rufe werden lauter, auch der Papst müsse sein bisheriges Schweigen brechen und alles tun, um die massiven Vorwürfe aufzuklären. Nicht nur der katholischen Kirche in den USA steht wohl ein heißer Herbst bevor.