Nun hat der Skandal um sexuellen Missbrauch endgültig auch die Führungsetage im Vatikan erreicht: Die australische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Kardinal George Pell, den vatikanischen Finanzchef und Berater von Papst Franziskus. Dem früheren Erzbischof von Sydney wird sexueller Missbrauch vorgeworfen.
Pell wies die Anschuldigungen am Donnerstag zurück. Es ist das erste Mal, dass gegen einen Kurienkardinal wegen eines solchen Verdachts ermittelt wird. Zwar gab es auch früher bereits Ermittlungen gegen vatikanische Kardinäle. Dabei ging es aber stets um weniger schwerwiegende Delikte, oft hatten sie mit Geld zu tun.
Heikle Angelegenheit für den Vatikan
Wie heikel die Angelegenheit für den Vatikan ist, zeigte sich auch daran, dass das Presseamt zu ungewohnt früher Stunde, um 8.30 Uhr, kurzfristig eine Pressekonferenz mit Pell anberaumte. Die offizielle Mitteilung war vorsichtig formuliert. Auffällig war, dass sich der Vatikan darin nicht gegen eine Vorverurteilung Pells wandte und auf die Unschuldsvermutung pochte. Stattdessen begnügte er sich damit, seinen "Respekt" vor dem australischen Justizsystem zu bekunden, Verdienste Pells im Kampf gegen sexuellen Missbrauch aufzuzählen und seine Arbeit im Vatikan zu loben.
Als die französische Justiz im vergangenen Jahr gegen Lyons Kardinal Philippe Barbarin wegen Vertuschung sexuellen Missbrauchs ermittelte, reagierte der Papst selbst weniger zurückhaltend. In einem Interview der Zeitung "La Croix" sagte er, ihm lägen keine Erkenntnisse über etwaige Versäumnisse Barbarins vor.
Ämter ruhen lassen
In Rom spekulieren Beobachter derweil darüber, wer hier wen gedrängt hat. War es Franziskus, der auf seinen Kardinal Druck ausgeübt hat, sein Amt ruhen zulassen und nach Australien zu reisen, um größeren Schaden von der katholischen Kirche abzuwenden. War es für ihn womöglich sogar eine willkommene Gelegenheit Pell loszuwerden?
Schließlich wird der Australier bereits seit längerem mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert; zudem ist er ein konservativer Hardliner und eckt im Vatikan mit seiner robusten Art häufig an.
Oder war es doch Pell selbst, der den Papst um die Auszeit bat, um in Australien "seinen Namen reinzuwaschen"? Diesen Eindruck versuchte zumindest Pell selbst zu erwecken. Aufhorchen ließ, was der Sprecher des Vatikan, Greg Burke, mündlich zur schriftlichen Mitteilung hinzufügte: Der Kardinal werde vorerst nicht mehr an öffentlichen Gottesdiensten im Vatikan teilnehmen.
Unangenehme Folgen für den Papst?
Die Vorwürfe gegen Pell könnten auch für Franziskus unangenehm werden. Denn der Australier ist nicht nur Finanzchef des Vatikan. Als Mitglied des Kardinalsrates (K9) ist er zugleich ein enger Berater des Papstes. Bereits im vergangenen Herbst hatte der italienische Journalist Emiliano Fittipaldi in einem Buch den Vorwurf erhoben, der Papst propagiere zwar öffentlich eine Null-Toleranz-Strategie gegenüber Missbrauchstätern, drücke jedoch in seinem persönlichen Umfeld beide Augen zu. Als ein Beispiel nannte er Pell. Der Kardinal war schon im Frühjahr 2016 in Rom von australischen Polizisten zu den Missbrauchsvorwürfen verhört worden.
Erst im März hatte der Rücktritt des letzten noch verbliebenen Missbrauchsopfers aus der päpstlichen Kinderschutzkommission für Negativschlagzeilen gesorgt. Die Irin Marie Collins begründete ihren Schritt mit einer mangelnden Kooperationsbereitschaft der vatikanischen Behörden, vor allem der Glaubenskongregation. Medien werteten dies auch als Rückschlag für Franziskus, der die Kommission 2014 ins Leben gerufen hatte.
Einen anderen Schatten, der auf der päpstlichen Null-Toleranz-Strategie lag, hat Franziskus am Montag hingegen selbst beseitigt: Der Papst hob eine ursprünglich von ihm verfügte Strafmilderung für einen italienischen Missbrauchstäter auf. Das Bistum Cremona teilte am Montag die Entlassung des Geistlichen Mauro Inzoli aus dem Priesterstand mit.
Alltäglicher Kampf gegen Missbrauch
Jenseits solcher spektakulären Fälle geht der alltägliche Kampf gegen sexuellen Missbrauch Minderjähriger in der Weltkirche weiter. Vor allem der deutsche Jesuit Hans Zollner und das von ihm geleitete Kinderschutzzentrum an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom schulen weltweit Priester und andere kirchliche Mitarbeiter in der Prävention und im Umgang mit sexuellem Missbrauch. Eine Herkulesaufgabe. Zumal das Thema in etlichen Bischofskonferenzen weiterhin Tabu ist, nicht nur in Afrika, auch in Osteuropa.
So mancher Kollege Pells im Vatikan würde dem Australier keine Träne hinterher weinen, sollte er von seinem Amt zurücktreten. Denn der ehemalige Australian-Football-Spieler hat sich mit seinem forschen Auftreten in der Schaltzentrale der katholischen Kirche viele Feinde gemacht. Zum Sympathieträger taugt Pell als oberster Kontrolleur der Geldflüsse hinter den vatikanischen Mauern auch schon von Amtswegen kaum.
Franziskus hatte den Australier, der erfolgreich die Finanzen des Erzbistums Sydney saniert hatte, 2014 nach Rom geholt, um mehr Transparenz ins vatikanische Finanzdickicht zu bringen. Das ist ihm nach Ansicht von Beobachtern bislang nur teilweise gelungen. Doch in den nächsten Wochen und Monaten dürften Pell andere Sorgen plagen.