Missbrauchsbeauftragter nimmt künftige Regierung in die Pflicht

"Keine befristeten Minimallösungen mehr"

Er lässt nicht locker: Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, appelliert an die künftige Regierung, mehr im Kampf gegen Kindesmissbrauch zu tun. Für Papst Franziskus findet er lobende Worte.

Autor/in:
Birgit Wilke
Symbolfoto sexueller Missbrauch / © Uwe Zucchi (dpa)
Symbolfoto sexueller Missbrauch / © Uwe Zucchi ( dpa )

Die Fallzahlen sind nicht gesunken. Nach wie vor verzeichnet die polizeiliche Kriminalstatistik jährlich rund 12.000 Straf- und Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Kindesmissbrauchs.

Damit seien rund ein bis zwei Schüler in Schulklassen von sexueller Gewalt betroffen, führt der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung aus. Zumindest solange die Zahlen so hoch seien, sei seine Funktion wichtig, so Johannes-Wilhelm Rörig, dessen Amtszeit nach derzeitigem Stand am 31. März 2019 endet.

Unverbindliche Empfehlungen

Nach dem Missbrauchsskandal im Jahr 2010 hatte der eigens von der Bundesregierung eingesetzte Runde Tisch ein Jahr später Empfehlungen verabschiedet, die aber zum großen Teil nicht verbindlich wurden.

Zwar wurde in den folgenden Jahren das Sexualstrafrecht verschärft und Verjährungsgrenzen heraufgesetzt; bei den Hilfen für Betroffene, bei der Aufarbeitung und Präventionsmaßnahmen hat sich aber vergleichsweise wenig getan. Hilfseinrichtungen müssen sich häufig von Projekt zu Projekt hangeln.

Rörig weiß davon ein Lied zu singen. Er mahnt deshalb, dass "die Zeit befristeter Minimallösungen im Kampf gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen vorbei sein muss". Die künftigen Koalitionspartner müssten sich deutlich hinter den Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexueller Gewalt stellen. Missbrauch sei bei vielen nach wie vor ein Tabuthema, meint Rörig. Auch bei vielen Politikern löse es Abwehr und Verdrängungsmechanismen aus.

Dabei könne man viel im Kampf gegen Missbrauch tun. "Viele Menschen können helfen, wissen aber nicht, was sie bei Vermutung oder Verdacht tun können", so Rörig. Die künftigen Koalitionspartner müssten nun die richtigen Weichen stellen. Wenn der politische Wille vorhanden sei, könnten große Fortschritte erzielt werden.

"Kindesmissbrauchsbekämpfungsgesetz"

Zu Rörigs Forderungen gehört die Verabschiedung eines "Kindesmissbrauchsbekämpfungsgesetzes". Dies solle möglichst noch im ersten Halbjahr 2018 verabschiedet werden, damit Hilfseinrichtungen langfristig arbeiten könnten. Zudem solle es beinhalten, dass auch sein Amt, das vor sieben Jahren eingerichtet wurde, "verstetigt und gestärkt" wird, empfahl er.

Je nach Entwicklung des Ausmaßes sexueller Gewalt solle dann vor Ablauf von zehn Jahren geprüft werden, ob eine Weiterführung notwendig sei. Eine gesetzliche Absicherung fordert Rörig auch für den 2015 eingerichteten Betroffenenrat und die Aufarbeitungskommission, die im vergangenen Jahr ihre Arbeit aufnahm und bei der sich bislang rund 1.500 Missbrauchsopfer gemeldet haben.

Rörig sprach sich weiter dafür aus, dass rund 10 Prozent aller Schulen je 5.000 Euro erhalten sollen. Damit sollten sie bei der Entwicklung von Schutzkonzepten unterstützen werden. Rund 2.000 Kitas und weitere Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie rund 1.000 Kliniken und Praxen sollten diesen Betrag ebenfalls für die Umsetzung solcher Konzepte erhalten.

Lob für Papst Franziskus

Zudem regte er eine bundesweite Aufklärungskampagne nach dem Vorbild der Anti-Aids-Kampagne an. Diese solle spätestens 2019 starten. Ein "Forschungsbündnis gegen Kindesmissbrauch" solle einen stabilen und interdisziplinären Dialog mit Partnern aus Wissenschaft, Fachpraxis, Politik und Betroffenen sichern.

Rund 0,5 Prozent des für einen Digitalpakt anvisierten Budgets solle für eine Agenda "Digitaler Kinder- und Jugendschutz" zur Verfügung gestellt werden. Auch müsse endlich das Opferentschädigungsrecht reformiert werden, da es für die Betroffenen von sexueller Gewalt nur bedingt greife.

Lobend äußerte sich Rörig über die Maßnahmen der katholischen Kirche zum Schutz vor Kindesmissbrauch. Er habe den Eindruck, dass der Papst "einer meiner großen Unterstützer" sei. Franziskus habe wichtige Signale ausgesandt. Rörig hob unter anderem eine am morgigen Freitag zu Ende gehende Konferenz in Rom hervor, die sich mit der Gefahr sexuellen Missbrauchs über das Internet beschäftigt.

Es gebe allerdings auch Schattenseiten: Nach wie vor täten sich auch höherrangige Vertreter schwer, sich für begangenes Unrecht von Geistlichen zu entschuldigen.


Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung / © Harald Oppitz (KNA)
Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA