Über vier Jahrzehnte lang soll der Priester Edmund Dillinger aus dem Bistum Trier Jugendliche und junge Erwachsene missbraucht, nackt fotografiert, die Bilder gesammelt und darüber Buch geführt haben.
Er starb im vergangenen Jahr. Sein Neffe fand im Nachlass eigenen Angaben zufolge rund 700 Fotos und Diafilmstreifen mit eindeutigen und - mit den Jahren - immer drastischeren Motiven.
Der genaue Umfang wird aktuell von Ermittlungsbehörden geprüft. Der Neffe wandte sich zunächst ans Bistum und die Aufarbeitungskommision und machte den Fall dann Mitte April über die "Rhein-Zeitung" öffentlich. Ein Stein kam ins Rollen.
Auch Erzbistum Köln befasst sich mit dem Thema
Inzwischen hat er weitere in Bewegung gesetzt. Außer der Diözese Trier und der Trierer Aufarbeitungskommission befassen sich auch das Erzbistum Köln und außerhalb der Kirche mindestens zwei Staatsanwaltschaften, die Polizei und das saarländische Bildungsministerium mit dem Thema.
Die Aufarbeitungskommission sieht sogar "vage Hinweise" auf einen bistumsübergreifenden "Pädosexuellenring", der auf die sexuelle Ausbeutung von Stipendiaten aus Afrika deuten könnte. Das Bistum erreichten derweil Hinweise auf ein Doppelleben des Priesters unter falschem Namen in Afrika.
In der Kritik stehen vor allem die Diözese, aber auch die Aufarbeitungskommission. Dem Bistum wird vorgehalten, den Fall nicht ausreichend aufgearbeitet zu haben. So soll es bereits Anfang der 1970er Jahre Hinweise auf Übergriffe Dillingers gegeben haben.
Er arbeitete damals an einem Gymnasium in Hermeskeil in Rheinland-Pfalz als Religionslehrer. Ein anderer Priester schöpfte laut "Rhein-Zeitung" auf einer Romwallfahrt Verdacht, ließ Fotos aus Dillingers Kamera entwickeln und schickte sie an den damaligen Trierer Bischof Bernhard Stein (1903-1993).
Daraufhin wurde Dillinger versetzt, unter anderem zum Studium nach Köln und war dort im Erzbistum tätig, unter anderem als Religionslehrer. Von 1979 bis 1999 war er wieder in seiner Heimatdiözese, diesmal an einem Gymnasium im Saarland in Saarlouis eingesetzt.
Erst 2012 wurde er sanktioniert
Trotz der Hinweise aus den 1970ern genoss Dillinger lange hohes Ansehen. Er war auf Bundesebene Studentenseelsorger des Cartellverbandes der deutschen katholischen Studentenverbindungen (CV), gründete 1972 den Verein CV Afrika Hilfe, war Mitglied einer Vereinigung "Societas Urielis" und der "Bruderschaft der Hl. Apostel Petrus und Paulus". Für sein Afrika-Engagement erhielt er den Verdienstorden der Bundesrepublik und war Ehrendomherr in Kamerun.
Erst 2012 wurde er sanktioniert, durfte keine Messen mehr feiern und keinen Kontakt zu Kindern und Jugendlichen haben. Damals hatte das Bistum eigenen Angaben zufolge nach weiteren Hinweisen die Personalakte durchgesehen, "Hinweise auf übergriffiges Verhalten" gefunden und eine kirchenrechtliche Voruntersuchung geführt, außerdem die Staatsanwaltschaft informiert. Die stellte Ermittlungen allerdings wegen Verjährung ein.
Doppelmoral des Priesters
Die pornografischen Fotos sollen schwarze und weiße Männer und Frauen zeigen, einige mit Dillinger im Bild. Eine Frage ist, ob Dillinger die Afrika-Hilfe als Vorwand für sexuelle Übergriffe genutzt hat.
Der Fall lässt zudem eine bemerkenswerte Doppelmoral des Priesters erkennen. Edmund Dillinger galt in konservativen Kreisen lange als Vorzeige-Katholik, war Mitglied im Forum Deutscher Katholiken. Als solchen hielt ihn der CDU-Politiker Bernhard Mihm dem Limburger Bischof Georg Bätzing und dessen Forderung einer Reform katholischer Sexualmoral entgegen.
In einem öffentlichen Brief an Bätzing schrieb Mihm 2019: "Anfragen an die Sexualmoral" zu formulieren, sei überflüssig: "Ein bekannter Schul- und Studentenseelsorger in Ihrer früheren Diözese Trier, Edmund Dillinger, pflegte den jungen Leuten eine der Mathematik nachgebildete Formel vorzutragen: 'Geschlechtsverkehr minus Ehe gleich Unzucht'. Ja, so schlicht ist die Wahrheit."
Bistum Trier versucht Schauplätze zusammenzufügen
Das Bistum Trier versucht nun, die verschiedenen Fäden und Schauplätze zusammenzufügen. Ebenfalls der "Rhein-Zeitung" sagte Bischof Stephan Ackermann, es gehe zunächst darum, alles zu bündeln, "was an Anfragen und Informationen zum Fall kommt, um dann ein unabhängiges, breit aufgestelltes Projekt mit vielen Kooperationen zur Aufarbeitung zu starten". Täglich kämen neue Informationen dazu.
Koordinator ist Generalvikar Ulrich Graf von Plettenberg. In dem Kontext stellen sich weitere Fragen, etwa wie das Bistum an mögliche Betroffene im Ausland kommen soll.
Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sieht ein "sehr kopfloses" Vorgehen des Bistums. Das Bistum habe es nach 2012 versäumt, den Fall aufzuklären. Auf Kritik stieß auch der Umgang mit Dillingers Neffen und mit dem pornografischen Material. Denn das wollte zunächst niemand haben - Besitz, Erwerb und Verbreitung von kinder- und jugendpornografischem Material sind in Deutschland strafbar.
Der Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, Jurist Gerhard Robbers, gibt an, den Neffen über die Rechtslage informiert zu haben, wonach das Material einem staatlichen Ermittlungsorgan übergeben oder vernichtet werden müsse. Der Neffe sah das offenbar als Aufforderung, das Material zu verbrennen und fühlte sich allein gelassen. Schüller zufolge hätten kirchliche Verantwortliche den Neffen zur Staatsanwaltschaft und zur Polizei begleiten sollen, um die Fotos rechtssicher zu untersuchen.
Material von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt
Zuletzt nahmen die Staatsanwaltschaften Mainz und Saarbrücken die Sache in die Hand, beschlagnahmten das Material und werten es nun aus. Inwiefern kirchliche Stellen für die Aufarbeitung Zugang zum Material erhalten, werde gesondert entschieden, so die Staatsanwaltschaft Mainz. Die Behörden ermitteln auch gegen den Neffen.
Es bestehe der Verdacht, dass er das gefundene Material weder vernichtet noch bei einer Strafverfolgungsbehörde abgegeben habe. Das bedeute aber nicht, dass er sich tatsächlich strafbar gemacht habe.
Da Dillinger zuletzt im Saarland lebte, befasst sich auch die Staatsanwaltschaft Saarbrücken mit dem Fall. Sie will herausfinden, ob es noch lebende Tatbeteiligte und nicht verjährte Taten gibt.
Die Aufarbeitungskommission im Bistum hat sich ihrerseits Hilfe gesucht. Der ehemalige Koblenzer Generalstaatsanwalt Jürgen Brauer soll den Fall "in völliger Unabhängigkeit" aufarbeiten. Brauer habe Erfahrung auch in der Aufklärung von international verflochtenen Verbrechen.
Das saarländische Bildungsministerium wirft dem Bistum derweil "ungenügende Aufklärungsarbeit" vor. Sie nahm den Fall zum Anlass, um eine eigene Anlaufstelle für Betroffene und Zeugen einzurichten.
Ministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) sagte, ihr Haus habe vom Bistum in dem Fall "bisher weder verwertbare Unterstützung noch Hinweise bekommen, die es ermöglichen, diese zu prüfen und im Sinne der Opfer Konsequenzen umzusetzen".