Ebenfalls schlechte Noten hat Kaspar nun für das erste Jahrzehnt seiner Tätigkeit als Leiter der katholischen Behinderteneinrichtung Sankt Vincenzstift in Rüdesheim-Aulhausen und in der benachbarten katholischen Jugendhilfe Marienhausen erhalten. Die am Donnerstag in Rüdesheim präsentierten Ergebnisse einer telefonischen Erhebung in Sachen Gewalt und Missbrauch in der für die Zeit nach 1970 belasten ihn. Von 1970 bis 2006 war Kaspar Direktor des Vincenzstifts.
Gewalt und Missbrauchsvorfälle in der Zeit von 1945 bis 1970 hatte bereits eine im vergangenen September von dem Stift vorgelegte Studie belegt. Sie belastete vor allem Kaspars Vorgänger als Stiftungsdirektor, den Geistlichen Rudolf Müller, als Täter. Der hatte das Vincenzstift von 1958 bis zu seinem Suizid im Jahr 1970 geführt. Dass es unter seiner Ägide schlimme Verbrechen gab, war bekannt. Doch dass es auch unter Kaspar noch einige Vorfälle gab, ist erst jetzt einigermaßen sicher belegt.
Eindeutige Datenbasis
Personen, die nach 1970 in dem Stift oder in der Jugendhilfe Marienhausen "Vorfälle im Zusammenhang mit Gewalt in jeglicher Form" erlebt oder beobachtet hätten, konnten sich über eine Hotline melden. Geleitet wurde die Erhebung von der Professorin an der Fakultät Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege der Hochschule Ravensburg-Weingarten, Annerose Siebert.
Die Datenbasis ist vergleichsweise schmal, aber doch eindeutig. Insgesamt sieben Anrufe gingen in drei Monaten ein: vier ehemalige Heimbewohner, Angehörige und eine ehemalige Mitarbeiterin. Sie berichteten über körperliche, sexualisierte und psychische Gewalt.
Insgesamt lasse sich auf ein höheres Gewaltaufkommen zu Beginn der 1970er Jahre schließen, so Siebert. Für die Zeit bis Anfang der 1980er Jahre seien gravierende Vorkommnisse genannt worden. Auf Informationen über derartige Vorfälle habe Kaspar nach Ansicht der Anruferinnen und Anrufer nicht angemessen reagiert, sagte Siebert.
Der Geschäftsführer der Sankt Vincenzstift gGmbH, Caspar Sölling, ergänzte, man sei "traurig mit jedem, der sich gemeldet habe". Was damals geschehen sei, dürfe nie wieder passieren. Zu Franz Kaspar selbst wollte sich Sölling nicht äußern. Möglich, dass der Schatten des früheren Generalvikars zu lang ist. Schließlich leitete Kaspar von 1979 bis 2003 auch das in Wiesbaden ansässige Kommissariat der katholischen Bischöfe im Lande Hessen. Die kurz Katholisches Büro genannte Einrichtung vertritt die Interessen der Kirche bei den politischen Stellen in der Landeshauptstadt.
Gelder aus einem Fonds für das Vincenzstift
Kaspar ist unter anderem Träger des Großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland sowie des Hessischen Verdienstordens. Zudem wurde ihm mit dem "Brotteller" die höchste Auszeichnung des Deutschen Caritasverbandes zuteil, und auch der Titel eines "Honorarprofessors" an der Uni Frankfurt blieb ihm nicht vorenthalten. Mit Namen Benedikt Degen schließlich fand er Eingang in die neuere deutsche Literatur. So heißt in Martin Walsers 1996 erschienenem Roman "Finks Krieg" um eine politische Intrige mit kirchlichem Hintergrund der Leiter des Wiesbadener Katholischen Büros.
Wie die Wochenzeitung "Die Zeit" (Donnerstag) jetzt berichtet, nutzte Kaspar Gelder aus einem Fonds für das Vincenzstift, um Kunstkäufe zu tätigen. Einige der angekauften Objekte habe er in seiner Privatwohnung aufgestellt. Dass dies zutrifft, hatte Vincenzstift-Chef Sölling bereits vor längerem dem "Wiesbadener Kurier" bestätigt. Seit 2010 gehört das Vincenzstift, das seit 1991 auch das Jugendheim Marienhausen betreibt, zu der in Köln ansässigen Josefs-Gesellschaft. Aufsichtsratsvorsitzender dieses Trägers von bundesweit mehreren Einrichtungen für behinderte Menschen war 28 Jahre lang ebenfalls Franz Kaspar.