missio-Präsident zur Christenverfolgung

Nirgendwo den Mund verbieten lassen

In rund 100 Ländern werden Christen bei der Religionsausübung behindert, in Staaten wie Syrien und Irak sogar verfolgt. Das erschwert auch die Arbeit der Kirchen vor Ort, erzählt Klaus Krämer, Präsident des Hilfswerks missio, im Interview. 

Sonntagsmesse in Maiduguri (Nigeria)  / © Friedrich Stark (epd)
Sonntagsmesse in Maiduguri (Nigeria) / © Friedrich Stark ( epd )

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Herr Krämer, wie beurteilen Sie momentan die Situation für die Christen in der Welt?

Klaus Krämer (Präsident von missio Aachen): Leider hat sie sich in vielen Regionen erheblich verschärft. In rund 100 Ländern werden Christen zumindest benachteiligt oder behindert, wenn sie ihre Religion ausüben wollen. Im Nahen und Mittleren Osten nimmt das inzwischen Züge an, die wir gar nicht mehr für möglich gehalten hätten. Hier müssen wir leider wieder wie in Teilen Syriens und dem Irak von einer Christenverfolgung im strengen Sinn sprechen.

KNA: Wo macht sich das besonders bemerkbar?

Krämer: Wir erleben die schrecklichen Fälle direkter Gewalt - etwa durch die Terrormilizen des "Islamischen Staats" (IS) oder durch Boko Haram in einigen Ländern Afrikas. Aber die Beeinträchtigung von Religionsfreiheit hat viele Gesichter. Diskriminierung fängt oft unscheinbar an, zum Beispiel bei der staatlichen Reglementierung des kirchlichen Lebens und der persönlichen Lebensführung von Christen. Diskriminierung, Bedrängnis und Verfolgung von Christen gibt es in zahlreichen Nuancen und Übergängen. Wir müssen alles vermeiden, wodurch Religionen gegeneinander ausgespielt werden können.

KNA: Behindert das ihre Arbeit in einigen Ländern?

Krämer: Es erschwert vor allem die Arbeit der Kirchen vor Ort, die ja unsere Partner sind. Viele überlegen schon sehr genau, was an kirchlicher Aktivität möglich ist, ohne sich oder andere in Gefahr zu bringen. Aber nach unserer Beobachtung ist auch eines klar: Die Kirche lässt sich nirgendwo den Mund verbieten! Überall gibt es mutige und beeindruckende Zeugnisse des Glaubens - auch wenn die Christen dabei zum Teil sehr vorsichtig, klug und manchmal auch zurückhaltend sein müssen.

KNA: Und was macht missio in solchen Fällen?

Krämer: Wir unterstützen die betroffenen Christen dabei, die verbliebenen Freiräume zu nutzen oder auszuweiten. Und wir berichten hier bei uns in Deutschland über bedrängte Christen, um ein stärkeres Bewusstsein für ihre Situation zu schaffen. Wir sprechen mit politischen Entscheidungsträgern, damit sie sich noch entschiedener dafür einsetzen, dass das elementare, unteilbare Menschenrecht der Religionsfreiheit weltweit in vollem Umfang gewährleistet ist.

KNA: Wird das Thema in der Politik genug beachtet?

Krämer: Im Moment jedenfalls stärker als noch vor einiger Zeit, aber natürlich immer noch viel zu wenig. Da das Problem stark zunimmt, hat es eigentlich noch viel mehr Beachtung verdient. Es ist enorm wichtig, die Dinge klar beim Namen zu nennen! Vor allem in der Außenpolitik muss das Thema bei offiziellen Gesprächen deutlich benannt werden. Und die Politiker sollten auf ihren Auslandsreisen immer wieder den Kontakt suchen zu den Kräften vor Ort, die sich für Menschenrechte wie Religionsfreiheit in ihrer Heimat einsetzen. Wenn wir ihnen den Rücken stärken, wird das auch in der politischen Öffentlichkeit der jeweiligen Länder, die das Menschenrecht auf Religionsfreiheit verletzen, wahrgenommen. Das ist ein enorm wichtiger Dienst in dieser schwierigen Situation.

KNA: Aber stößt man da nicht auch schnell an Grenzen? Mit Boko Haram oder den IS-Milizen zu verhandeln, stelle ich mir schwierig vor...

Krämer: Keine Frage. Aber unsere Ansprechpartner sind vor allem diejenigen, denen das friedliche Miteinander der Religionen ein Anliegen ist. Meiner Erfahrung nach ist das in allen Religionen die große Mehrheit. Es ist wichtig, denjenigen den Rücken zu stärken, die sich für Toleranz und Religionsfreiheit in ihren Ländern einsetzen. Auch wenn die Lage aktuell manchmal aussichtslos zu sein scheint, dürfen wir hier nicht nachlassen, diese Menschen zu bestärken.

KNA: Sind Sie in dieser Situation dafür, christliche Flüchtlinge bevorzugt in Deutschland und ganz Europa aufzunehmen?

Krämer: Christen, Muslime, Angehörige anderer Religionen oder Atheisten, alle haben sie das gleiche Recht, in Deutschland und Europa Schutz zu suchen. Was wir allerdings als ein kirchliches Hilfswerk und als Christen in Deutschland und Europa spezifisch für christliche Flüchtlinge aus den Krisengebieten dieser Welt tun können, ist, ihnen zu helfen, kulturell und religiös ein Stück Heimat hier zu finden. Diese Christen gehören verschiedenen Konfessionen an, die eine je eigene kulturell geprägte Glaubenspraxis pflegen. Hier können wir sie dabei unterstützen, in Deutschland und Europa ihren Glauben so zu leben, dass sie bei uns diese spirituelle Heimat finden können. Das gibt Halt und beugt dem Gefühl der Entwurzelung vor.


Quelle:
KNA