missio-Referentin ist über Wahlausgang in Indien erleichtert

Hoffnung auf weniger Restriktionen gegen Christen

In Indien verliert Premier Narendra Modi nach der Wahl mit der hindunationalistischen Partei die absolute Mehrheit. missio-Referentin Bettina Leibfritz sieht die größte Demokratie der Welt gestärkt und hat Hoffnung für Minderheiten.

Narendra Modi / © Manish Swarup (dpa)
Narendra Modi / © Manish Swarup ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was war Ihre erste Reaktion, als Sie vom Ergebnis der Wahl erfahren haben?

Bettina Leibfritz / © Christian Schnaubelt (missio)
Bettina Leibfritz / © Christian Schnaubelt ( )

Bettina Leibfritz (Indien-Referentin des internationalen katholischen Missionswerkes missio): Ich bin sehr froh und erleichtert über den Ausgang der Wahlen. Es ist gut, dass das Oppositionsbündnis INDIA so stark abgeschnitten hat und sich letztlich auch als Sieger der Wahl sehen kann. Ich bin froh, dass es eine starke Opposition aus Parteien im Parlament geben wird, die sich selbst als Hüter der Demokratie betrachten und dafür sorgen werden, dass der säkulare Charakter des Landes erhalten bleibt. 

DOMRADIO.DE: Sie und viele andere Beobachter hatten diese "größte Wahl der Welt" mit Sorge verfolgt. Denn mit einer Zweidrittelmehrheit hätte Modis hindunationalistische Partei die BJP die Verfassung ändern können. Was für Folgen hätte das gehabt? 

Leibfritz: Tatsächlich war das erklärte Ziel der BJP, mehr als 400 Sitze zu erringen und damit eine Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Genauso wie es ihr erklärtes Ziel war, den säkularen Charakter der indischen Verfassung zu verändern in Richtung eines Hindureichs, eines Staates, in der den Hindus eine Vorrangstellung einräumt. 

Bettina Leibfritz

"Das Oppositionsbündnis hat sich als stärker erwiesen als gedacht."

DOMRADIO.DE: So kommt es jetzt wohl erst einmal nicht. Hat sich Indiens Demokratie damit als stärker erwiesen als gedacht? 

Leibfritz: Ja, auf jeden Fall. Das Oppositionsbündnis hat sich als stärker erwiesen als gedacht. Die Oppositionskräfte sind stark geblieben, obwohl ihnen teils Konten eingefroren wurde und Politiker aus ihren Reihen verhaftet wurden. Sie sind stark geblieben und haben Stimmen gewonnen für das Parlament. 

DOMRADIO.DE: Premier Narendra Modi hatte sich im Wahlkampf als eine Art Gottgesandter stilisiert.  Das ist offenbar schlechter angekommen als gedacht. Haben Sie eine Erklärung? 

Leibfritz: Das fing mit der Tempeleinweihung im nordindischen Ayodhya an, wo Modi den Ram-Tempel eingeweiht hat, obwohl das normalerweise nur Priester tun. Da hat er sich als Oberpriester stilisiert. Es war eindeutig eine politische Veranstaltung zum Wahlkampfauftakt, bei der Modi total im Mittelpunkt stand, die wahren Priestern dagegen nur Beisitzer oder kurz Zelebranten waren. Da gab es schon Kritik. 

Und auch daran, dass der Tempel eigentlich noch gar nicht fertig war, man aber einen unfertigen Tempel nach Hindugesetzen gar nicht weihen darf. Außerdem hat dieser Tempel eine überaus gewaltvolle Vorgeschichte; er wurde auf den Ruinen der Babri-Moschee gebaut und es gab viel Gewalt gegen Muslime. Ich denke, viele haben diese Gewalt nicht vergessen. Es gibt so viele Menschen in Indien, die es nicht gutheißen, dass immer wieder mit Gewalt gearbeitet wird. 

Bettina Leibfritz

"Modi hat massiv Angst unter den Hindus geschürt."

DOMRADIO.DE: Modi hatte im Wahlkampf auch immer wieder aggressiv-nationalistische Töne angeschlagen und gegen Minderheiten gehetzt. Was zeigt das Wahlergebnis in dieser Hinsicht? Haben ihn die Wählerinnen und Wähler abgestraft? 

Leibfritz: Ja, man kann das so sehen. Die Muslime sind zwar gegenüber den Hindus in der Minderheit, bleiben aber doch eine große Bevölkerungsgruppe. Und auch Nicht-Muslimen gefällt es nicht, wenn eine religiöse Minderheit auf so drastische Weise als Feind dargestellt wird. Modi hat ja Muslime als "Infiltratoren" bezeichnet und als Menschen, die zu viele Kinder haben.  Modi hat behauptet, die Opposition wolle Hindus Geld wegnehmen und den Muslimen geben. 

Er hat massiv Angst unter den Hindus geschürt, dass ihr Wohlstand zugunsten der Muslime verteilt wird. Aber die Opposition hat dagegen ihre Stimme erhoben; sie hat sogar Beschwerde eingelegt, weil es eigentlich gegen die Wahlgesetze verstößt, Hetzkampagnen gegen religiöse Gruppen zu führen. Die Wahlkommission ist nicht tätig geworden, aber die Stimmen aus der Opposition waren sehr laut. 

DOMRADIO.DE: Im Ergebnis werden Modi und seine BJP also nicht mehr durchregieren können. Sie müssen sich sogar Koalitionspartner suchen. Welche Chance sehen Sie darin? 

Leibfritz: Das Wichtigste ist natürlich, dass sie jetzt nicht den säkularen Charakter der Verfassung ändern können. Die indische Verfassung wird so bleiben, wie sie ist. Die Opposition sieht sich selbst als Hüter der Demokratie und der säkularen Verfassung und wird ihren Teil dazu beitragen, dass Indien ein säkularer, demokratischer Staat bleibt. 

Bettina Leibfritz

"Wir hoffen auf Entspannung."

DOMRADIO.DE: Sie von missio haben als katholisches Hilfswerk immer besonders die Christen und auch ganz besonders die Katholiken im Blick. Was bedeutet der Wahlausgang jetzt speziell für diese Minderheit? 

Leibfritz:  Wir hoffen auf Entspannung. Wir hoffen, dass es schwerer wird, an Restriktionen festzuhalten.  Wir hoffen, dass es zum Beispiel nicht mehr so leicht sein wird, Christinnen und Christen ins Gefängnis zu stecken, weil sie angeblich nicht hindukonform reden. So etwas ist in christlichen Schulen vorgekommen, wo Lehrer abgezogen und diffamiert wurden. Außerdem gibt es ja unter den Christen viele, die sich für die Menschenrechte allgemein in Indien einsetzen, die mit allen Minderheiten arbeiten. 

DOMRADIO.DE: Haben Sie schon Reaktionen von Partnern vor Ort auf den Ausgang der Wahl bekommen? 

Leibfritz: Ja, ich habe schon Reaktionen bekommen. Zum Beispiel von einem Menschenrechtsaktivisten, einem eher säkular ausgerichteten Hindu. Auch er ist erleichtert und hofft, dass es künftig einfacher wird, in Indien für Menschenrechte zu arbeiten. Christliche Partner hoffen, dass die Restriktionen nicht mehr so stark sein werden, wie sie es in den vergangenen Monaten und Jahren waren. Aber die Sorge bleibt, schließlich bleibt die BJS nach wie vor die größte Macht im Parlament. Das kann man nicht schönreden.

Bettina Leibfritz

"Er scheint das Wahlergebnis zu akzeptieren."

DOMRADIO.DE: Gibt es denn auch die Sorge, dass Modi und seine Partei das Ergebnis nicht anerkennen, gar gewalttätig dagegen vorgehen könnten? 

Leibfritz: Dazu sehe ich im Moment keinen Anlass. Modi hat sich nach der Wahl bisher nicht so verhalten wie seinerzeit Trump in den USA. Er scheint das Wahlergebnis zu akzeptieren; er hat sich ja auch schon zum Wahlsieger erklärt, was er de facto ist, schließlich bleibt er Premierminister.  

DOMRADIO.DE: Was werden die größten Herausforderungen für die neue Regierung sein? 

Leibfritz: Es bleiben die gleichen Herausforderungen, die schon vorher da waren. Selbst Modi hat gerade noch einmal erklärt, dass er die Armut im Land beenden möchte. Wir müssen im Blick behalten, dass Indien zwar einerseits wirtschaftlich boomt. Auf der anderen Seite tut sich eine riesige Schere zwischen Arm und Reich auf und es gibt immer noch Millionen von armen Menschen. Modi hatte sich zum Ende seines Wahlkampfs zur Meditation zurückgezogen. Jetzt, kurz nach den Wahlen, hat er unter dem Schlagwort Viksit Bharat, seine Vision für Indien verkündet. Demnach will er Indien bis 2047 in ein entwickeltes Land verwandeln. Das ist ein hehres Ziel, an dem nichts auszusetzen ist, solange er alle indischen Staatsbürger berücksichtigt. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Das Hilfswerk missio

Das Internationale Katholische Missionswerk missio mit Sitz in Aachen und München ist eines von weltweit mehr als 100 Päpstlichen Missionswerken. Missio München ist das Missionswerk der bayerischen, missio Aachen das der anderen deutschen Bistümer. Das Wort missio kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Sendung.

 (KNA)
Quelle:
DR