Mit dem Karajan-Jahr begeht die Musikwelt den 100. Geburtstag des legendären Dirigenten

Ein perfekt gemachtes Wunder

Mit dem Feiern kann man nie früh genug beginnen. Und wenn ein Jubiläum die Kassen füllt, dann sowieso. Tatsächlich hat kein Künstler besser für diesen Fall vorgesorgt als Herbert von Karajan. Mit unzähligen Schallplatten wurde der legendäre Dirigent zum erfolgreichsten Vertreter der Klassik-Industrie des 20. Jahrhunderts. Am 5. April wird sein 100. Geburtstag gefeiert - doch das Karajan-Jahr hat längst begonnen.

Autor/in:
Christa Sigg
 (DR)

Bereits im Oktober kam die erste CD-Box auf den Markt: "Master Recordings" von der Deutsche Grammophon liefert mit zehn Scheiben einen Querschnitt von Mozart bis Strawinsky - lauter Hits des Konzertsaal-Repertoires, und fast wöchentlich kommt Nachschub unter einem attraktiven Motto. Im November startete Sony BMG eine "Herbert von Karajan 100th Anniversary Edition". Mit dem größten Projekt tritt die EMI an: Im Februar erscheint ein fast 160 CDs umfassendes Paket ihrer gesamten Karajan-Aufnahmen ("The Complete EMI Recordings in 2 Volumes").

In Europa, den USA und Japan sind Gedenkkonzerte mit Künstlern wie der Geigerin Anne-Sophie Mutter oder Stardirigenten wie Seiji Ozawa, Valery Gergiev, Riccardo Muti und Sir Simon Rattle geplant. Im Buchhandel liegen schon diverse Prachtbände aus, dazu kommen Biografien wie noch im Januar die Erinnerungen aus der Feder von Ehefrau Nummer drei, Eliette von Karajan, "Mein Leben an seiner Seite" (Ullstein Verlag).

Explosionsmotor und Taktstock
Keine Frage: Vom Kenner bis zum Klassik-Neuling werden alle opulent bedient, und es dürfte schwer werden, den Überblick zu behalten. Doch genau genommen knüpft dieses Medienaufgebot nur an das "Höher-Schneller-Weiter" an, das der Maestro zu Lebzeiten gerne zur Schau stellte - nicht nur am Pult. Karajan, der bekennende Technik-Fan liebte bekanntlich auch schnelle Autos, Flugzeuge und Yachten.

Als Abiturient schrieb der Sohn eines musikliebenden Salzburger Arztes eine Arbeit über "Thermodynamik und Explosionsmotor", um nur etwas später, mit 20 Jahren, erstmals das Mozarteum-Orchester seiner Heimatstadt zu leiten. Im "Salzburger Volksboten" war daraufhin von einem "starken, gezügelten
Dirigentenwillen" zu lesen.

Das Imperium Karajan
So einer wie Karajan blieb nicht lange Korrepetitor, sondern stieg während seines ersten Engagements in Ulm bald zum Ersten Kapellmeister auf. Dass Karajan 1935 in Aachen zum jüngsten Generalmusikdirektor Deutschlands bestimmt wurde, demonstrierte die Rasanz seiner Karriere. Der Durchbruch folgte 1938 an der Berliner Staatsoper mit Wagners "Tristan". In der "Berliner Zeitung" war die Rede vom "Wunder Karajan". Der damals 30-Jährige distanzierte sich von einer eher schwerfälligen, düsteren Aufführungstradition, fiel auf durch einen frischen, für damalige Verhältnisse temporeichen Zugriff.

Nach dem Krieg hatte der von Hermann Göring protegierte "Staatskapellmeister" zunächst Berufsverbot, doch schon 1947 begann sein eigentlicher Aufstieg. Er dirigierte die Wiener Philharmoniker, debütierte bei den Salzburger Festspielen, an der Mailänder Scala, in London, und wurde nach dem Tod Wilhelm Furtwänglers 1955 Chef der Berliner Philharmoniker - auf Lebenszeit. Fast parallel kam die Wiener Staatsoper dazu. Damit war das Imperium Karajan installiert.

Geradezu rastlos nahm er das klassische Kernrepertoire auf. Die Nebenschauplätze der Musikgeschichte interessierten ihn nur bedingt. Aber damit war in den 50er und 60er Jahren auch kaum zu punkten. Karajan hatte schließlich "Musik für Millionen" im Sinn, so lautete ein Sammeltitel bei der Deutschen Grammophon. Und nicht ohne Grund nannte ihn Theodor W. Adorno einen "Genius des Wirtschaftswunders".

Perfektionistisch, egomanisch und ein Qualitätsstempel
Doch bei der Vielzahl an Auftritten und Aufnahmen war Karajan ein Perfektionist. Mit Vorliebe feilte er am Klang - besonders im Tonstudio - bis das Ergebnis seinen Ansprüchen genügte, sämtliche Nebengeräusche (auch der Tonbildung) beseitigt waren. Gerade hier polarisierte er. Kritiker warfen ihm besonders in späteren Jahren vor, er sei zu sehr auf eine polierte Oberfläche, auf satten Schönklang fixiert, seine Musik sei steril und ohne Tiefgang.

Trotzdem gibt es kaum einen Dirigenten, der sich im Laufe seiner
Karriere so wandlungsfähig gab, nie einem Interpretationsstil wirklich verhaftet blieb. Daher rührt es vielleicht auch, dass er alle neun Beethoven-Sinfonien gleich dreimal, vieles aus dem Standardrepertoire vier- und fünfmal einspielte. Abnehmer gab es immer. Karajan war für viele der Qualitätsstempel schlechthin, eine neue Scheibe gleich eine Referenz-Aufnahme. Die Inszenierung seiner selbst als Musik-Genie, das die Partitur völlig verinnerlicht hatte, tat ein Übriges. Das Dirigieren mit geschlossenen Augen war sein Markenzeichen. Da kam ihm der Musikfilm gerade recht. Und damit versorgt Karajan fast 20 Jahre nach seinem Tod auch noch den aktuellen DVD-Markt.

Natürlich forderte ein Egomane dieses Kalibers stets auch den Widerspruch heraus. Neben all den Höhepunkten - seiner Moskau-Tournee 1962 etwa oder der Konzertreise nach China im Jahr 1979 - gab es immer wieder auch Überwerfungen. Am bekanntesten wurde sein langer Streit mit den Berliner Philharmonikern, der 1982 in seinem Einsatz für die Soloklarinettistin Sabine Meyer kulminierte. Der Chef auf Lebenszeit sollte sich nicht durchsetzen, das Verhältnis war längst abgekühlt.

Besonderer Auftakt zum Karajan-Jahr
Ein schweres Rückenleiden und die Folgen eines Schlaganfalls gestalteten Karajan das Dirigieren zunehmend schwieriger. 1987 gab er die Leitung der Salzburger Festspiele ab, 1989 sogar die der Berliner Philharmoniker - drei Monate vor seinem Tod am 16. Juli, während einer Probe zu "Un ballo in maschera" in Salzburg. Dort fand nun auch ein ganz besonderer Auftakt zum Karajan-Jahr statt.

Am 5. Januar wiederholte das Mozarteum-Orchester im Großen Festspielhaus genau das Programm, mit dem Karajan 1929 debütierte: Tschaikowskis fünfter Sinfonie, Strauss und Mozart. Weiter geht es am 23. Januar mit einem hochkarätigen Gedenkkonzert in der Berliner Philharmonie. Unter der Leitung von Seiji Ozawa spielen die Berliner Philharmoniker Tschaikowskis "Pathétique" und Beethovens Violinkonzert mit der Solistin und großen Karajan-Entdeckung Anne-Sophie Mutter.