DOMRADIO.DE: Wie erleichtert sind Sie, dass Ursula von der Leyen diese Wahl gewonnen hat?
Dr. Peter Liese (CDU-Politiker, Mitglied des Europäischen Parlaments und Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)): Ich bin schon ziemlich erleichtert. Denn, wenn es schief gegangen wäre, wäre Europa in eine sehr, sehr schwere Krise geraten. Ich hätte mir natürlich Manfred Weber gewünscht, den Spitzenkandidaten der Christdemokraten. Aber die Sozialdemokraten und die Liberalen haben schon vor drei Wochen ganz klar erklärt, dass sie ihn nicht wählen und haben damit auch ein wenig das Europäische Parlament aus dem Spiel genommen.
Ich fand ich es wichtig, dass die größte Fraktion, die Christdemokraten, den Kommissionspräsidenten oder die Kommissionspräsidentin stellen. Außerdem ist Ursula von der Leyen wirklich qualifiziert. Sie spricht fließend Englisch und Französisch. Sie kennt sich aus in Europa. Und sie hat es in relativ kurzer Zeit geschafft, die Kolleginnen und Kollegen zu überzeugen - mit Fachkenntnis und auch mit Visionen. Deswegen bin ich schon sehr erleichtert, dass sie es geschafft hat.
DOMRADIO.DE: Sie wechselte in ihrer Rede ja tatsächlich auch zwischen Deutsch, Englisch und Französisch einfach so hin und her. Das hat schon Eindruck gemacht. Hat Ihre Bewerbungsrede das Ruder nochmal herumgerissen? Wie haben Sie das erlebt?
Liese: Die Rede war gut. Sie hat nicht nur in drei Sprachen fließend gesprochen, sondern auch die Themen angesprochen, die für die Abgeordneten wichtig waren - vor allen Dingen für die Abgeordneten der Mitte. Es war ganz klar, dass ihre Rede auf die Sozialdemokraten, die Liberalen und die Grünen gerichtet war.
Und ich höre, dass die Berliner Grünen gar nicht so glücklich sind, dass die europäischen Grünen Ursula von der Leyen nicht gewählt haben. Viel besser hätte man auch die Grünen nicht ansprechen können. Es war eine proeuropäische Rede, die ganz klar darauf ausgerichtet war, dass wir die demokratischen Kräfte der Mitte vereinen.
DOMRADIO.DE: Frau von der Leyen hat ganz deutlich nochmal gesagt, sie möchte auf keinen Fall mit den Stimmen der Ultrarechten gewählt werden. Kann Sie denn da so sicher sein, dass das nicht vielleicht auch passiert ist?
Liese: Es war eine geheime Wahl. Man kann überhaupt nicht sagen, wer genau wie abgestimmt hat. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass auch deutsche Sozialdemokraten und Grüne sie gewählt haben, obwohl das nicht die offizielle Linie war. Die AfD hat beispielsweise ganz klar angekündigt, Ursula von der Leyen nicht zu wählen. Für diese Offenheit hat sich von der Leyen bedankt, weil sie deren Stimmen auch wirklich nicht haben wollte.
DOMRADIO.DE: Der Riss in der Europäischen Union ist relativ tief. Wie kann Ursula von der Leyen das wieder kitten? Was muss jetzt getan werden?
Liese: Das wird wirklich eine Herkulesaufgabe, daran müssen wir alle gemeinsam arbeiten. Ich glaube, es muss auch den Ländern, die Sonderwege gehen, die beispielsweise unsere rechtsstaatlichen Prinzipien verlassen, klar sein, dass sie dann nicht auf Dauer die Solidarität anderer verlangen können.
Ursula von der Leyen schlägt einen systematischen Weg vor. Als es in Polen und Ungarn Schwierigkeiten gab, war es ein Problem, dass man die Regeln quasi erst erfinden musste. Da besteht immer die Gefahr, dass Kritik kommt, die Regeln seien zurechtgestutzt. In Zukunft sollte systematisch die Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedsstaaten überprüft werden und dann sollte man auch Konsequenzen ziehen, wenn ein Land diesen Weg verlässt.
Das Interview führte Verena Tröster.