Beginen - das waren im Mittelalter unverheiratete Frauen, die Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobten, jedoch nur für die Dauer ihres Aufenthalts auf dem Beginenhof. Sie verdienten ihren Unterhalt mit der Tuchherstellung, mit Waschen, Klöppeln und Spinnen, pflegten Kranke und kümmerten sich um das Totengedächtnis. Vom kirchlichen Verbot der Bewegung blieben die Beginenhöfe Flanderns und der Niederlande ausgenommen. Nach den Wirren der Reformation und der Religionskriege zählten Ende des 17. Jahrhunderts einige Höfe, wie Gent und Mechelen, bis zu 1.200 Beginen.
Auch Schwester Marcella Pattyn hat das Beginenleben noch genau so erlebt wie Generationen von Frauen vor ihr. Gebet, Krankenpflege und Handarbeiten bestimmten ihren Tagesablauf, zunächst ab 1941 in Gent, später in Kortrijk. Pfortendienst machte sie gerne. Da brachten Leute Strümpfe und Wäsche zum Stopfen, spendeten Geld, damit die Beginen verstorbene Verwandte in ihr Gebet einschlossen. In schlechten Zeiten und im Krieg strickte Marcella Pattyn Baby- und Kinderbekleidung. Die wurde dann verkauft - neben Spenden für die Krankenfürsorge eine der Einnahmequellen des Hofes.
Vom Kochen wurde sie dagegen befreit: Beim ersten Mal ließ sie die Milch anbrennen. Den Abwasch machen, das ging schon. Und Krankenpflege traute sie sich zu. Hinausgehen in die Stadt, zu den Kranken ins Haus, sie pflegen. "Das war ein großer Unterschied zu den Frauenorden damals", meinte Marcella Pattyn in einem ihrer letzten Interviews. Die hätten zurückgezogen gelebt, abgeschlossen für sich. Kinder unterrichten, das sei in den Orden der einzige Kontakt zur Außenwelt gewesen. Heute sei das anders. Doch schon damals hätten sich die Beginen der Welt, ihren Gefahren und ihren Versuchungen ausgesetzt.
Kein Orden wollte die fast blinde Novizin
In Gent lebten damals 150 Beginen. "Ich war die Jüngste", erinnerte sie sich an ihren Eintritt in das Leben als Begine 1941. In Kortrijk, wo sie 1960 auf dem Beginenhof eintraf, waren sie nur zu neunt. "Das war eine kleine Gemeinschaft." Und sie sollte immer kleiner werden: Keine weitere Begine kam später mehr hinzu. Und nun war sie die Letzte. 2005 verließ Marcella Pattyn den Beginenhof der Stadt und zog ins Altersheim. Am Ende machten die Augen nicht mehr mit. Aber sie seien nie in Ordnung gewesen, erklärte die kleine Frau.
Eigentlich wäre sie als junges Mädchen gerne Ordensfrau geworden, berichtete die zierliche Frau und zog ein Taschentuch aus dem Ärmel hervor, um sich das tränende Auge abzutupfen. "Aber das Ordensleben ist nicht immer nur Freude", hatte sie die Leiterin des katholischen Blindeninstituts gewarnt, der sie ihren Wunsch anvertraute. "Ich suche nicht Freude, sondern möchte dem Herrn dienen", habe sie geantwortet. Die Leiterin des Instituts, an dem Marcella Pattyn ihre Ausbildung erhielt, habe sich sehr bemüht. Doch von überall hagelte es Absagen. Kein Orden sei bereit gewesen, eine fast blinde Novizin aufzunehmen.
"Sie sind ein Stück Weltkulturerbe"
Letztlich sei eine Tante auf den Gedanken gekommen, Marcella könne Begine werden. Ein erster Beginenhof in Gent schickte sie nach einer Woche weiter, auch der Augen wegen. Im zweiten blieb sie dann - ihr Leben lang. Auch im Altersheim trug sie noch ihre Tracht, eine helle Bluse unter schwarzem Pullover, dazu einen schwarzen Rock, schwarze Strümpfe und schwarze Halbschuhe. Über ihrem Sessel ein Foto von ihr im Beginenhof. Die Tracht abzulegen, das Beginenleben aufzugeben - der Gedanke sei ihr nie gekommen, so Marcella Pattyn.
Bis zum Schluss betete sie täglich ihren Rosenkranz, wie sie es vor vielen, vielen Jahren gelernt hatte. Noch zu ihrem 91. Geburtstag brachte Kortrijks Bürgermeister Stefaan De Clerck auf den Punkt, was wohl alle dachten: "Sie sind ein Stück Weltkulturerbe. Sie dürfen noch nicht gehen!" Nun ist sie gegangen.
Am Sonntag (14.04.2013) starb Marcella Pattyn im Alter von 91 Jahren in einem katholischen Altersheim in Kortrijk im Westen Belgiens.