Christiane Florin hinterfragt die Strukturen der Kirche

"Mit meiner Zerrissenheit bin ich nicht allein"

Christiane Florin steht vor einem Dilemma. Sie fühlt sich ihrer Kirche verbunden. Sie ist aber auch genervt von Machtmissbrauch und Frauenverachtung. In ihrem Buch "Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben" kritisiert sie die Strukturen der Amtskirche.

Christiane Florin / © Antje Simon (Kösel Verlag)

Sie habe viele Gespräche geführt, sagt Christiane Florin. Sie habe den Menschen, besonders den Frauen an der katholischen Basis zugehört. Weiter habe sie sich durch katholische Lehrschreiben gewühlt, den Katechismus aufmerksam studiert und natürlich die Evangelien noch einmal gelesen. Ihre Bilanz falle ernüchternd aus. "Da gibt es eine enorme Differenz", sagt sie. "Die Kirche hat den Anspruch, die Perspektive der Leidenden einzunehmen, und auf der anderen Seite gibt es eine enorme Ignoranz diesem Leid gegenüber". Sie erzählt von Homosexuellen, die sich durch die Lehrmeinung der Kirche diskriminiert fühlten. Oder wie Frauen darunter litten, von bestimmten Ämtern in der Kirche ausgeschlossen zu werden und sich häufig, so hat sie das in den Gesprächen erfahren, von der auf den männlichen Priester zentrierten Kirche herabgesetzt fühlten.  

Katholischen Frauen eine Stimme geben

Diesen katholischen Frauen sei sie auf zahlreichen Lesungen ihres Buches "Weiberaufstand / Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen" begegnet. "Häufig sind nach den Lesungen Frauen zu mir gekommen", sagt Florin, "und haben mir ihre Geschichte erzählt, die bisher komplett ignoriert worden ist, weil immer gesagt wurde: ‚Wenn du dich zurückgesetzt fühlst, dann ist das dein persönliches Problem. Dann sei doch nicht so empfindlich‘". Sie habe dann den Frauen erklärt, diese Zurückweisungen seien doch nicht ein Gefühl der persönlichen Empfindlichkeit, sondern eine systemische Diskriminierung der Frauen durch die katholische Kirche.

Gleichberechtigung ohne Wenn und Aber

Die Frauenfrage in der Kirche spielt auch in ihrem neuen Buch "Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben" eine wichtige Rolle. Es geht Florin in dem Buch um eine kritische Analyse des Systems katholische Kirche. "Denn sexualisierte Gewalt, Frauenverachtung und Machtmissbrauch werden im katholischen System durch den auf den Priester zentrierten Klerikalismus begünstigt", sagt sie. Gleichberechtigung der Frauen in der Kirche ist für sie eine der Voraussetzungen für die Kirche, um wieder Glaubwürdigkeit zu gewinnen. "Wenn eine große, weltweit tätige Institution wie die Kirche sagt, Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Punkt. Ohne ein ABER dahinter, ohne irgendeine Form der Relativierung, könnte das schon weltweite Auswirkungen haben", sagt sie. "Wenn die Kirche aber alles so lässt, wie es ist, unterstützt sie natürlich auch die Patriarchen dieses Planeten. Wer Frauen unterdrücken will, konnte sich bislang und kann sich immer noch auf die katholische Kirche berufen", sagt Florin. So findet die Autorin überhaupt nicht, dass die katholische Kirche, wie jetzt gerade diskutiert wird, systemirrelevant sei - und weltweit sei sie das schon überhaupt gar nicht, sagt sie. "Sie könnte eine wichtige Stimme sein, auch in Fragen der Gleichberechtigung", meint Florin.

Die Leugnung der Macht

Ein Kapitel in Ihrem Buch widmet die Journalistin dem Thema Macht. "Macht gibt es nicht. Im Reich der Bescheidenheitsbrutalität", heißt die Überschrift über dieses Kapitel. Diese "Bescheidenheitsbrutalität" bestehe in der Leugnung von faktischer Macht. Jedes Amt sei Dienst, analysiert Florin die Rhetorik der Amtskirche: "Das ist aber schlicht nicht wahr. Nur weil der Herrscher seine Herrschaft Dienst nennt, heißt es noch lange nicht, dass es keine Herrschaft gibt. Wie hat es Benedikt XVI. ausgedrückt? Ich bin ein einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn. Da habe ich doch für jemanden, der Papst geworden ist, ein paar Fragen. Ich fände es ehrlicher zu sagen: Mensch! Super! den Posten habe ich mein Leben lang angestrebt. Super, dass ich es geworden bin. Und jetzt gestalte ich was". Denn es gehe um die Zukunftstauglichkeit der Kirche, um das Verhältnis zwischen den Hirten und den Schafen, um echte Mitbestimmung statt "Partizipationssimulation", um ein Weiterkämpfen, statt in Zynismus abzurutschen. Natürlich habe die Kirche immer auch die autoritäre Option, sagt Florin, man könne für den heiligen Rest auch so weitermachen. "Dann muss man sich aber auch fragen, ist es noch so schön? Kann man die Macht noch so genießen, wenn einem nur noch ein paar Leute zujubeln?"

Streit ist nichts Schlimmes

Gerne würde sie mit den von ihr kritisierten Amtsträgern ihrer Kirche über ihre Einwände und Gedanken streiten. Sie stelle aber oft fest, dass es da eine gewisse Flucht vor offenen Konflikten gebe. Dem Streit werde immer wieder ausgewichen, sagt sie, dabei sei Streit doch nichts Schlimmes, sondern wichtig und notwendig. "Ich finde nur, dass bestimmte Regeln beim Streiten eingehalten werden sollten," sagt sie auch, "zum Beispiel, dass man nicht persönlich wird. Aber in der katholischen Kirche ist jede Auseinandersetzung persönlich. Wenn ich lese, mein Buch sei ein Frust-Buch, dann ist das eine persönliche Kritik. Ich bin nicht frustriert. Über meine Persönlichkeit kann sich eigentlich kein Rezensent ein Urteil erlauben. Oder wenn jemand Gleichberechtigung für Homosexuelle fordert, kommt sofort der Vorwurf, man sei schwul. Das ist immer diese persönliche Ebene. Ich bin aber dafür, über Gedanken zu streiten".

Trotzdem katholisch

Christiane Florin fühlt sich ihrer Kirche verbunden. Der Amtskirche steht sie kritisch, vielen Strukturen ablehnend gegenüber. "Mit meiner Zerrissenheit bin ich sicherlich nicht allein", sagt sie. "Trotzdem!" - Sie bleibt katholisch. Aber wie stabil ist dieses "Trotzdem" noch? Oder wackelt es. Wird sie, wenn sich wenig in der Kirche bewegt, katholisch bleiben? "Die Auseinandersetzung mit dem, was als christliche Botschaft bezeichnet wird, die wird ja immer bleiben" sagt sie, nachdem sie kurz überlegt hat. "Das bleibt ein lebenslanger Drahtseilakt. Das ist ein Teil meiner Person, meiner Lebensgeschichte, meiner Identität. Das kann ich ja so nicht ablegen. Selbst wenn ich keine Kirchensteuer mehr zahlen würde, könnte ich das ja nicht ablegen".


Quelle:
DR