Mitglied des Syrischen Nationalrats fordert sofortigen Rücktritt Assads

"Eine noch größere Katastrophe droht"

"Die Menschen in Syrien haben die Hoffnung in die internationale Staatengemeinschaft fast endgültig verloren", sagt Ferhad Ahma, Mitglied des Syrischen Nationalrats, der wichtigsten Exil-Organisation der syrischen Opposition. Er appelliert im domradio.de-Interview an den Westen, den Worten endlich Taten folgen zu lassen.

 (DR)

domradio.de: In Syrien sterben die Menschen und sind zu hunderttausenden auf der Flucht - derweil melden die Nachrichten, Großbritanniens Premier Cameron habe mit Frankreichs Präsident Hollande über Syrien gesprochen. Obama habe mit Erdogan die Situation erörtert - macht sie dieses Reden ohne Ergebnisse langsam wütend?

Ferhad Ahma: Die Menschen in Syrien haben die Hoffnung in die internationale Staatengemeinschaft fast endgültig verloren. Deswegen erleben wir auch diese Eskalation seit einem Monat. Es wird so weitergehen, weil die Staatengemeinschaft alle politischen Bemühungen nicht durchsetzen konnte, es gab Pläne von Kofi Annan und die arabische Initiative. Dabei ist es aber auch geblieben, es gab überhaupt kein Durchsetzungsvermögen auf Seiten der internationalen Staatengemeinschaft. Deshalb haben die syrische Opposition und die Menschen in Syrien die Hoffnung in die diplomatischen Bemühungen verloren und sind letztendlich auch zu der Entscheidung gekommen, dass ein Regierungswechsel höchstwahrscheinlich nur mit Waffengewalt möglich ist.



domradio.de: UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat gestern erneut eine sofortige Einstellung der Kämpfe gefordert  - auch das nicht zum ersten Mal. Ist das nur noch eine Geste der Hilflosigkeit der internationalen Gemeinschaft?

Ferhad Ahma: Was gefordert werden muss, ist ein sofortiger Rücktritt Assads! Er muss das Land verlassen und den Menschen ermöglichen, einen demokratischen Wechsel in Syrien herbeizuführen. Es nutzt den Menschen in Syrien nichts, wenn die Waffen für fünf Minuten schweigen und dann die Kämpfe wieder aufgenommen werden. Ein Waffenstillstand war ja die Forderung von Annan und auch der arabischen Initiative. Aber Assad hat sich nicht daran gehalten, es wurden keine Panzer von den Straßen abgezogen und keine Soldaten zurückgezogen. Im Gegenteil, man schickt immer mehr Armeeeinheiten auch in die Wohngegeneden. Man sieht sogar auch, dass Wohngegenden in Aleppo, Damaskus und anderen Städten aus Kampfjets und Hubschraubern bombardiert werden.



domradio.de: Kritiker warnen jetzt vor einer religiösen Komponente des Krieges in Syrien: Der Assad-Clan und das Regime gehören der schiitischen Gruppierung der Alawiten an. Die Aufständischen sind mehrheitlich Sunniten. Befürchten sie das auch, dass das in einen Religionskrieg ausarten könnte?

Ferhad Ahma: Die Syrer gehen seit über einem Jahr auf die Straße gegen das Regime und seit Monaten gibt es den bewaffneten Arm der Opposition. Wir haben bis jetzt keine wirklich flächendeckenden religiösen Kämpfe gehabt. Es gibt sicherlich hier und da religiös begründete Auseinandersetzungen, aber was wir sehen, ist einfach der Wunsch der syrischen Bevölkerung, nach 50 Jahren Diktatur in Würde und Freiheit zu leben. Das Regime hat natürlich darauf spekuliert und tut auch alles, um einen religiösen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten zu provozieren. Das ist ihnen aber nicht gelungen und wird ihnen auch nicht gelingen. Die Syrer sind sich bewusst, welche Herausforderungen auf sie zukommen werden, deshalb haben sie vor dem Aufstand dafür gesorgt, dass Gespräche zwischen allen religiösen und ethischen Minderheiten geführt wurden. Und da wurde auch über eine künftige Verfassung diskutiert, in der die Menschenrechte aller Menschen in Syrien verankert werden.



domradio.de: Hinter diesem sunnitisch-schiitischen Konflikt stehen die Regime Saudi-Arabien und der Iran, die um die Vormachtstellung in der Region kämpfen. Müsste nicht gerade deshalb der Westen sich daran halten, den Krieg so schnell wie möglich einzudämmen?

Ferhad Ahma: Syrien ist ein wichtiges Land und es gibt viele Länder, die ein großes Interesse an der Lage in Syrien haben. Dazu gehören auch die Türkei und Israel. Die Stabilität des Libanon ist auch von der Lage in Syrien abhängig. Gerade aufgrund dieser Umstände müsste der Westen eigentlich schneller intervenieren und eine Entscheidung herbeiführen. Was wir aber gesehen haben, waren eher politische Willensbekundungen, einzelne Hilfen für die Opposition und humanitäre Maßnahmen. Aber letztendlich hat das das Leid der Menschen in Syrien vor Ort nicht gemindert. Wir haben schon 20.000 Menschen verloren, die Dunkelziffer dürfte noch einmal so hoch sein. Wir haben in Syrien mindestens 1.5 Millionen Binnenflüchtlinge, die momentan in vielen Provinzen und Städten auf den Straßen, Schulen und in öffentlichen Einrichtungen schlafen und Hilfe suchen. Wir haben fast eine halbe Million Flüchtlinge in den Nachbarländern. Das ist ein Appell an die Internationale Staatengemeinschaft, schnellstmöglich zu handeln, um eine noch größere Katastrophe in Syrien und der Region insgesamt zu verhindern.