Darüber haben die deutschen Bischöfe beraten

Mitgliederschwund, Missbrauch und Suizid

Mehr Mitgliederorientierung, mehr Missbrauchsaufarbeitung und ein klares "Nein" zur Suizidbeihilfe: Diese Ergebnisse stehen am Ende der Vollversammlung der deutschen Bischöfe. Auch der Synodale Weg war Thema der Abschlusspressekonferenz.

Pressekonferenz bei der Frühjahrsvollversammlung / © Sascha Steinbach (epa pool)
Pressekonferenz bei der Frühjahrsvollversammlung / © Sascha Steinbach ( epa pool )

Die katholischen Bischöfe in Deutschland suchen nach neuen Wegen des Kircheseins und wollen dabei auch die Mitgliederorientierung verstärken. Das ist ein Ergebnis des Studientags zu Kirchenaustritten, den die 68 Bischöfe und Weihbischöfe bei ihrer am Donnerstag zu Ende gegangenen Frühjahrsvollversammlung absolvierten.

"Unterschiedliche Studien aus den vergangenen Jahren haben gezeigt, dass die Gemeinde- beziehungsweise Territorialseelsorge den weitaus größeren Teil von Katholiken nicht mehr erreicht", erklärte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, der auch Vorsitzender der Pastoralkommission der Bischöfe ist. Die Kirche müsse den Blick weiten auf Menschen, die sich in der klassischen Pfarrgemeinde nicht mehr beheimatet fühlten und doch noch etwas von ihrer Kirche erwarteten.

Es gelte, auch ihre Perspektive einzunehmen und ihre Sprache zu verstehen, sagte der Konferenzvorsitzende, Bischof Georg Bätzing, am Donnerstag vor Journalisten. "Das wünschen sich vor allem Menschen mit Brüchen in der Biographie, Menschen, die nicht selten auch durch lehramtliche Aussagen oder Ausschlüsse vom kirchlichen Leben sehr verletzt wurden."

Beteiligung an Untersuchung der Evangelischen Kirche

Die Seelsorgerinnen und Seelsorger vor Ort brauchten dafür ein Signal der Bischöfe, dass neue Wege, Kreativität und Offenheit möglich seien, ohne gleich zu wissen, was dabei herauskommt. "Dabei ist uns sehr bewusst, dass uns dies nur ökumenisch, mit den Christen der anderen Konfessionen gelingen kann", betonte Bätzing. Deshalb werde sich die Bischofskonferenz künftig an der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) der Evangelischen Kirche beteiligen. Sie analysiert die Haltung und Auffassungen ihrer Mitglieder seit 1973 in Form von Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen.

Die Bischöfe hatten zu ihrem Studientag mehrere Experten eingeladen, die die Situation in der evangelischen Kirche, in Ostdeutschland und anderen europäischen Ländern analysierten, darunter der in Paris lehrende Jesuit Christoph Theobald. Es gehe Theobald "zentral um eine Umkehr der Kirche. Statt um sich selbst und ihre innerkirchlichen Konflikte zu kreisen, soll sie ihre Aufmerksamkeit den Menschen in ihrem jeweiligen Sozialraum zuwenden", so Bätzing.

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz betonte, die Bischöfe müssten bereit sein, mehr Vielfalt und Ungleichzeitigkeiten zu ermöglichen und auszuhalten - "auch in den Glaubenswegen, in den Formen von Kirchesein, in der Offenheit der Lebenswege und der Wahrheitssuche von Menschen". Der Limburger Bischof weiter: "Wir befinden uns in einem epochalen Umbruch von Kirche und Christsein heute. Wir merken, dass die alten Bilder von Seelsorge und auch von Leitung in der Kirche nicht mehr tragen, aber wir haben noch keine neuen Bilder."

Bätzing verteidigt Aufarbeitung von Missbrauch gegen Kritik

Bischof Bätzing hat zum Ende der Vollversammlung die Aufarbeitung von Missbrauch in der katholischen Kirche gegen Kritik verteidigt. In der öffentlichen Wahrnehmung scheine es mitunter, "als ob sich die Kirche überhaupt nicht bewege". Tatsächlich habe das Thema aber auch auf der nun beendeten Vollversammlung hohe Priorität gehabt.

Bätzing verwies unter anderem auf Überlegungen, die kirchliche Strafprozessordnung zu ändern, eigene Strafgerichte einzurichten und die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Kirche zu reformieren. Diese Überlegungen seien weit gediehen und müssten nun mit Rom abgestimmt werden.

Alle Bischöfe stünden in der Verantwortung; die Aufarbeitung sei noch lange nicht abgeschlossen, fügte Bätzing hinzu. Mit Blick auf die hohen Kirchenaustrittszahlen im Erzbistum Köln als Folge der Kritik an der Aufarbeitung des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki fügte Bätzing hinzu: "Kirchenaustritte nehmen wir wahr als eine Reaktion auf das skandalöse Bild von Kirche, was wir derzeit abgeben." Es greife jedoch zu kurz, den Fokus allein auf Woelki zu richten. Bätzing weiter: "Im Schatten von Köln liegen erfolgreiche Aufklärungsvorgänge."

Bischöfe wollen geistlichen Missbrauch intensiver angehen

Die Bischöfe wollen sich künftig verstärkt auch mit dem sogenannten geistlichen Missbrauch befassen, so Bätzing. Anders als beim sexuellen Missbrauch geht es dabei um Formen der seelischen Manipulation erwachsener Christen durch geistliche Führungsgestalten.

Manchmal sind sie auch mit sexuellen Übergriffigkeiten verbunden. Etliche dieser Vorfälle haben sich in den "Geistlichen Bewegungen" ereignet, die Ende des 20. Jahrhunderts verstärkten Zulauf in der Kirche bekamen. Im Vorfeld der Bischofskonferenz hatte es Buchveröffentlichungen, Medienberichte sowie einen Offenen Brief von Betroffenen zu diesem Thema gegeben. Bätzing erklärte dazu: "Wir nehmen dieses Phänomen sehr, sehr ernst und müssen auch hier Licht ins Dunkel bringen." Eine Arbeitsgruppe der Bischofskonferenz befasse sich seit einigen Jahren mit dem Thema. Federführend seien der Münsteraner Bischof Felix Genn und der Dresdner Bischof Heinrich Timmerevers.

In der Vollversammlung sei überlegt worden, dass die ersten Ansprechpartner in diesem Themengebiet die Bistümer selbst seien, um so geistlichem Missbrauch in der Kirche zu begegnen. Eine Arbeitsgruppe werde eine Definition und Kriterien für geistlichen Missbrauch erarbeiten sowie Empfehlungen zur Qualifikation der Ansprechpersonen in den Bistümern formulieren.

Der Vorsitzende betonte, er nehme die unlängst in einem von Betroffenen an ihn gerichteten offenen Brief dargelegten Anliegen ernst und sagte zu, die Inhalte würden in die Überlegungen der zuständigen Kommissionen einbezogen.

Bischöfe bekräftigen Nein zu Suizid-Beihilfe

Die katholischen Bischöfe in Deutschland bekräftigten auf der Vollversammlung erneut ihre ablehnende Haltung gegenüber jeder Form der Sterbehilfe. "Die Beihilfe zum Suizid ist keine zustimmungsfähige Handlungsmöglichkeit. Das ergibt sich unserer Überzeugung nach sowohl aus dem christlichen Glauben als auch aus einer allgemein zugänglichen Ethik", hieß es zum Abschluss der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz.

Die in diesem Zusammenhang häufig angeführte Selbstbestimmung des Menschen sei nur auf der Grundlage seines Lebens möglich. "Beendet er das eigene Leben, zerstört er auch die Grundlage seiner Autonomie", so die Bischöfe. Zugleich warnen die Bischöfe vor gesellschaftlichem Druck auf Alte und Schwerstkranke, dem assistierten Suizid zuzustimmen, um anderen nicht zur Last zu fallen. "Dieser Druck ließe sich von Kranken und Sterbenden nicht mehr fernhalten, wenn der assistierte Suizid zu einem Normalmodell des Sterbens würde", heißt es.

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, betonte, dass trotz Debatten über den assistierten Suizid innerhalb der evangelischen Kirche die Positionen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Bischofskonferenz nah beieinander seien. "Wir werden die Thematik des assistierten Suizids weiter in den ökumenischen Gesprächen mit der EKD erörtern", so Bätzing.

Was die beiden vorliegenden Gesetzesentwürfe zur Neuregelung der Suizidbeihilfe angeht, so sei absehbar, "dass die in den Entwürfen vorgeschlagenen Bedingungen weder einen wirksamen Schutz des Lebens noch die Autonomie der betroffenen Personen angesichts der physischen und psychischen Belastungen gewährleisten".

Katholische Sterbebegleitung soll verbessert werden

Die katholischen Bischöfe wollen vielmehr die Begleitung von alten und kranken Menschen in der letzten Lebensphase verbessern. Das Leitbild sei ein Sterben in Würde ohne die Flucht in die Selbsttötung, heißt es in einer Erklärung für die kirchliche Seelsorge in der Hospiz- und Palliativversorgung. Sie wurde bei der am Donnerstag zu Ende gegangenen Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe verabschiedet.

"Der einfühlsame Umgang mit existenziellen Fragen und Fragen des Glaubens, die sich in der Nähe des Todes stellen, wird in unserer alternden Gesellschaft zunehmend wichtig. Dazu leistet die kirchliche Seelsorge einen wesentlichen Beitrag", heißt es. Um die pastorale Begleitung auch in Zukunft gewährleisten zu können, sei ein multiprofessioneller Austausch notwendig.

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, wies in diesem Zusammenhang auf die diesjährige ökumenische Woche für das Leben (17. bis 24. April) hin. Sie steht unter dem Leitwort "Leben im Sterben" und soll die Sorge um Schwerkranke und sterbende Menschen durch palliative und seelsorgliche Begleitung aufgreifen. "Während der Corona-Pandemie ist diese Fürsorge aufgrund verstärkter Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen umso herausfordernder", so Bätzing.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am 26. Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung gekippt. Die Selbsttötung gehöre zum Recht auf Selbstbestimmung, so die Richter. Das schließe auch die Hilfe Dritter ein. Zugleich betonte Karlsruhe, die Politik solle den genauen Rahmen festlegen und Konzepte gegen einen möglichen Missbrauch erarbeiten. Der Bundestag will noch vor der Wahl im September ein neues Gesetz zur Suizidbeihilfe verabschieden.

Bätzing sieht Fortschritte bei Synodalem Weg und wirbt um Geduld

Bischof Bätzing sieht beim Synodalen Weg Fortschritte, warnte zum Abschluss der Frühjahrsvollversammlung aber zugleich vor zu großem öffentlichen Druck. Die nächste Zusammenkunft des Dialogs zur Zukunft kirchlichen Lebens werde eine Synodalversammlung sein.

Die Synodalversammlung ist das höchste beschlussfassende Gremium der von den Bischöfen und katholischen Laienvertretern 2019 gestarteten Initiative. Ausgangspunkt ist eine jahrelange Kirchenkrise, die der Missbrauchs-Skandal verschärft hat. In der Debatte geht es vor allem um die Themen Macht, Priestertum und Sexualmoral sowie um die Rolle der Frauen in der Kirche.

Auf der Vollversammlung diskutierten die Bischöfe laut Bätzing vor allem über die Rolle der Frau und den Umgang mit Homosexualität. "Besonders angesprochen wurde in diesem Zusammenhang das Zueinander von Lehre und Praxis", so der Bischofskonferenz-Vorsitzende. "Wir haben uns darauf verständigt, dass wir theologische Grundfragen dieser Art auch in unseren kommenden Vollversammlungen weiter vertiefen wollen."

Nach seinem Eindruck ist beim Synodalen Weg "auf gute Weise gestritten" und um Lösungen gerungen worden, bilanzierte Bätzing. Er warb zugleich um Geduld. "Einige meinen, nur durch lauten öffentlichen Protest ließen sich die notwendigen oder von ihnen für notwendig erachteten Veränderungen voranbringen. Ich möchte das gar nicht bewerten, wohl aber klarstellen: Der Synodale Weg ist ein geistlicher Prozess, und die Klärung hoch komplexer Fragen und die damit verbundene geistliche Unterscheidung lassen sich nicht beliebig beschleunigen."

Bätzing betonte: "Die Bischöfe bleiben auf Kurs. Aber wir können und werden uns gerade um des Erfolgs des ganzen Projekts willen weder drängen noch bedrängen lassen."

Bätzing hält an Ziel der Mahlgemeinschaft der Kirchen fest

Bischof Bätzing hält unterdessen am Fernziel einer sakramentalen Mahlgemeinschaft der christlichen Kirchen fest. Auf dem Weg dahin erhoffe er sich vom Ökumenischen Kirchentag im Mai weitere theologische Impulse, erklärte er weiter.

Das von katholischen und protestantischen Theologen ausgearbeitete Papier "Gemeinsam am Tisch des Herrn", gegen das es Einwände aus dem Vatikan gibt, bezeichnete er als "Zwischenschritt" auf diesem Weg. Zu den Einwänden aus Rom gegen das Papier bemerkte Bätzing, die Bischofskonferenz nehme diese Hinweise ernst und wolle das theologische Gespräch über die umstrittenen Punkte fortführen.

Dabei gehe es um die Verhältnisbestimmung von Einheit und Vielfalt, den inneren Zusammenhang von Eucharistie, Kirche und Amt sowie um eine Theologie des Gewissens. Dazu werde man nach der Corona-Pandemie auch den direkten Kontakt mit den zuständigen römischen Stellen suchen. Er hoffe, dass der in Rom für Ökumene zuständige Kardinal Kurt Koch eine vorsichtige Öffnung in dieser Frage wohlwollend prüfen werde.

In der Debatte um die Teilnahme von evangelischen Christen an der katholischen Eucharistiefeier, sagte der Limburger Bischof, er verwehre einem Protestanten nicht die heilige Kommunion, wenn er darum bitte. Würden andere Seelsorger auch so handeln, werde er sie nicht maßregeln, betonte Bätzing. Eine allgemeine Einladung zur Teilnahme an der Eucharistiefeier bedürfe allerdings noch weiterer Schritte. Der Respekt vor der Gewissensentscheidung Einzelner sei jedoch davon unabhängig schon jetzt zu respektieren, so Bätzing.

Bischöfe kritisierten EU-Flüchtlingspolitik

Weiter haben die katholischen Bischöfe in Deutschland die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union scharf kritisiert. In Bosnien-Herzegowina und Griechenland harrten Flüchtlinge unter erbärmlichen Bedingungen in Lagern aus, sagte Bischof Bätzing. "Vor unserer Haustür geschieht Menschenverachtendes."

"Die mangelnde Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten und eine bewusste Politik der Abschreckung haben zu dieser Situation entscheidend beigetragen. Damit muss Schluss sein", forderte der Bischof von Limburg. "Europa trägt eine Mitverantwortung. Wer die Anliegen der Flüchtlinge ausblendet, vergisst die Werte, auf denen die Europäische Union gründet." Gefragt seien "menschenwürdige Aufnahme- und Verfahrensstandards sowie eine faire Verantwortungsteilung zwischen den Mitgliedstaaten".

In Deutschland lebende Menschen ohne Aufenthaltsstatus müssten ihre grundlegenden sozialen Rechte in Anspruch nehmen können, so Bätzing weiter. "Dabei wird nicht bestritten, dass der Staat Fragen des Aufenthalts in unserem Land regeln muss. Vielmehr geht es darum, immer wieder anhand konkreter Sachfragen dafür zu sensibilisieren, dass die Menschenrechte unabhängig vom jeweiligen Status gelten." Aktuell sei ein Zugang zu Corona-Tests und -Impfungen vordringlich.

Darüber hinaus prangerte Bätzing Ausbeutung von Arbeitern aus anderen Ländern Europas an, die in der Fleischindustrie tätig sind. Die Kirche setze sich für eine ausbeutungsfreie Wirtschaft ein. Da der Menschenhandel ein grenzübergreifendes Verbrechen darstelle, bedürfe auch seine Bekämpfung der internationalen Vernetzung.

Katholische Schwangerenberatung verzeichnet stabile Nachfrage

Zum Abschluss der Vollversammlung gab Bischof Bätzing noch Einblicke in die Statistik der katholischen Schwangerenberatungsstellen in Deutschland. Diese sind demnach im Jahr 2019 von mehr als 110.000 Klienten aufgesucht worden. Damit sei die Zahl der Beratungen in den 274 Einrichtungen von Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) im Vergleich zu den Vorjahren weitgehend stabil geblieben; sie sei zugleich im Vergleich zum migrationsbedingten Hoch der Jahre 2014 bis 2016 zurückgegangen, teilte Bischof Bätzing mit. 2016 waren 122.400 Ratsuchende registriert worden.

Die Daten offenbarten, dass die katholische Schwangerschaftsberatung über alle Altersstufen, Familienstände, Staats- und Religionszugehörigkeiten hinweg in Anspruch genommen werde, sagte der Limburger Bischof. Gerade in der Corona-Pandemie zeigten sich die Vorteile einer gut ausgebauten Onlineberatung, die bereits seit 2001 entwickelt und beständig weiter ausgebaut worden sei. Seit Oktober 2019 ist die katholische Schwangerschaftsberatung auf der neuen Caritas-Beratungsplattform zu finden.


Bischof Georg Bätzing / © Sascha Steinbach (epa pool)
Bischof Georg Bätzing / © Sascha Steinbach ( epa pool )
Quelle:
KNA
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