Himmelklar: Zum zweiten Mal finden heute in Deutschland Segensfeiern der Aktion #liebegewinnt statt. Mit Ihrer Gemeinde “Zeitfenster” in Aachen haben Sie letztes Jahr auch schon die Segensfeiern im ganzen Land mitorganisiert. Wie kam es denn dazu?
Ursula Hahmann (Mitorganisatorin von #liebegewinnt, Gemeinde "Zeitfenster" in Aachen): Es gab im Frühjahr 2021 das Signal aus Rom, das bestärkt hat: Queere Menschen, Schwule und Lesben, homosexuelle Paare dürfen nicht gesegnet werden. Das hat große Wellen geschlagen. Bernd Mönkebüscher und Burkhard Hose haben unter pastoralen Diensten die Unterschriftenaktion #mehrsegen gestartet. Parallel gab es aber viele Stellen, an denen Leute gesagt haben: So geht das nicht. Das ist diskriminierend, das ist diskreditierend. Die Menschen sind so, wie sie geschaffen sind, Gott geliebt – und wer sind wir, dass wir das in Frage stellen?
In unserer Gemeinde "Zeitfenster" gab es in der Tat immer schon die Möglichkeit in Gottesdiensten, sich segnen zu lassen. Da waren auch Paarkonstellationen dabei, die kirchenrechtlich kein Sakrament empfangen können. Deswegen war das für "Zeitfenster" eigentlich eine Selbstverständlichkeit: Schwule und Lesben können gesegnet werden, na sicher.
Dann kam die Anfrage die Segnungsgottesdienste am 10. Mai 2021 zu unterstützen. Meine erste Reaktion war tatsächlich Zurückhaltung, weil ich dachte: "Das ist so selbstverständlich. Gesellschaftlich ist das Thema durch". Und es ist auch gut, dass es durch ist. Ich bin selber heterosexuell, verheiratet und habe zwei Kinder, Anerkennung für andere ist absolut unspektakulär. Es kam mir ziemlich paternalistisch vor zu sagen: Ihr lieben Schwulen und Lesben, kommt zu uns und wir segnen euch. Die Haltung erschien mir unangemessen. Das ist bis heute auch noch so, dass ich ein bisschen dabei zucke und mich frage: Ist das eigentlich okay, was wir da machen?
Dann kam aber tatsächlich aus schwul-lesbischen Kreisen in Aachen das Signal: "Bitte macht da mit!" Das hat mich dann motiviert. Wir hatten eine junge Predigerin, eine Ärztin, gut katholisch und Messdienerin, die erzählt hat, wie das für sie ist, permanent diskriminiert zu werden von der Kirche, die sie eigentlich liebt. Das hat es mir dann leicht gemacht, die Aktion zu unterstützen.
Himmelklar: Sie haben gesagt Sie sind selber heterosexuell. Weshalb engagieren Sie sich dafür, wenn Sie es doch nicht selber betrifft?
Hahmann: In Frankreich gab es in den 1980er-Jahren mal eine Kampagne "Touche pas à mon pote" – mach meinen Kumpel nicht an! Da ging es um Ausländerdiskriminierung. Hier habe ich das gleiche Gefühl. Wir können doch nicht mit dem Finger auf den Nächsten zeigen und ihn immer wieder ausschließen, wo er doch von Gott geliebt und geschaffen ist. So wie ich auch finde, dass man in anderen Kontexten Haltung zeigen muss, ist das auch hier der Fall. Es war ja auch eine breite Bewegung: Wenn Sie allein überlegen, an wie vielen Kirchen Regenbogenfahnen hingen, zeigt sich darin eine deutliche Positionierung. Da hat man gesehen, wie viele Gemeinden hier eindeutig Haltung zeigten und auch, wie weit man da von der offiziellen Position weg ist.
Himmelklar: Einerseits bekommt Ihr Engagement großen Respekt in der Öffentlichkeit, andererseits widersprechen die Segensfeiern aktiv dem Willen des Vatikan. Ist das als überzeugte Katholikin nicht ein schwieriges Spannungsfeld?
Hahmann: Nein, das sehe ich nicht. Ich bin jetzt gut 50 Jahre rheinländische Katholikin. Ehrlich gesagt kann man nur in dieser Kirche bleiben, wenn man mit einer großen Offenheit und Liebe mit ihr umgeht. Es gibt ganz viele Vorgaben und Regeln, bei denen es total normal ist, sich nicht so richtig daran zu halten. Ich glaube, das ist auch die Chance und die Kraft dieser Kirche, dass sie diese Verschiedenheit aushält, dass sie trotzdem eins bleibt, trotz ihrer Diversität in Ausdrucksformen und obwohl nicht alle perfekte Katholik:innen sind, so wie das aus Rom zentral gesetzt wird.
Himmelklar: Gab es denn Ärger oder Beschwerden nach den Segensfeiern?
Hahmann: Na ja, es gab natürlich von gewissen Kreisen Hass, angesichts dessen man sich tatsächlich fragt: Was hat das noch mit dem katholischen oder christlichen Glauben zu tun? Das finde ich tatsächlich auch bedenkenswert, weil ich das überhaupt nicht mehr mit Jesus Christus in Verbindung bringen kann. Von offizieller Seite gab es gar nichts. Bischof Dieser bei uns in Aachen hatte im Vorfeld schon gesagt, dass dies – auf sein seelsorgerisches Personal bezogen – eine Gewissensentscheidung sei. Er steht ja mittlerweile auch sehr deutlich für Segensfeiern ein. Ich hatte damals den Gottesdienst geleitet, bin aber weder Theologin, noch Angestellte des Bistums. Gepredigt hat eben diese Ärztin, zusammen mit einer Pastoralreferentin hier aus dem Bistum. Der Pfarrer unserer Pfarrei war auch da, hat begrüßt und hat selbst sehr deutlich gesagt, dass er für die Segnungen einsteht.
Von daher: Nein. Aber natürlich bekommen wir als Initiator:innen mit, wo auf einer Karte weiße Flecken bleiben, also wo keine Gottesdienste stattfinden. Wir bekommen auch mit, dass in manchen Bistümern Anrufe aus Personalabteilungen kamen, wo es Anweisungen gab, das bitte alles sehr genau zu dokumentieren, falls es im Nachgang Ärger aus Rom gäbe, damit man alles belegen könne. Das war also nicht für alle Mitwirkenden so einfach wie für uns.
Himmelklar: Mit der Aktion #liebegewinnt haben Sie eine riesige Welle losgetreten, auch über den kirchlichen Bereich hinaus. Der Umgang der Kirche mit nicht-heterosexuellen Menschen ist inzwischen im gesellschaftlichen Bewusstsein als Problem angekommen, auch durch die Aktion #OutinChurch. Auf höchster Ebene soll nun auch das kirchliche Arbeitsrecht reformiert werden. – Hätten Sie mit diesen Reaktionen und Konsequenzen vorher gerechnet?
Hahmann: Das hat uns tatsächlich auch überrascht, wie stark #liebegewinnt medial aufgegriffen wurde. Das ist ja gerade bei den Initiator:innen dann stark aufgekommen, dass wir von vielen verschiedenen Seiten gefragt wurden, wie wir dazu stehen und was der Hintergrund ist. Das fand ich überraschend und zugleich ist es absolut überfällig. Allerdings: Es hat sich seither ja substanziell noch gar nichts geändert. Wir stehen immer noch davor, dass natürlich nicht ein lesbisches Paar ganz selbstverständlich in ein Pfarrbüro marschieren kann und sagen kann: "Wir wollen heiraten, wir wollen unsere Liebe segnen lassen.” Mit dieser Selbstverständlichkeit, wie das ein heterosexuelles Paar kann, kann das kein queeres Paar machen, oder? Da finde ich, ist noch ganz viel offen. Das ist ja auch das Motto der zweiten Runde. Es ist noch sehr viel offen. Es hat noch kein Bischof anders entschieden. Wir haben dieses Mal tatsächlich eine Bischofskathedrale dabei: Magdeburg. Da wird ein Segnungsgottesdienst stattfinden. Aber es hat sich noch kein Bischof geoutet. Es hat sich noch kein Generalvikar geoutet. Auch noch kein Bischof oder Generalvikar steht einer solchen Feier vor. Von daher ist noch viel offen.
Himmelklar: Aber Sie haben sich ein wenig professionalisiert. Es gibt Aufkleber, es gibt Kooperationen mit Firmen …
Hahmann: Nein, das würde ich gar nicht so sehen. Vom Aufwand ist es eigentlich weniger Arbeit als letztes Mal, wo wir ja tatsächlich von null gestartet sind. Es ist kein Selbstläufer gewesen. Auch da war ganz viel Arbeit im Hintergrund, allein um #liebegewinnt bekannt zu machen, um Gemeinden zu motivieren, mitzufeiern, trotz ungewisser Gefahrenlage. Jetzt wissen alle, wie sehr der eigene Bischof zuckt oder nicht zuckt. Ich erinnere daran, dass Bischof Bätzing damals noch gesagt hat, diese Segensfeiern seien “nicht hilfreich”. Nachher hat er es, glaube ich, auch etwas differenzierter gesehen und gemerkt, dass dadurch jetzt nicht die Welt untergegangen ist.
Von daher: Aufkleber sind jetzt nicht so spektakulär. Und die Idee ist tatsächlich: Wenn man so einen Gottesdienst macht, wie macht man das schön? Da war so eine Idee, den Leuten vielleicht was mitgeben zu können. Eigentlich ist es null professionalisiert. Wir machen das alle ehrenamtlich und stecken eher Geld rein, als dass wir etwas davon hätten.
Himmelklar: Nun wissen wir, dass Reformen in der Kirche sehr langwierig bis Teils unmöglich erscheinen. Wann glauben Sie, dass sich durch Ihre Aktion realistisch etwas in der Kirche ändern wird?
Hahmann: Ich glaube, wirklich etwas verändert hat sich schon, nämlich an Haltung, an Selbstbewusstsein, an Selbstermächtigung, die notwendig ist, damit diese Kirche eine Relevanz hat. Damit diese Botschaft eine Relevanz hat. Keiner möchte ja die Kirche retten, sondern die Idee ist doch zu sagen: Es gibt eine Botschaft, und die ist es wert, gehört zu werden. Dafür brauchen wir ein Werkzeug, und das nennen wir Kirche.
Insofern ist es schon sehr relevant, jetzt anzufangen und zu sagen: Einheit heißt nicht, dass wir alles überall gleich machen, sondern es ist gut, wenn es Ortskirchen gibt, die einen Schritt vielleicht ein früher tun oder anders tun, so wie das aber auch in vielen Kontexten schon der Fall ist. Das Blöde ist, dass man nach Deutschland immer so scharf hinschaut und meint, man müsste das regulieren oder einhegen, weil man offensichtlich Angst vor einer Art Dominoeffekt hat. Das finde ich unsouverän und überzogen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.