Mittwoch, 16. Juli 2008

Teil 13: Auf zur Katechese und ein Treffen mit Kardinal Meisner

Katechese mit Kardinal Meisner. Das heißt: Früh aus den Federn. Ach, wenn es doch Federn wären! Mein dürftiger Schlafsack hat die Morgenkälte wieder nicht richtig abwehren können. Wenn ich die Augen öffne, sehe ich zuerst eine Deutschlandfahne, damit ist das Fenster in der Tür zum Priesterschlafraum zugehängt.

Auch ein Kardinal braucht Schutz vor der Sonne (DR)
Auch ein Kardinal braucht Schutz vor der Sonne / ( DR )

Gestern ist noch eine Gruppe aus Borken eingetroffen. Für die Mädchen fand sich kein Klassenzimmer mehr. Also mussten sie ihr Lager auf dem Flur ausbreiten. Warum ausgerechnet auf dem Flur vor dem Schlafzimmer der Priester, das weiß ich nicht. Aber keine Sorgen - alles hübsch getrennt. Hier brennt nix an.  

Wenn ich den Kardinal interviewe, muss ich ordentlich aussehen, muss mich also unbedingt noch rasieren, ich sehe ja aus, als wäre ich der letzte Überlebende im Dschungelcamp. Duschen? Es gibt Duschen, provisorische Duschen in Kabinen, die genauso aussehen wie Dixiklos und meistens kalt sind. Halb sechs Uhr morgens. Es ist noch finster und sehr frisch. Draußen vor der Tür kauert ein Priester unter einer Lampe auf einem Mäuerchen und ist über seinem Brevier eingenickt. Spitzweg hätte sicher sofort seinen Skizzenblock aus de Ärmel gezogen und das gezeichnet. Eine lange schlotternde Schlange steht vor den neun Duschcontainern. Typischer Dialog: „Alles besetzt?" - „Ja". Dann öffnet sich eine Tür, jemand kommt heraus: „Duschen noch heiß?" - „Geht so!" Nützt nix, rein in die Plastikkabine, die schlotternden Zähne zusammenbeißen und in Windeseile Haut und Haare waschen.

22 Grad soll es heute werden, damit hat uns der College Direktor beim Weckruf über den Schullautsprecher Mut zum Aufstehen machen wollen, aber davon merkt man jetzt noch nichts. Nach der kühlen Dusche, bin ich wenigstens hellwach. Das war auch nötig, denn gestern ist es wieder spät geworden. Der BDKJ hat in der Hotellobby (wie ich sie alle beneide wegen ihrer warmen Luxusunterkünfte) ein, zwei Gläser Wein spendiert. Jugendbischof Bode schaute vorbei, schnell kam man ins Gespräch.

Auch er war beim Eröffnungsgottesdienst und hat die Messe am Altar mitgefeiert. „Überwältigend", beschreibt er seinen ersten Eindruck: „Die Stadt ist okkupiert." Und wenn einige geunkt haben, dass die Weltjugendtagspilger in der Weltstadt Sydney untergehen , dann kann man das nach dem ersten Tag wahrlich nicht feststellen. „Die Straßen und entscheidenden Plätze sind alle besetzt", freut sich Bode. Aber in Köln beim letzten Weltjugendtag waren es doppelt so viele Besucher? „In der Stadt merkt man das nicht", hat der Jugendbischof erlebt. Denn man kann doch auch als Mensch nur eine gewisse begrenzte Anzahl anderer Menschen wahrnehmen. Zweihunderttausend oder Vierhunderttausend. Das ist dann egal".

Entscheidend sei das Erlebnis, die bunten Bilder, die Flaggen überall, die vor Freude bebende Stadt, das internationale Fest. Und das, so hofft er, beeindruckt dann auch die der Kirche gegenüber eher skeptischen Australier. „Wir haben Katholikentage oder Kirchentage, wir kennen solche Glaubenstreffen, das ist den Menschen hier aber ganz fremd", weiß Bode. Neugierig soll der Weltjugendtag machen. Die Katholische Kirche soll hier als eine weltweit lebendige Kirche bekannt werden, hofft er. Deswegen sei es für Australien und Sydney schon wichtig, dass dieses Glaubensfest ein Fest der Superlative werde. „Die Planer hier haben viel Wert darauf gelegt, dass der Weltjugendtag an Größe und Besucherzahl die olympischen Spiele übertrumpft. Nur so kann man heute sehr viel Aufmerksamkeit und damit auch Staunen auf sich ziehen." … und damit fängt ja alles an.

Allerdings ist auch Bischof Bode von der Predigt Kardinal Pells im Eröffnungsgottesdienst enttäuscht. Emotionsleer nennt er sie, die Jugendlichen habe der Kardinal damit nicht erreicht. „Der Papst wird das besser machen", ist er sicher: „der Papst wird den Jugendlichen Mut machen, ihren Glauben auch zu zeigen, ihn öffentlich zu machen." Schließlich heißt das Motto des Weltjugendtages: „Ihr werdet die Kraft des Geistes sein." Das möchte ich dann doch noch vom Jugendbischof wissen: Denn ich persönlich halte dieses Motto für sperrig, Heiliger Geist? damit kann man heute nicht mehr viel anfangen. Doch Bischof Bode widerspricht: „Warum nicht ein sperriges Motto. Damit kann man sich dann doch viel besser auseinandersetzen, daran können sich die Jugendlichen abarbeiten." Ich bin gespannt auf die Katechese heute. Ob das gelingt?

Pünktlich um acht pilgern 600 Jugendliche aus dem Erzbistum Köln von dem College in langer Reihe die drei Kilometer bis zur Katechesekirche St. Benedikt. Das ist in der Sonne ein hübsches Bild, weil sie alle ihre signalfarbenen Pilgerrucksäcke auf dem Rücken haben. Sie plaudern und schwatzen, schwärmen von dem prächtigen Feuerwerk, das gestern zum Abschluss des Eröffnungsabends den Nachthimmel über Sydney in bunte Farben tauchte.

Kardinal Meisner ist guter Dinge. Locker dankt er für den „Song", wie er sagt, zur Begrüßung. „Was also ist der Heilige Geist?" so die Katechesefrage. Er erzählt aus seinem Leben. Wenn der Wecker morgens klingeln würde, dann sei auch er mürrisch und müde, aber dann mache er ein Kreuzzeichen und sage laut: „Komm Heiliger Geist." Das mache ihn wach und selbstbewusst für den Tag, denn er wisse, der Heilige Geist sei die Energie Gottes, die ihn schütze und stärke.

Und dann erzählt er aus der Kinderzeit in seiner schlesischen Heimat. In der Schulklasse sei er der einzige katholische Junge gewesen: „Ich habe gelernt, was es heißt, anders sein zu müssen. Aber wer als Katholik Minderwertigkeitskomplexe hat, weil er anders ist, der sündigt", sagt der Kardinal. Er habe immer das Lied geschätzt: „Herr lass mich stehen, wo die Stürme wehen und schone mich nicht". Der Heilige Geist sei Dynamit. Der Heilige Geist bewirke die Befreiung von Zeitgeistern.

Ich höre gespannt zu und lerne Kardinal Meisner zu verstehen. Er erzählt von seiner Zeit als Kaplan in der DDR, von den Verhören der Stasi, vom Heiligen Geist, der keine Eisernen Vorhänge und Sperrmaßnahmen kenne: „Als Christ wird man immer ein Widerstandskämpfer sein. Gott basta", und er schüttelt die Faust, als er das sagt.

Dann spricht er von der Freude, die aus der Energie des Heiligen Geistes komme. Der Testfall für die Echtheit unseres Glaubens ist die Freude. Alles andere ist Krampf."   


Und dann dürfen die Jugendlichen Fragen stellen: „Aber was ist der Heilige Geist?" will einer wissen. „Tröster, Ermutiger, Begleiter", antwortet der Kardinal. „Wie kann ich ihn spüren? Oder sogar den Ruf Gottes hören?" - „Ich kann da keine Ferndiagnose bei Dir stellen", meint der Erzbsichof von Köln, er weiß, dass es hier keinen Patentauftritt Gottes gibt: „Jeder Weg ist anders. Jeder wird von Gott anders gerufen". Es gibt eben kein einheitliches oder einfaches "Hallo Gott". Im Gegenteil, es gebe soviel Wege zu Gott, wie es Menschen geben würde. Gottes Phantasie sei unerschöpflich.

Und dann war da noch eine Frage, eine wichtige Frage: „Wie ist das mit der Liebe und der Ehe?" - „Ja, da bin ich Laie", scherzt der Kardinal. Nur soviel wisse er, die Berufung zur Ehe sei ebenso wichtig wie die Berufung zum Priesteramt und erfordere mindestens soviel Tapferkeit. „Eheleute müssen immer wieder neu an der Kultur ihrer Ehe arbeiten. Ehe darf nie so alltäglich werden, das man die Liebe vergisst." Also sich in der Ehe gehen lassen gilt nicht, wer sich hier keine Mühe gibt, der scheitert.

„Komm Heiliger Geist," viele Jugendlichen diskutieren nachher darüber, einige nehmen sich vor, auch mit einem „Komm Heiliger Geist" in den Tag zu starten.
Im Sonnenschein auf der Wiese vor der Kirche sitzen gut ein dutzend Priester und führen mit Jugendlichen Beicht-, oder seelsorgliche Gespräche. Ein Bild, das mich bewegt: Die auf dem Rasen verstreuten Zweiergruppen - auf einfachen Küchenstühlen, die Priester in ihren weißen Soutanen stecken ihre Köpfe mit Mädchen und Jungen zusammen, die ganz ernst und nachdenklich sprechen. Meist hört der Priester nur zu, redet wenig. Beichte. Keiner findet das hier albern oder abwegig. Ein Mädchen hat geweint, der Priester konnte trösten.

Nach der Messe (zwei Stunden Katechese, eine Stunde Messe) treffe ich den Kardinal draußen, er strahlt, er freut sich auch über den Anblick auf dem Rasen vor der Kirche, wo gut ein dutzend Priester in der Sonne Beichte hören: „Viel lieber würde ich hier auch Beichtgespräche führen", scherzt er: „Interviews mit der Presse sind nicht so ergiebig. Da gibt es keine Lossprechung." Aber der Kölner Erzbischof nimmt sich Zeit, beantwortet geduldig alle meine Fragen. Was ihm denn durch den Kopf gegangen sei, als Kardinal Pell ihm gestern bei der Eröffnungsmesse vor  150.000 Menschen namentlich gedankt habe, will ich wissen. „Da hatte ich das Gefühl, jetzt ist der Kölner Weltjugendtag Geschichte. Als ich die vielen begeisterten Mädchen und Jungen sah, dachte ich aber auch: Wir haben in Köln ein gutes Fundament für den Weltjugendtag in Sydney gelegt". Und dann kommt dem Kardinal eine Idee. Vielleicht könne man einmal alle gastgebenden Bischöfe der bisherigen Weltjugendtage nach Köln einladen - mit einer großen Tour auf den Rhein. Vielleicht wird ja etwas daraus. Kardinal Meisner ist mit Papst Benedikt befreundet. Weiß er schon, was der Heilige Vater in Australien sagen wird? „Da bin ich selbst gespannt", meint Meisner: „Aber es wird sicher wie immer erste Klasse sein. Zum Abschluss grüßt er noch sehr herzlich alle Jugendlichen im Erzbistum Köln, die zum Beispiel in einem eigens eingerichteten Camp in Altenberg den Weltjugendtag von Deutschland aus mitfeiern. „Beim Glauben spielen Grenzen und Entfernungen keine Rolle", muntert der Kardinal die daheim gebliebenen auf.   
Ein Kamerateam vom ZDF lauert hinter mir. Das Fernsehen will auch noch ein Interview. Ich bleibe und höre zu. „Ob der Weltjugendtag zu wenig politisch sei. Der Papst habe sich doch auch im Flugzeug auf dem Hinflug nach Sydney offen für den Umweltschutz ausgesprochen. Fehlen jetzt hier die politischen Impulse?" - „Ganz im Gegenteil", antwortet der Kölner Erzbischof: „die Jugend ist heute kritisch wie nie zuvor. Doch die Besserung der Welt fängt nicht in der großen Politik an, sondern im Mikrokosmos des eigenen Selbst. Nur wer seinen eigenen Körper keusch und rein hält, der kann auch im Makrokosmos die Erde sauber halten." Ich sehe wie der ZDF Mann sich über diesen O-Ton freut und frage mich, ob diese Aussage, bei allem, was an Vorurteilen über Kardinal Meisner existiert, klug oder besser gesagt geschickt war.

Die Katechesekirche ist weit außerhalb Sydneys, in der Nähe des Colleges, wo wir übernachten. Es dauert fast neunzig Minuten, bis ich wieder in der Stadt bin. Die S-Bahnen sind rappelvoll, überall Pilger, die Bahnsteige an einzelnen Stationen müssen sogar zwischenzeitlich gesperrt werden. An den Haltestellen hängen riesige Plakate: „World Youth day. Make it a moving experience for everyone" Und dann in kleineren Buchstaben darunter: „Leave your car at home". Viele Straßen in der Innenstadt sind gesperrt. Wer in diesen Tagen mit dem Auto in die City kommt, ist selbst schuld, wenn er Ewigkeiten warten muss. Erst recht morgen, wenn der Papst am Nachmittag im Darling Harbour das Fest der Begrüßung feiert. Da dürfte in der City nichts mehr gehen. Aber auch jetzt brummt es in der Stadt. Überall andere Klänge und Rhythmen. Auf der Promenade spielt ein Blasorchester aus Fulda, Vietnamesen tanzen dazu. Etwas weiter lädt eine Gruppe aus Taiwan zur fernöstlichen Bewegungsgymnastik am Nachmittag, sofort machen gut zwei, dreihundert Menschen mit. „Pope in Sydney: Mass Hysteria", heißt es groß im Daily Telegraph, darunter ein ganzseitiges Bild, eine Luftaufnahme der 150.000 Gläubigen, die gestern bei der Eröffnungsmesse dabei waren. „Living on Prayer. Sydney opened its heart to the world catholic youth", so die Schlagzeile.   

Ich muss mich beeilen. Mit den verschiedenen Presseausweisen und Pilgerkarten, die um meinen Hals baumeln, komme ich mir manchmal vor wie ein Zirkuspferd. Aber in wenigen Minuten beginnt die Pressekonferenz mit Pater Lombardi, dem Sprecher des Papstes, der will erzählen, was Benedikt heute so gemacht hat und wie es ihm geht.

Im Zoo sei der Heilige Vater gewesen. Er habe dort ein Babykrokodil, ein Opossum, ein Känguru und natürlich einen Koala gestreichelt. Es sei ihm sogar angeboten worden, den Koalabären selbst auf den Arm zu nehmen. Da habe der Papst abgelehnt und gesagt, dass der Bär wohl besser bei dem Tierpfleger aufgehoben sei. Und wie geht es dem Heiligen Vater. „It could not be better", sagt Lombardi, er sei komplett ausgeruht und habe auch die Opening Mass mit großer Begeisterung verfolgt. Diese „unusual athmosphere." Morgen ist es endlich soweit, nachdem Benedikt den Prime Minister getroffen hat, nachdem er in der Chapel von Mary McKillop gebetet hat und sich Tänze von Aborigenes angeschaut hat, steigt er in die „Sydney 2000", das Schiff, das ihn übers Wasser - genau wie in Köln - zur Mole von Barangaroo im East Darling Harbour bringen wird. Um 15 Uhr 30 beginnt das Fest der Begrüßung mit den Jugendlichen.

P.S. Was sind Duscheltern? Eine Erfindung des WJT 2008 in Sydney. In den Schulen und Turnhallen gibt es viel zu wenig Dusche. Das erlebe ich jeden morgen aufs Neue. Da haben sich einige Gemeinden etwas einfallen lassen. Die Jugendlichen werden einfach von freiwilligen „Duscheltern", abgeleitet von Gasteltern, am frühen Morgen abgeholt. Dort können die Mädchen und Jungen dann duschen und bekommen noch ein Frühstück obendrein, außerdem fördern diese Duschgelegenheiten den Austausch und das internationale Miteinander. Man muss nur wissen wie!