DOMRADIO.DE: Viele wurden gestern von der Todesnachricht überrascht. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen?
Robert Kleine (Kölner Stadt- und Domdechant): Als ich gestern Nachmittag einen Anruf erhielt und gefragt wurde, ob ich das gehört hätte, war ich auch völlig überrascht. Ich habe gar nicht gewusst, dass Wolfgang Picken – schon gar nicht so schwer – erkrankt war. Ich habe ihn zuletzt im November in einer Konferenz gesehen.
Im Dezember war er entschuldigt. Ich habe dann hier von Köln aus auch gar nicht mitbekommen, dass er auch schon Weihnachten gar nicht mehr am Bonner Münster das Fest gefeiert hat.
DOMRADIO.DE: Sie waren mit Ihrem Mitbruder über viele Jahre in vielen Gremien aktiv, zum Beispiel im Priesterrat oder in der Runde der Stadt- und Kreisdechanten im Erzbistum Köln. Wie haben Sie ihn dabei immer erlebt?
Kleine: Er war ein Mann der klaren und deutlichen Worte. Er war diskutierfreudig und – positiv ausgedrückt – auch eloquent. Aber das Wichtige war, dass seine Beiträge immer von Substanz waren. Er hat immer alles auf den Punkt gebracht, was er sagen wollte und er sprach druckreif.
Und ich glaube, dass alle immer zugehört haben, egal, ob man seinen Standpunkt teilte oder nicht. Ich jedenfalls hörte ihm gerne zu und konnte auch dann meine eigenen Schlüsse ziehen, indem ich entweder gut fand oder ablehnte, was er sagte. Er war eine Bereicherung für die Diskussionskultur in den Gremien.
DOMRADIO.DE: Aus einer seiner konservativen theologischen Grundhaltungen hat er nie einen Hehl gemacht, etwa wenn es um den stark kritisierten Synodalen Weg geht. Trotzdem war er aber auch gerade in den letzten Jahren ein Seelsorger, der ähnlich wie Sie den Kölner Erzbischof in manchen Punkten öffentlich kritisch angefragt hat. Wie haben Sie ihn da erlebt?
Kleine: Beim Synodalen Weg kamen wir nicht überein. Was die Kritik etwa an der Hochschule hier in Köln oder auch am Umgang in der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle betrifft, ging es sowohl ihm als auch mir immer darum, dass wir als Kirche glaubwürdig sind und glaubwürdig werden.
Wichtig ist – und so habe ich ihn auch erlebt – dass es nicht persönlich war, dass es nicht gegen Personen ging, sondern dass es auch ein Hören auf die Menschen war, denen er in Bonn begegnet ist, genauso wie ich hier in Köln die Anliegen, Sorgen oder auch den Ärger oder die Veränderungswünsche der Menschen ins Wort zu bringen versuche. So habe ich ihn auch erlebt und sah ihn dann auch manchmal an meiner Seite.
DOMRADIO.DE: Wolfgang Picken war ein engagierter Seelsorger. Er war in vielen pastoralen Feldern aktiv, Träger des Bundesverdienstkreuzes für seinen Einsatz für das Gemeinwohl in Bonn. Man darf wohl sagen, dass er gerade in den letzten Jahren am Bonner Münster das kirchliche und gesellschaftliche Leben sehr geprägt hat, oder?
Kleine: Ja und auch schon vorher. Er war ja in Bad Godesberg und hat dort eine Stiftung gegründet, die Bürgerstiftung, die es heute noch gibt. Da hat er vor 20 Jahren etwas grundgelegt, was ich einfach toll fand und was wir auch im Semester – wir sind ja zusammen geweiht worden – begleitet haben.
Das war etwas, wo wir gesagt haben: "Chapeau, aus einem bürgerschaftlichen Engagement eine solche Stiftung zu gründen, das ist schon etwas, was über Bad Godesberg ausstrahlt".
2019 ist er dann als Stadtdechant ans Bonner Münster gekommen und dort in die Restaurierung hineingekommen. Er kam an eine Kirche, die geschlossen war. Und er hat – glaube ich – sehr professionell den Umbau mit dem Kirchenvorstand und dem Erzbistum weiter vorangetrieben.
2021 wurde dann der Innenraum eröffnet. Da hat er auch Kunst in das Bonner Münster geholt. Da standen noch die Bänke draußen. Und im Herbst letzten Jahres hat er noch erleben dürfen, dass die Außenrestaurierung abgeschlossen ist. Also da hat er sich sehr engagiert.
Er hat sich aber auch gesellschaftspolitisch engagiert. Man muss sagen, er hat auch im politischen Bereich ein besonderes Charisma gehabt. Er hat ja in Politikwissenschaft promoviert, das war in der Bundesstadt sicher auch noch einmal etwas, was ihn gereizt hat auch gesellschaftspolitisch zu wirken.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie auf das Leben Ihres Bruders im priesterlichen Amt zurückschauen: Was wird bleiben und was wird fehlen?
Kleine: Ich glaube, es wird bleiben, dass er in der Reihe der Bonner Stadtdechanten eine Größe ist, an die man denkt. Er hat nicht nur im Baulichen, sondern auch im Inhaltlichen einiges auf den Weg gebracht. Die Pfarrei am Bonner Münster war ja in keinem ganz guten Zustand, auch finanziell und strukturell. Er hat da viel geschaffen und das ist mit seinem Namen verbunden.
Über das Pastorale vor Ort kann ich natürlich von außen weniger sagen. Aber ich glaube, dass er auch ein guter Seelsorger und Priester war. Er hat letzten Juni zu seinem 30. Weihetag im DOMRADIO gesagt, dass er gerne Priester ist, dass er immer wieder Priester werden würde und dass es eine große Freude für ihn ist, für die Menschen diese frohe Botschaft zu verkünden. Er wollte ein Spurensucher für Gott im Leben der Kirche und im Leben der Menschen sein.
Ich glaube, dass er so gewirkt hat und ich hoffe, dass das auch bleibt. Ich hätte ihm natürlich noch gewünscht, dass er diesen Weg in der Kirche und mit seinen Gemeinden – mit den Menschen, die ihm anvertraut waren und für die er da war, für die er den Dienst gemacht hat – noch länger hätte gehen können.
Das Interview führte Oliver Kelch.