DOMRADIO.DE: Kardinal Karl Lehmann ist mit 81 Jahren verstorben; ein Mann, der die Kirche in Deutschland geprägt hat, der sich in Debatten und politische Entwicklungen einmischte, ein Freigeist. Von 1987-2008 war er Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. Sie haben die Nachrichten in den vergangen Tagen über seinen Gesundheitsstand sicher auch mit großer persönlicher Betroffenheit verfolgt: Welche Erinnerungen haben Sie an Kardinal Karl Lehmann?
Monsignore Joachim Schroedel (Seelsorger in Kairo): Ich arbeite ja jetzt seit 23 Jahren in Kairo. Immer wieder, wenn wir uns getroffen oder telefoniert haben, war eine fast stehende Redewendung von Kardinal Lehmann: "Na, leben Sie noch?" Das war so liebevoll ausgedrückt.
DOMRADIO.DE: Und ein Scherz?!
Schroedel: Er hat sich gesorgt um meine Arbeit hier in Kairo und war stets und ständig mit mir verbunden. Als meine Mutter verstarb und ich keine Eltern mehr hatte, sagte ich zu ihm: "Herr Kardinal, Sie sind jetzt mein Vater". Und er hat dann sehr lieb geschmunzelt und geantwortet: "Ja klar, ich verlasse Sie nicht". Das sind tiefe Eindrücke.
DOMRADIO.DE: Als Kardinal Lehmann 1983 Bischof wurde, waren Sie gerade einmal vier Monate Priester. Sie sagen, ohne ihn wäre Ihr Leben anders verlaufen – inwiefern?
Schroedel: Ich war zunächst Kaplan, danach für sieben Jahre Lehrer am Sankt Lioba-Gymnasium in Bad Nauheim, nördlich von Frankfurt. Er hat mich damals kontaktiert und gesagt: "Es gibt ja einige Bewerber. Aber was halten Sie davon, wenn Sie dahin gehen?" Ich wollte es wirklich von ganzem Herzen und damit wurde die Stelle besetzt. Meine Idee, 1995 nach Kairo zu gehen, hat er kritisch begleitet.
DOMRADIO.DE: Warum?
Schroedel: Wir waren ganz verschiedene Kaliber und hatten andere Ansichten. Bis zum Schluss habe ich an ihm geschätzt, dass er jede andere Meinung hat stehen lassen und kritisch begleitet hat, aber nie irgendwie ausfallend geworden ist. Er hat dann immer mit einem sehr sympathischen Lächeln auf mich als damals jungen Priester geschaut und gesagt: "Das wird schon gut; Sie sind auf einem richtigen Weg". Er war ein Mann, der Mut gemacht hat.
DOMRADIO.DE: Lehmann war im Volk beliebt. Er war nicht nur Chef des Bistums. Die Mainzer haben mit ihm eine ganz innige Verbindung gehabt und nannten ihn "unseren Karl". Als er 2016 in den Ruhestand ging, kamen rund 1.200 Menschen in den Mainzer Dom. Was hatten die Menschen für eine Beziehung zu ihrem Kardinal?
Schroedel: Er war eben nicht nur ein hochrangiger Professor, sondern auch jemand, der mit den Menschen reden konnte; der sich Zeit genommen hat für jeden und jede; der angesprochen wurde, wenn er vom Bischofshaus zum Dom hinunter lief. Man kann ihn sehr stark vergleichen mit seinem Vorgänger Kardinal Volk, der eben auch ein ganz volkstümlicher war. Und obwohl Kardinal Lehmann kein geborener Mainzer war wie Kardinal Volk, hat er sich als Schwabe voll hineingegeben. Seine Liebe zu Mainz ist immer mehr gewachsen und er ist zu Recht Ehrenbürger von Mainz geworden. Die Menschen haben "unseren Karl" sehr geschätzt.
DOMRADIO.DE: Die große Anteilnahme kam nicht nur aus der Kirche, sondern aus der kompletten Gesellschaft. Die "taz" hat einen liebevollen Kommentar über Kardinal Lehmann geschrieben. Was bleibt von Kardinal Lehmann, an den sich nicht nur die Kirche erinnert?
Schroedel: Kardinal Lehmann war ein geradliniger Mann. Er war natürlich auch umstritten, aber er ist nie umgefallen, und er hat seine Meinung auch theologisch immer tief begründet.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.