DOMRADIO.DE: Warum machen Sie dieses Jahr bei der Aktion "Liebe gewinnt" nicht mit?
Wolfgang Rothe (Priester in München): Der erste Grund ist ein ganz pragmatischer. Ich habe schlichtweg keine Kirche gefunden, in der solche Gottesdienste willkommen gewesen wären. Ich selbst bin nicht Pfarrer, habe keine Kirche, über die ich verfügen konnte. Aber es ist auch in ganz München keine Kirche gefunden worden, in der die Türen offen gestanden hätten.
Der andere Grund ist mir erst dann gekommen, als ich gemerkt habe, dass es tatsächlich nicht möglich ist. Denn allein die Tatsache, dass ein Ritual aus der Aktion "Liebe gewinnt" werden könnte, könnte der Aktion noch etwas von ihrer Wucht nehmen, die sie im letzten Jahr glücklicherweise entfaltet hat. Sie hat ein gigantisches mediales Echo hervorgerufen und sicherlich viele Menschen zum Nachdenken gebracht über das, was queere Menschen von Seiten der katholischen Kirche an Diskriminierung erdulden müssen.
Geändert hat sich seitdem herzlich wenig. Das zeigt gerade die Ablehnung oder die Ignoranz gegenüber solchen Segnungsgottesdiensten. Ich spüre einfach ein wenig die Gefahr, wenn das Ganze zur Regel wird, zum Ritual wird, dass es von der Kirche gleichsam absorbiert und domestiziert wird und damit in eine neue Nische verbannt wird, aus der wir sie eigentlich herausholen wollen.
DOMRADIO.DE: Sie haben einen Brief dazu geschrieben. Da steht drin, dass Sie nicht wollen, dass diese Segnungen irgendwann zum Beispiel in einer Reihe mit dem Blasiussegen oder mit Haustiersegnungen stehen. Aber mit dem Blasiussegen oder mit Haustiersegnungen hat Rom ja kein Problem. Wo ist da der Unterschied?
Rothe: Das war einfach ein Vergleich, der deutlich machen sollte, dass das Ganze nicht zu etwas werden soll, was zum kirchlichen Alltag gehört. Etwas, was ganz normal gemacht wird, ohne dass sich etwas grundsätzlich ändert.
Denn solange der Grundsatz gleich bleibt, solange queere Menschen in der katholischen Kirche diskriminiert werden, solange im Katechismus der katholischen Kirche diskriminierende Aussagen über homosexuelle Menschen enthalten sind, solange darf das Ganze eben nicht zum Normalfall werden.
Denn dann besteht die Gefahr, dass man sagt: Okay, wir lassen die ihres Segensfeiern einmal im Jahr machen, aber ändern grundsätzlich nichts.
Das Ganze muss ein provozierendes Thema bleiben, damit auch im Grundsatz Änderungen vorangetrieben werden.
DOMRADIO.DE: Meinen Sie, dass es wirklich Einfluss auf die kirchliche Haltung haben wird, wenn in Deutschland homosexuelle Paare gesegnet werden oder nicht?
Rothe: Das hat es durchaus. Denn diese Aktion hat ja ein großes internationales Echo gefunden. Und man hat auch erst jüngst wieder gehört, dass das Thema beim synodalen Prozess, der in Rom anläuft, auch auf den Tisch gebracht werden soll. Das wird schon sehr deutlich wahrgenommen.
Es gibt auch Briefe verschiedener Bischofskonferenzen in Bezug auf den deutschen Synodalen Weg, in denen gerade die angeblichen deutschen Sonderwege im Bereich der kirchlichen Sexualmoral scharf kritisiert werden. Also, es ist keineswegs so, dass wir hier in Deutschland etwas machen, was außerhalb von Deutschland kein Thema wäre oder auch nicht wahrgenommen würde. Das Gegenteil ist der Fall.
DOMRADIO.DE: Würden Sie denn weiterhin gleichgeschlechtliche Paare in normalen Gottesdiensten, ganz ohne Aktionstag segnen?
Rothe: Selbstverständlich, das tue ich auch. Ich habe erst vor kurzem ein gleichgeschlechtliches Paar auf der Dachterrasse eines Schwulenlokals in München gesegnet. Ich werde demnächst ein schwules Paar draußen im Grünen segnen.
Es darf nicht in irgendeine Nische, in einen Hinterhof abgedrängt werden, indem es nicht gesehen wird, indem es nicht zum kirchlichen Normalfall gehört.
Erst kürzlich hat mir ein hochrangiger Kirchenmann gesagt, man hätte ja gar nichts dagegen, dass Homosexuelle gesegnet würden. Nur gehöre das eben nicht in die normalen Gemeinden und schon gar nicht in die Öffentlichkeit. Das könnte man in den sogenannten queeren Gemeinden machen.
Aber ich denke, das ist der falsche Weg. Denn damit drängt man queere Menschen in die Unsichtbarkeit, man legt ihnen eine Art Ghettoisierung auf und das Thema wird nicht wirklich bearbeitet.
Das Ziel des Ganzen muss sein, dass es überhaupt keine Rolle mehr spielt, ob jemand queer ist oder nicht. Alle sollten in der Kirche die gleichen Rechte haben.
DOMRADIO.DE: Sie sprechen von Sichtbarkeit. Aber genau dazu ist so ein Aktionstag doch gut, oder?
Rothe: Ich will auch in keiner Weise den Aktionstag kritisieren. Ich habe mich deswegen im letzten Jahr, damals sogar als einziger Priester im ganzen Erzbistum München, daran beteiligt. Nur denke ich, wir müssen sehr aufpassen, dass das Ganze nicht zu einem Ritual wird, das dann am Ende eben genau nicht mehr sichtbar wird, nicht mehr wahrgenommen wird in seinem Aufbegehren gegen eine Sexualmoral, die diskriminiert.
Das Interview führte Hannah Krewer.