"Glühwein, Pommes und Punsch / Pomp und Weihnachtszauber total". Das deutsche A-cappella-Pop-Quartett Maybebop besingt in seinem Song "Ein neues Weihnachtslied" den jährlichen Wahnsinn der Vorweihnachtszeit. Spätestens am Montag, einen Tag nach dem evangelischen Totensonntag, eröffnen bundesweit wieder die meisten Weihnachtsmärkte.
In diesem Jahr geht der Schaustellerbund von 3.250 Weihnachtsmärkten bundesweit aus. Rund 160 Millionen Besucher werden erwartet. Doch Weihnachtszauber trifft auf Realität: Nach dem Messerattentat von Solingen im August dürfte das Schlendern auf vollen Plätzen und das Anstehen an Reibekuchen- und Lebkuchenbuden ein mulmiges Gefühl hinterlassen.
Sichtbare Polizeipräsenz
Zwar hätten die Sicherheitsbehörden derzeit keine konkreten Erkenntnisse zu Anschlagsplanungen auf NRW-Weihnachtsmärkte, versicherte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kürzlich. "Die jihadistische Szene greift jedoch aktuell, wie bereits in den vergangenen Jahren auch, das Weihnachtsfest im Rahmen abstrakter Drohungen auf", heißt es in seinem Bericht an den Landtag. Allein in NRW soll es an insgesamt 639 Weihnachtsmärkten eine deutlich sichtbare Polizeipräsenz geben.
Der Deutsche Schaustellerbund sprach sich im Vorfeld dafür aus, Messer und Waffen auf Weihnachtsmärkten zu verbieten. Außerdem befürwortete Präsident Albert Ritter eine zeitlich begrenzte Videoüberwachung. Nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz 2016, bei dem elf Menschen starben, haben viele Kommunen Sicherheitskonzepte mit Lkw-Sperren, Betonbarrieren und Security entwickelt.
Bühnen für den Wahlkampf?
Noch unklar ist, ob die Weihnachtsmärkte auch Bühnen für den kurzen Bundestagswahlkampf werden. Der evangelische Landesbischof von Hannover, Ralf Meister, warnte davor: "Menschen brauchen Phasen der Besinnung, um bei klarem Verstand zu bleiben", erklärte er: "Das gilt erst recht in einem Jahr, das uns mit seinen Krisen und Infragestellungen an den Rand der Erschöpfung gebracht hat."
Auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann rechnet mit Zurückhaltung der Parteien. Weihnachtsmärkte seien nicht der richtige Ort für Wahlkampf, sagte er kürzlich. "Die Leute würden nur den Kopf schütteln." Auch über die Weihnachtstage solle es eine Wahlkampf-Pause geben, riet er. "An Weihnachten gehe ich in die Kirche. Und wir sind alle mit unseren Familien zusammen." Er gehe davon aus, "dass es dann ab dem 1. Januar zur Sache geht".
Image-Faktoren
Weihnachtsmärkte sind inzwischen - neben der wirtschaftlichen Bedeutung - zu wichtigen Image-Faktoren für Städte und Tourismusbranche geworden. Von ADAC bis zu Reisemagazinen und Hotel-Websites: Überall werden Ranglisten der schönsten Weihnachtsmärkte veröffentlicht.
Vorweihnachtliche Märkte gibt es seit dem späten Mittelalter. Im 14. Jahrhundert kam der Brauch auf, Handwerkern wie Spielzeugmachern, Korbflechtern oder Zuckerbäckern zu erlauben, Verkaufsstände für die Kleinigkeiten auf dem Markt zu errichten, die die Kinder zu Weihnachten geschenkt bekamen. 1310 wurde ein Nikolausmarkt in München erstmals urkundlich genannt, 1434 der Dresdener Striezelmarkt erstmals erwähnt. Und der Nürnberger Christkindlesmarkt lässt sich bis Mitte des 16. Jahrhunderts zurückverfolgen.
Entstanden seien Weihnachtsmärkte vor allem in protestantischen Städten, berichtet der Regensburger Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder. In katholischen Gegenden habe man bis weit in das 20. Jahrhundert den Advent als Zeit des Fastens begangen.
Vermassung der Weihnachtsmärkte
"Die Vermassung des Weihnachtsmarktes beginnt in den 1960er Jahren", sagt der Wissenschaftler. Den aktuellen Erfolg erklärt er damit, dass die Menschen auch im Zeitalter des Individualismus nach Gemeinschaft suchten. Zudem vermittele der Weihnachtsmarkt das Gefühl, in eine romantische Welt einzutauchen, die mit Kindheitserinnerungen verbunden ist, mit Gemütlichkeit, Gerüchen und Geräuschen.
Allerdings: Weihnachtsmärkte werden immer lauter, bunter und globalisierter. Aus Nikolaus wird der Weihnachtsmann, das russische Väterchen Frost oder gleich ein gemütlicher Bär mit Zipfelmütze. Christliche Symbole werden verdrängt.
"Die heutige Dekoration ist eine Mischung aus Fantasyroman, Ikea und Landlust", sagt Hirschfelder. Dazu passt, dass immer mehr Städte ihre Weihnachtsmärkte in "Wintermärkte" umfunktionieren - die teilweise schon mitten im November starten oder bis in den Januar geöffnet haben.