Museum zeigt Ausstellung über Bachs Amtsantritt in Leipzig

"Bach war erst Nummer drei auf der Liste"

Johann Sebastian Bach wurde vor 300 Jahren Thomaskantor in Leipzig. Das Bach-Museum feiert dieses Jubiläum mit der Ausstellung "Bühne frei für Bach". Die Kuratorin berichtet von beeindruckenden Klanginstallationen über das Leben Bachs.

Ein Denkmal erinnert vor der Thomaskirche in Leipzig an den Komponisten Johann Sebastian Bach. / © Hendrik Schmidt (dpa)
Ein Denkmal erinnert vor der Thomaskirche in Leipzig an den Komponisten Johann Sebastian Bach. / © Hendrik Schmidt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie fangen ja ganz chronologisch an, nämlich wie Bach überhaupt Thomaskantor geworden ist. Warum war das so spannend?

Henrike Rucker (Musikwissenschaftlerin und Kuratorin der Ausstellung): Ja, das war gar nicht so selbstverständlich. Es war ein langwieriger Prozess und eine Wahl mit Hindernissen. Das rollen wir in unserem ersten Ausstellungsteil auf.

Es war so, dass der Thomaskantor Johann Kuhnau im Juni 1722 verstarb und sich der Rat dann sofort einigte, dass sie den berühmtesten Musiker der Zeit wollten: Georg Philipp Telemann. Also hat man ihn in die Kantorei eingeladen. Der hat dann aber nach drei Monaten wieder abgesagt und sich zwischendurch bessere Konditionen für seine Stelle in Hamburg ausgehandelt.

Dann gab es verschiedene Nebenkandidaten und eine zweite Runde. Und dann kam Christoph Graupner ins Spiel, der Darmstädter Kapellmeister, der gewählt wurde, aber dessen Dienstherr, der Landgraf von Hessen-Darmstadt, ihn nicht losließ. Graupner musste in Darmstadt bleiben.

Johann Sebastian Bach  (KNA)
Johann Sebastian Bach / ( KNA )

Erst in der dritten Runde wurde Johann Sebastian Bach gewählt. Es gab Streitigkeiten im Rat zwischen zwei Fraktionen, der sogenannten Schulmeisterfraktion, die unbedingt einen guten Lehrer wollte und der Kapellmeisterfraktion, die einen berühmten Musiker wollte. Man zweifelte daran, dass Bach, der ja als einziger Thomaskantor kein Universitätsstudium hatte, tatsächlich auch ein guter Lehrer sei und wollte lieber einen mittleren Kantor nehmen, der dafür ein guter Lehrer war.

Aber zum Glück haben sich die anderen durchgesetzt, die die Qualitäten von Bach als Musiker erkannt hatten und tatsächlich einen wirklich tollen Musiker wollten. Was für ein Glück für Leipzig – und auch ein Glück für Bach, der die Stätte gefunden hat, in dem er seinen künstlerischen Endzweck fand, den er schon lange formuliert hatte, nämlich eine reguläre Kirchenmusik zu komponieren und aufzuführen. Das konnte er hier umsetzen.

Henrike Rucker, Kuratorin

"Bach ist mit vollem Elan an die Arbeit gegangen."

DOMRADIO.DE: Es war sicherlich nicht leicht für Bach. Er war ja quasi Plan C. Als er dann mit Sack und Pack ankam, wie haben die Leipziger ihn aufgenommen?

Rucker: Wenn man das so genau wüsste. Darüber ist kaum etwas bekannt. Aber Fakt ist, Bach ist mit vollem Elan an die Arbeit gegangen, hat Sonntag für Sonntag ein eigenes, neues Werk zur Aufführung gebracht. Und zwar immer mit den höchsten Qualitätsansprüchen. Das wird den Leipzigern nicht entgangen sein. Er hat die Musikgeschichte sozusagen umgekrempelt in seiner Zeit. Das hatte Auswirkungen, weit über Leipzig hinaus, schon zu seinen Lebzeiten.

Blick in die Leipziger Thomaskirche (shutterstock)

Aber es gibt zu wenig Zeugnisse von den allsonntäglichen Gottesdienstbesuchern. Da wissen wir eigentlich gar nicht, wie die Wirkung auf diese war. Es gibt einen einzigen Kommentar zu der Antrittsmusik von Bach. Sie wäre mit gutem Applaus aufgenommen worden. Was das bedeutet, da kann man eigentlich nur spekulieren. Aber natürlich gab es die Kollegen und Fachleute, die staunend zur Kenntnis genommen haben, was dieser Komponist für Meisterwerke im Wochentakt zuwege gebracht hatte.

DOMRADIO.DE: Jetzt kann man Kirchenmusik heute nicht ohne Bach denken. Weiß man denn von ihm, ob er ein religiöser Mensch war? War er ein sehr frommer Mensch?

Rucker: Ja, auf jeden Fall. Er war tief im lutherischen Glauben verhaftet. Er hatte eine große theologische Bibliothek, er kannte sich aus. Wir zeigen auch in unserer Ausstellung zwei Bibeln aus seinem Besitz. Eine davon ist erst vor wenigen Jahren im Onlinehandel aufgetaucht. Der Besitzer schrieb, da ist ein merkwürdiges Monogramm, "JSB" und eine Jahreszahl. Er konnte damit nichts anfangen. Und dann wurde bekannt, dass das die Bibel von Johann Sebastian Bach ist. Wir konnten die dann erwerben und die wird gezeigt. Das ist eine Bibel mit wunderbaren Merianstichen.

Henrike Rucker, Kuratorin

"Er hätte es sich nicht leisten können, etwas zu komponieren, was dem Publikum nicht gefällt."

Er hatte in Leipzig Textdichter, mit denen er intensiv zusammenarbeitet, zum Beispiel für seine Matthäuspassion oder seine Kantaten, die ihm die idealen Texte für seine Komposition verfassten und genauso theologisch gebildet waren wie er. Leipzig hatte einfach ein geistiges Klima, das für Bachs Schaffen maßgeblich geworden ist.

DOMRADIO.DE: Das ist jetzt eine schwere Frage, aber können Sie kurz erklären, was das Besondere an seiner Musik ist, dass sie uns bis heute immer noch fasziniert und auch berührt?

Rucker: Das ist ganz sicher der hohe Anspruch, den er an sich selbst hatte und den er in seiner Musik verwirklicht hat. Er lotet alle Möglichkeiten aus. Er hat einen Plan, den er umsetzt, zum Beispiel in seinen Kantatenjahrgängen. Im ersten Jahrgang zum Beispiel hat er die Schluss-Choräle immer mit obligaten Instrumenten begleitet, also immer eine kunstvolle Zutat.

Im zweiten Jahrgang schrieb er Sonntag für Sonntag eine neue Kantate über ein Kirchenlied. Er verarbeitet also bekannte Kirchenlieder in seinen Kantaten und kombiniert sie mit Kompositionstechniken, was bisher noch niemand so gemacht hat.

Es gab Sonntag für Sonntag Überraschungen für die Hörer, die das verfolgt haben. Er hatte ein großes Publikum dort. Die Kirchen waren gefüllt mit 1.000 bis 1.500 Menschen. Er hätte es sich gar nicht leisten können, etwas zu komponieren, was diesem Publikum nicht gefallen hätte. Wir können schon davon ausgehen, dass die Leipziger ihren Bach geschätzt haben und sich an seiner Musik Sonntag für Sonntag erfreut haben.

Henrike Rucker, Kuratorin

"Wir wollen zum intensiven Zuhören anregen."

DOMRADIO.DE: Jetzt haben wir schon gehört, dass es eine neu gefundene Bibel von Bach gibt. Was sehe ich noch in Ihrer Ausstellung?

Rucker: Sie hören zum Beispiel 3D-Hörspiele, die den Eindruck erzeugen, dass Bach direkt vor Ihnen oder hinter Ihnen steht und um Sie herumgeht. Auch seine Familie kann man erleben. Man kann ihn bei der Probe der Matthäuspassion belauschen und es gibt sehr viele Klangbeispiele.

Das Bachdenkmal steht vor der Thomaskirche in Leipzig. / © Jan Woitas (dpa)
Das Bachdenkmal steht vor der Thomaskirche in Leipzig. / © Jan Woitas ( dpa )

In der Mitte unserer Ausstellung ist eine Station zur berühmten Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach. Da können Sie an zehn ausgewählten Stücken dieser Matthäuspassion tief in Bachs Kompositionsweise eintauchen und seine Noten verfolgen, in seiner Partiturreinschrift von 1736. Das machen wir aber so anschaulich, dass man diese Noten tatsächlich sehr gut verstehen kann und mit kurzen Texten und Erklärungen tief eintauchen kann.

Es gibt außerdem Spiele bei uns in der Ausstellung, wo man ein Quiz lösen kann, zum Beispiel, welche Klangbilder Bach in seiner Musik umsetzt oder welche Instrumente er hier besonders in Szene setzt.

Wir wollen zum intensiven Zuhören und zum spielerischen Umgang anregen, also möglichst viele Zugänge schaffen.

DOMRADIO.DE: Man merkt schon, Sie haben diese Ausstellung mit ganz viel Herzblut kuratiert. Wie ist es denn heute in Leipzig? Ist Bach da immer noch in der Mitte der Gesellschaft, ist man stolz auf diesen Bach?

Rucker: Auf jeden Fall. Wir hatten am 21. März, an Bachs Geburtstag – und das haben wir jedes Jahr – ein großes Fest, nicht nur bei uns im Bach-Museum, sondern auf dem Thomaskirchhof. Da singen Chöre und es wird eine große Geburtstagstorte angeschnitten. Es ist ein großes Fest für die Stadt und in diesem Zusammenhang haben wir auch unsere Ausstellung eröffnet.

Das Interview führte Heike Sicconi.

Quelle:
DR