Musik von Arvo Pärt zum 75. Geburtstag

„Man muss der Stille gut zuhören“

Arvo Pärt gehört zu den populärsten Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts. Wenn man heute seine Werke hört, glaubt man nicht, dass der estnische Komponist am Anfang der Karriere sein Geld mit Filmmusik verdiente. Auch dass er in einer frühen Schaffensperiode Zwölftonmusik schrieb, hört man heute gar nicht mehr.

 (DR)

Er ist ein Grenzgänger. Arvo Pärt lebt zwischen Ost- und Westeuropa. Er arbeitet mit ganz verschiedenen musikalischen Stilrichtungen, begann zu Sowjetzeiten mit Zwölftonmusik, kam später zur Gregorianik, verstummte auch einmal für einige Jahre und studierte mittelalterliche Musik. Und der Este ist, wie vielleicht kein anderer zeitgenössischer Komponist, ein tief religiös geprägter Autor.



Handelte ihn vor einigen Jahrzehnten die New-Age-Szene noch als kleinen Propheten (eine Vereinnahmung, die ihm gar nicht passte), so ist seine tiefe Verwurzelung in alten christlichen Motiven längst offensichtlich und wird im Alter immer deutlicher. Damit ist Pärt, der am Samstag 75 Jahre alt wird, vielleicht ein moderner Mystiker. Er bringt dem nicht klangverwöhnten Zuhörer der Moderne alte Gregorianik und gewagte Vielstimmigkeit.



Spätestens seit seiner - vom damaligen kommunistischen Regime in der Sowjetunion herbeigeführten - Übersiedlung in den Westen 1980 ist er einem breiten Publikum bekannt. Lange lebte Pärt in Berlin; erst nach dem Ende der Teilung Europas kehrte er wieder für längere Zeit in seine estnische Heimat zurück.



"Worte schreiben die Musik", sagte er einmal - und viele seiner Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte nehmen biblische Texte auf. Pärt ist tief in alten christlichen Traditionen und Motiven verwurzelt. Heute schreibt er neue Werke, ohne die reiche Tradition zu vergessen oder auszublenden. Ja, er nutzt gerade die reiche Tradition, um neue Musik damit zu prägen.



Dabei begann der 1935 in Paide im Zentrum Estlands geborene Pärt nach Schulzeit, Musikschule und einigen Monaten Musikstudium zuerst in der Militärmusik. Später arbeitete er als Tonmeister im Estnischen Rundfunk und erfuhr damit vielerlei neue Musik, die so gar nicht zu den staatlichen Vorgaben passte. Das beschäftigte ihn:  Sein Werk "Nekrolog" von 1960 war das erste in Zwölftontechnik geschriebene Werk in Estland.



In dem Buch "Arvo Pärt - Im Gespräch", das zur Frankfurter Buchmesse im Oktober erscheinen soll, nennt er als einen Grund für seine Hinwendung zur Zwölftontechnik das Streben nach objektiverer, nichtemotionaler, reiner Musik. Und wendet sich dann doch seit 1964 wieder von dieser Technik ab. Als Grund nennt er ein wachsendes Bewusstsein für die "Existenz einer anderen Welt", die eine starke Anziehungskraft auf ihn ausgeübt habe. Schon da spielt die wachsende Religiosität Pärts hinein.



1968 wird sein Stück "Credo" uraufgeführt - ein Wendepunkt in seinem

Leben: Zwölf Minuten einer Konfrontation von avantgardistisch Neuem und Alter Musik, einer Auseinandersetzung mit Johann Sebastian Bach und dessen C-Dur-Präludium. Mit dem gesungenen Vers "Credo in Jesum Christum" ist es Pärts erste öffentliche Stellungnahme zum christlichen Glauben, und sie wirkt als politische Provokation gegen das herrschende Regime.



Zusehends wird Pärt von der kommunistischen Partei "abgestempelt und verfolgt". Und zieht sich in ein fast acht Jahre währendes schöpferisches Schweigen zurück. Eine Zeit, in der der mittlerweile der russisch-orthodoxen Kirche zugehörige Pärt sich die Gregorianik erarbeitet, den getragenen kirchlichen Gesang. Er stimmt sogar selbst diese Melodien an. "Ich fing an, jene Melodien zu singen und zu spielen, mit demselben Gefühl, mit dem man sich einer Bluttransfusion unterzieht", erinnert er sich.



Einen Schlusspunkt dieser Lebensphase bildet die Schaffung des Tintinnabuli-Stils, mit dem viele Hörer seine Kunst verbinden. Tintinnabuli (lateinisch "Glöckchen") beschreibt als Stilbegriff Pärts ganz eigen klingende Mehrstimmigkeit. Mit dem neuen Stil einher ging eine Abwendung von der Dominanz der neuen Musik. "Man könnte sagen, dass ich mit mir und Gott ins Reine gekommen war und damit auch alle persönlichen Forderungen der Welt gegenüber in den Hintergrund gerückt waren."