Musikauswahl bei kirchlichen Feiern sorgt mitunter für Misstöne

"Mehr Sensibilität erwünscht"

Beerdigung, Taufe, Hochzeit - Menschen haben oft eine genaue Vorstellung, was zu diesem Anlass in der Kirche gespielt werden soll. Ein heikles Thema, schließlich sind solche Anlässe kein Rahmen für ein Wunschkonzert.

Autor/in:
Guido Krawinkel
Orgel: klassisches Instrument in der Kirche / © Jörg Loeffke (KNA)
Orgel: klassisches Instrument in der Kirche / © Jörg Loeffke ( KNA )

Zur Beerdigung gibt's "Don't cry for me Argentina" von Andrew Lloyd Webber oder "Morning has broken" von Cat Stevens, bei Hochzeiten "One moment in time" von Whitney Houston oder Franz Schuberts "Ave Maria", gesungen von Luciano Pavarotti. Diese Musikwünsche werden bei solchen besonderen Anlässen nahezu täglich gegenüber Kirchenmusikern geäußert. Nicht selten führt das bei ihnen zu Verdruss, denn mit ernstzunehmender Kirchenmusik hat das kaum noch etwas zu tun.

"Das Problem ist vielfältig, brisant und schwierig", erklärt Wolfgang Bretschneider, Präsident des Allgemeinen Cäcilien Verbandes (ACV). Grundsätzlich sei man ja froh, wenn Menschen überhaupt noch zur Kirche kommen und nicht auf außerkirchliche Angebote umsteigen. Aber: "Immer mehr haben keine Beziehung - mehr - zur Kirche", beobachtet der Experte. Deshalb könnten sie auch nicht nachvollziehen, warum dieses oder jene Stück nicht in die Kirche passen soll.

Das bestätigt auch Kirchenmusiker Enrico Langer. Kirchenferne Menschen hätten mitunter "abstruse Vorstellungen", ärgert sich der Kantor im sächsischen Ehrenfriedersdorf. Er wünscht sich von Trauernden und Brautleuten vor allem eines: "Mehr Sensibilität für die sakrale Musik. Was passt wirklich in einem Gottesdienst?"

Bedenkliche Entwicklung

Doch diese Frage scheinen sich immer weniger Menschen zu stellen. Da wird die Musik bei festlichen Anlässen zum Wunschkonzert. Nicht mehr die spezielle Würde des Ortes oder der liturgische Anlass der Feier entscheiden über die musikalische Gestaltung, sondern allein individuelle Vorlieben und der persönliche Hintergrund. Eine aus liturgischer wie kirchenmusikalischer Sicht überaus bedenkliche Entwicklung, wie auch Martin Kondziella, Kirchenmusiker im thüringischen Dingelstädt, findet. Er vertritt diesbezüglich einen traditionsorientierten Standpunkt: "Es gibt einfach keinen Grundkonsens mehr, was Kirchenmusik soll, inwiefern sie dem Menschen dient und warum sie trotzdem nicht beliebig ist."

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit tut sich eine immer größere Kluft auf. "Die Wünsche vieler Brautpaare sind oft Klischees einer typischen Traumhochzeit", beobachtet Norbert Hoppermann, Regionalkantor an St. Ansgar und St. Bernhard, dem sogenannten Kleinen Michel, in Hamburg. Positive Erlebnisse werden da aus seiner Sicht immer seltener. Wenn er einmal "richtige Orgelmusik" spielen kann oder auch Pop mit einem greifbaren religiösen Hintergrund, dann freut sich Hoppermann und zeigt sich generell auch offen für andere Musikströmungen. Den Wedding-Song von Paul Starkey etwa, den dieser nach seiner Konversion als Trauzeuge von Peter (Paul) and Mary geschrieben hat, sieht er durchaus als tauglich an, ganz im Gegensatz zu Leonard Cohens "Hallelujah"-Ballade. "Die ist groß in ihrer archaischen Gebrochenheit, hat aber zum christlichen Eheverständnis nichts zu sagen."

"Kulturelle Entfremdung"

Die Liste mit Musikwünschen, die inhaltlich nichts mit dem liturgischen Anlass oder dem kirchlichen Ort zu tun haben, ist vor allem bei Trauungen lang: Das fängt bei Coldplays "Viva la vida" an und reicht bis hin zur "Forrest Gump Suite" von Alan Silvestri. Nicht nur Hoppermann konstatiert hier eine "kulturelle Entfremdung", der nur durch einen "kontinuierlichen Wiederaufbau musikalischer und liturgischer Kultur" zu begegnen sei.

Auch sehen sich Kirchenmusiker zunehmend einer Dienstleistungsmentalität ausgesetzt. Das reicht von den immer absurderen Musikwünschen und dem Unverständnis für die notwendige Vorbereitung des Kirchenmusikers ("Wie, das müssen Sie üben?") bis hin zu bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Programmzetteln, die sich eher wie eine Regieanweisung als wie der Ablauf einer liturgischen Feier lesen.

Frustrierte Kirchenmusiker

Das Frustpotenzial der Kirchenmusiker bei diesem Thema ist dementsprechend hoch. Denn die Priorität, worauf es bei den sogenannten Kasualien auch bei der musikalischen Gestaltung ankommt - nämlich die Lebenswirklichkeit der Menschen mit dem Auftrag der Kirche in Einklang zu bringen - scheint sich zunehmend in eine Einbahnstraße mit individualisierter Fahrtrichtung zu entwickeln.

Das Problem hat auch die Kirche erkannt. ACV-Präsident Bretschneider plädiert derweil für Augenmaß: "Ich habe einen pastoralen Grundsatz: im Zweifel für die Menschen." Schließlich seien die Sakramente für die Menschen da. Natürlich müsse es auch Grenzen geben. "Aber wie die zu ziehen sind, muss jeweils neu entschieden werden." In jedem Fall müsse der Eindruck vermieden werden, dass Menschen mit ihren Wünschen keine Chance hätten. "Sie müssen sich ernst genommen fühlen." Man sollte beispielsweise viel öfter auf die Texte der gewünschten Songs in der Predigt eingehen, findet Bretschneider. "Manches, was zunächst weltlich erscheint, hat durchaus religiöse Dimensionen."


Quelle:
KNA