Es ist ein dickes Brett, das der Osnabrücker Islamwissenschaftler Bülent Ucar gebohrt hat. Entsprechend stolz ist der 36-Jährige auf das Ergebnis, das nun in Berlin vorgestellt wurde: "Wir haben mit diesem Projekt einen Nerv getroffen." Das "«Projekt" hört auf den Namen «Avicenna-Studienwerk» und ist das erste sogenannte Förderungswerk, das künftig begabte muslimische Studenten und Nachwuchswissenschaftler mit Stipendien und einem eigenen Netzwerk unterstützt. Integration führt über Bildung, betont Ucar bei der Vorstellung am Dienstag. Deswegen sei die Initiative ein "großer Schritt" nach vorn. Und längst überfällig angesichts von bis zu 100.000 muslimischen Studenten an Deutschlands Universitäten.
Arbeiten wird das "Avicenna-Studienwerk" nach den gleichen Regeln wie die zwölf anderen bereits bestehenden Werke: Die Anwärter müssen überdurchschnittlich begabt sein und Bereitschaft zu sozialem Engagement zeigen; die Stipendien finanziert das Bundesbildungsministerium, die Verwaltungskosten übernimmt der Träger. Die ersten Jungakademiker will "Avicenna" ab dem Wintersemester 2014/2015 fördern. Rund sieben Millionen Euro stehen dafür in den kommenden vier Jahren zur Verfügung. Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) sieht das als Investition in die Zukunft: Durch die Unterstützung des Förderwerks werde deutlich, "dass gerade in der Pluralität unserer Gesellschaft eine große Chance liegt".
Gerangel ausgeschlossen
Die Stiftung Mercator kommt zu einem ähnlichen Urteil. Eine Million Euro wollen die Verantwortlichen bis 2018 zuschießen. Auch der Vorsitzende der Geschäftsführung Bernhard Lorentz spricht von einem "wichtigen integrationspolitischen Signal'". Die Essener Stiftung, die sich in vielen weiteren Projekten einer "chancengleichen Teilhabe"von Migranten am deutschen Bildungswesen verschrieben hat, hofft zudem darauf, dass die Stipendiaten zu Vorbildern für andere in der Bundesrepublik lebende Muslime werden. Die Botschaft, für die Ucar und seine Mitstreiter warben, ist offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen.
Dafür allerdings, sagt der Osnabrücker Forscher diplomatisch, mussten "viele Gespräche" geführt werden. Auch galt es, die Leitung des neuen Förderungswerks mit angesehenen Vertretern der Zunft zu besetzen. So gehören zum Vorstand außer Ucar selbst unter anderen der Leiter des Tübinger Zentrums für Islamische Theologie, Omar Hamdan, sowie die Berliner Arabistin Angelika Neuwirth. In der Politik sei das Echo durchweg positiv gewesen, betont Ucar. Auch in den anderen Begabtenförderungswerken herrscht erwartungsvolle Neugier auf das dreizehnte Mitglied im Club der Bildungsförderer. "Sehr zu begrüßen" sei die Initiative, weil es nach Werken für Christen und Juden auch ein entsprechendes Angebot für Muslime gebe, sagt Ingrid Reul vom katholischen Cusanuswerk. Vielleicht entstünden dadurch sogar neue Möglichkeiten der Kooperation.
Dass es zu Gerangel bei der Vergabe der staatlichen Fördergelder zwischen den Etablierten und dem Neuankömmling kommt, dürfte so gut wie ausgeschlossen sein: Bereits zwischen 1998 und 2012 wurden die Mittel mehr als verdreifacht - ab 2005 unter Wankas Vorgängerin Annette Schavan (CDU), früher auch einmal Geschäftsführerin beim Cusanuswerk. Dessen Öffentlichkeitsreferentin Ingrid Reul findet vor allem die Namenswahl gelungen. Avicenna war ein persischer Gelehrter im 11. Jahrhundert. Und gilt bis auf den heutigen Tag als einer der großen Integrationskräfte, die im Mittelalter Abendland und Orient zusammenführten.