Mussinghoff zum deutsch-jüdischen Verhältnis

"Die meisten Juden fühlen sich gut aufgehoben"

Die Anschläge in Paris und Kopenhagen haben in den jüdischen Gemeinden in Deutschland Ängste geschürt. Der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff erklärt im Interview, warum gerade die jüdische Jugend viel Unterstützung braucht.

Bischof em. Mussinghoff: Seit Dezember 2015 im Ruhestand (dpa)
Bischof em. Mussinghoff: Seit Dezember 2015 im Ruhestand / ( dpa )

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Bischof Mussinghoff, in Europa nehmen Anschläge auf jüdische Einrichtungen zu - wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Heinrich Mussinghoff (Vorsitzender der Unterkommission der Ökumenekommission Deutschen Bischofskonferenz für die religiösen Beziehungen zum Judentum): Ich würde den Kreis sogar größer ziehen und die vielen Angriffe und Anschläge in Israel mitbetrachten. Es ist erschreckend, wenn Synagogen angegriffen und Menschen wegen ihres jüdischen Glaubens angefeindet werden. Der Bundesinnenminister hat ja jetzt sogar eine Kommission zur Bekämpfung des Antisemitismus zusammengesetzt.

KNA: Wie groß ist das Problem?

Mussinghoff: Es gibt Experten, die davon sprechen, dass in Deutschland etwa jeder Fünfte anfällig ist für Judenfeindlichkeit. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs soll diese Zahl relativ konstant sein. Und ein Problem kommt heute dazu: Wir leben in einer Zeit, in der die letzten Überlebenden des Holocaust sterben und nicht mehr als Zeitzeugen zur Verfügung stehen. Da stirbt ein wichtiges Stück Erinnerungskultur, das durch neue Formen ersetzt werden muss. Eine große Erziehungsaufgabe - für die Schulen, die Kirchen und andere Institutionen.

KNA: Israels Ministerpräsident Netanjahu hat ja sogar Juden aufgefordert, Europa zu verlassen und nach Israel zu gehen...

Mussinghoff: Davon halte ich nichts! Diese Forderung kommt ja seit Jahren immer wieder mal aus Israel. Aber die meisten Juden bei uns wollen das gar nicht, sondern fühlen sich gut aufgehoben. Und auch mit den Kirchen gibt es enge und gute Beziehungen. In der Beschneidungsdebatte etwa waren wir die ersten, die eine Erklärung herausgegeben haben. Das ist bei den Juden sehr genau registriert worden. Wir haben seit Jahren regelmäßige Gespräche mit den beiden Rabbinerkonferenzen, der allgemeinen und der orthodoxen, bei denen schon viel Vertrauen gewachsen ist. Und wo immer ein Konflikt ist, kommen wir schnell zusammen, reden miteinander und versuchen die Dinge zu klären und auch Stellung zu nehmen unsererseits. Wir sind ein gastfreundliches Land.

KNA: In dieser Woche findet der Jüdische Jugendkongress in Berlin statt. Was ist Ihre Botschaft an die jungen Menschen, die zurzeit vielleicht auch verunsichert sind?

Mussinghoff: Ich denke, wir müssen sie unterstützen, wo es nur geht. Zum einen müssen wir wachsam sein und alles tun, um Angriffe aller Art zu verhindern. Und zum zweiten dürfen wir nicht müde werden zu erinnern und aufzuklären. Da passiert schon sehr viel in jüdisch-christlicher Kooperation, etwa durch Informationsmaterial an den Schulen und im Internet - zum Beispiel, was jüdische Feiertage angeht, aber auch die Gedenktage an die Gräuel der Nazi-Zeit. Damit können wir die Erinnerung wachhalten und zugleich die Wachsamkeit stärken.

KNA: Was kann die katholische Kirche hier noch tun?

Mussinghoff: Zum Beispiel immer wieder betonen, dass das Judentum, der erste Bund Gottes mit dem Volk Israel, auch die erste Grundlage des christlichen Glaubens ist. Jesus Christus war ein Jude. Hier können wir sicher noch mehr Gemeinsames entdecken. In diesem Jahr erinnern wir auch an 50 Jahre "Nostra aetate", das wichtigste Konzilsdokument für die christlich-jüdischen Beziehungen. Dazu fahren wir mit einer Gruppe von Rabbinern nach Israel und mit einer Gruppe von Rabbinern nach Rom und versuchen auch durch solche Aktionen Zeichen zu setzen.

 

Das Interview führte Gottfried Bohl.

Äußerungen von Gesprächspartnern geben deren eigene Auffassungen wieder. Weder domradio.de noch das Erzbistum Köln machen sich Äußerungen der Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen zu eigen.


Quelle:
KNA