Nach dem Massaker an der Highschool von Parkland im Bundesstaat Florida Mitte Februar entfaltete sich so viel politischer Aktivismus, dass einige Beobachter schon den Beginn einer neuen Jugendbewegung in den USA ausmachten. Als jedoch ein 17-Jähriger am 18. Mai acht Mitschüler und zwei Lehrer in der texanischen Kleinstadt Santa Fe ermordete, blieb es hingegen ruhig.
Statt zu protestieren, begannen Jung und Alt in dem 13.000-Seelennest zu beten. So kürzlich auf dem Sportplatz der Highschool, wo sich Hunderte Studenten, Eltern, Lehrer und Geistliche zu einer Gebetsnacht einfanden.
Kaum Trennung zwischen Staat und Kirche
"Warum machen wir das hier anders in Santa Fe?", fragte Pastor Brad Drake die Versammelten. "Weil unsere Führer, die Führer unserer Stadt, unseres Schulbezirks, unseres Bundesstaates wissen, an wen sie sich wenden müssen - unseren Herrn Jesus Christus."
In Santa Fe sind solche Worte an einer öffentlichen Schule alles andere als anmaßend. Sie reflektieren die Befindlichkeit der Betroffenen, die sich weder an dem einflussreichen Waffenverband National Rifle Association (NRA) reiben, noch Politiker zur Rechenschaft ziehen wollen. Die andernorts strikte Trennungslinie zwischen Staat und Religion ist in diesem von Baptisten dominierten Teil von Texas kaum zu erkennen.
Gebete vor dem Fußballspiel
Wie schon damals zur Jahrtausendwende nicht, als Katholiken und Mormonen über die Vereinnahmung der Schulen durch fundamentalistische Protestanten klagten. Damals erlaubte der Schulbezirk, dass Schüler vor den Spielen der Highschool-Footballmannschaft christliche Gebete über die Lautsprecher der Sportanlage ertönen ließen.
Der Fall landete als "Santa Fe versus Doe" vor dem obersten Verfassungsgericht. Dieses entschied im Jahr 2000 in einem Grundsatzurteil mit sechs zu drei Stimmen, dass diese Form der öffentlichen Frömmigkeit gegen das Trennungsgebot von Staat und Kirche verstoße. Die Highschool musste die Praxis beenden. Was blieb, sind die privaten Gebete vor den Spielen, in denen die Schüler Jesus wahlweise erst um ihre Sicherheit und dann um den Sieg bitten.
T-Shirts mit Bibelzitaten
Die junge Katholikin Esta O'Mara (15) sagt, an der Pietät habe sich bis heute wenig geändert. So sei es durchaus normal, dass Mitschüler T-Shirts mit Bibelzitaten oder Aufschriften wie "Unser Herr und Retter" tragen. Ihre Mitschülerin Grace Johnson (18) erzählt der "Washington Post", wie sie mit anderen Schülern während der Schießerei einen Gebetskreis bildete. "Wir haben für alle unsere Mitschüler gebetet, und dass alles in Ordnung sein wird."
In diesem Verhalten sehen die Geistlichen der Gemeinde, was den Unterschied zu vielen anderen Teilen der USA ausmache. "Ich erinnere mich an den 11. September, als scheinbar die ganze Nation betete und zur Kirche ging", sagt der Pastor der Arcadia First Baptist Church, Jerl Watkins. "Das zeigt mir, dass wir alle tief in uns wissen, dass es einen Gott gibt, an den wir uns in schweren Zeiten wenden können."
Einfluss der Evangelikalen
Für den Historiker Walter L. Buenger von der University of Texas in Austin entspricht der Umgang der Gemeinde von Santa Fe dem Verhalten in texanischen Kleinstädten, die bis heute von frommen Baptisten bestimmt würden. "Evangelikale Geistliche haben hier einen ziemlichen Einfluss", so der Wissenschaftler.
Ein Beispiel dafür ist das schnelle Einsatzteam der "Billy Graham Evangelistic Association". Bereits wenige Stunden nach dem Massaker fanden sich die freiwilligen Helfer der Organisation auf dem Gelände der öffentlichen Highschool von Santa Fe ein. Kurz darauf prangten zehn weiße Kreise auf dem Schulgelände; darunter einer für die getötete muslimische Gastschülerin Sabika Sheikh.
Religiöse Poster statt Protest
Statt Protestbanner gegen Schnellfeuer-Gewehre und Waffenkult zeigten Schüler ein Poster mit den Worten aus "Nimm meine Hand, wir gehen zusammen da durch - Jesus". Marian Ward, die damals gegen das Verbot des Schulgebets geklagt hatte, ist froh, dass sich an der Frömmigkeit von Santa Fe nichts geändert hat. "Die Fackel ist übergeben worden. Es ist wieder ziemlich derselbe Platz, der es einmal war."