Nach dem Unglück in Chile bemühen sich die Kirchen um die Medien

Glaubenskrieg an der Grube

Seit Anfang August sitzen in Chille 33 Bergmänner in einer Grube fest. Für sie wohl die größte Tragödie ihre bisherigen Lebens – für einen Priester die Möglichkeit, medienwirksam Werbung für eine Erweckungsbewegung zu machen. Die katholische Kirche reagiert mit Papst-Unterstützung.

Autor/in:
Tobias Käufer
 (DR)

Carlos Parra ist ein einfallsreicher Mann. Der Priester der Siebenten-Tags-Adventisten beherrscht das Spiel mit den Medien: An der Pressekabine, nur wenige Meter von dem Platz entfernt, an dem sich die mächtigen Rettungsbohrer auf dem Gelände der Gold- und Kupfermine San Jose in die Tiefe fressen, ließ der groß gewachsene Gottesdiener ein Werbebanner der Adventisten anbringen. Jeder nationale und internationale Journalist kann so erkennen: Die Adventisten sind hier.



Auch ansonsten ist seine Mission vor Ort nahe der chilenischen Stadt Copiapo bislang ein voller Medienerfolg. Vor rund zwei Wochen gelang Parra der bislang größte Coup. Er ließ 33 winzige Bibeln anfertigen, die zwar gerade noch groß genug waren, um lesbar zu sein, aber eben auch handlich genug, um sie durch den nur wenige Zentimeter großen Versorgungskanal in die Tiefe zu schicken. Um den seit dem 5. August nach dem Einsturz eines Grubenbereiches eingeschlossenen 33 Bergmänner das Bibellesen leichter zu machen, packte Parra auch noch Vergrößerungsgläser dazu. "Wir haben dieses großartige Geschenk unserer Kirche für die Bergleute vorbereitet", ließ Parra die wartenden Journalisten wissen. Fast alle Medien in Chile, aber auch viele darüber hinaus berichteten von der Aktion. Nahezu jeden Tag ist Parra auf dem Gelände der Mine anzutreffen und sucht das Gespräch mit den Journalisten.



Keine öffentliche Kritik der katholischen Kirche

Es gibt keine öffentliche Kritik der katholischen Kirche an der publikumswirksamen Dauerpräsenz des Adventistenpastors. Einige Familienangehörige der verschütteten Bergleute kritisieren allerdings das offensive Verhalten - hinter vorgehaltener Hand.  Kardinal Francisco Javier Errazuriz Ossa konterte mit schwerem Geschütz: Er ließ vor wenigen Tagen Rosenkränze, die von Papst Benedikt XVI. gesegnet wurden, per Sonde in die Mine herab. Die Familien der Bergleute erzählen sich, dass der Kardinal nur deshalb eine Messe unter freiem Himmel angesetzt habe, weil er zuvor von der Präsenz Parras erfahren hatte.



Die Atmosphäre im Zeltlager ist bizarr: Journalisten, Retter und Angehörige verbringen Tage und Nächte auf einem Platz nicht größer als ein Fußballfeld - fernab von der Zivilisation. Dabei unterscheiden sich die Gruppen auf dem "Campenato de Esperanza" durch die Farben ihrer Akkreditierungen: Schwarz für die Familien und Rettungskräfte, Blau für die Internationale Presse, Grün für die nationalen Medienvertreter. Fast den ganzen Tag gleicht der karge, felsige Platz einem bunten Durcheinander. Nur während der täglichen Pressekonferenzen oder bei den vielen kleinen Zeremonien ordnen sich die Gruppen wie von Geisterhand gesteuert.



Der Bergbau ist hier Arbeitgeber Nummer eins

Das "Zeltlager der Hoffnung" liegt mehr als eine Autostunde von Copiapo entfernt. Am kleinen, aber modernen Flughafen der chilenischen Stadt werden die Besucher mit einer Werbung für japanische Bohrköpfe begrüßt; der Bergbau ist hier Arbeitgeber Nummer eins. Die Reise zur Unglücksstelle führt zunächst durch eine triste, staubtrockene Wüstenlandschaft. Die Nächte sind bitterkalt, tagsüber brennt die Sonne in kräftigen Strahlen vom Himmel. Alle paar Stunden besprüht ein Lastwagen den staubigen Boden mit Wasser.



In der kleinen katholischen Stadtkirche von Copiapo ist das Schicksal der Bergleute bei jedem Gottesdienst ein Thema. Mit Fürbitten und gemeinsamen Gebeten zeigen die Menschen ihre Solidarität mit den eingeschlossenen Kumpeln. Auch im "Zeltlager der Hoffnung" gibt es eine kleine, improvisierte Kapelle. Dorthin ziehen sich die Familien zurück, wenn sie in aller Stille beten wollen. Ein weißer Schutzhelm erinnert inmitten des bunten Medienrummels daran, worum es eigentlich geht: Er trägt die Namen der 33 eingeschlossenen Bergleute.