Nach der SPD zankt sich nun auch die Union über die Bezugsdauer

Alle streiten über das ALG

Die Auseinandersetzung um die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes (ALG) I bringt die Fronten in der großen Koalition durcheinander. Nicht nur die SPD streitet über den Vorstoß von Parteichef Kurt Beck. Auch in der Union gibt es unterschiedliche Auffassungen.

 (DR)

Regierungserklärung von Müntefering
Mehrere SPD-Politiker forderen eine Einigung noch vor dem Parteitag Ende Oktober. Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD), der Becks Vorschlag bisher ablehnt, bezweifelte den Kostenvoranschlag seines Parteichefs. Der Generalsekretär der nordrhein-westfälischen CDU, Hendrik Wüst, forderte die Union auf, ihren Parteitagsbeschluss für ein längeres ALG I umzusetzen. Dagegen relativierte der mittelstandspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Fuchs (CDU), das Parteitagsvotum vom Dezember 2006. Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) bot an, mit Beck zu sprechen. Am Vormittag will Müntefering im Bundestag eine Regierungserklärung zur Arbeitsmarktpolitik abgeben.

Die CDU hatte 2006 auf ihrem Bundesparteitag beschlossen, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Ältere zu verlängern. Das fordert nun auch Beck. Rüttgers will jedoch die Zahlungsdauer an die Zahl der Beitragsjahre knüpfen, während sich Becks Vorschlag auf das Lebensalter bezieht. Außerdem will die CDU ihre Pläne kostenneutral finanzieren.

Müntefering sagte zu Becks Einschätzung, dass eine längere Bezugsdauer des ALG I rund 800 Millionen Euro kosten werde: "Wenn sich die Konjunktur abschwächt, könnte das schnell deutlich teurer werden." Der Vizekanzler betonte, er sei an einer einvernehmlichen Lösung mit Beck zum Parteitag interessiert. Doch müsse ein solcher Antrag "mutig nach vorne weisen". Eine gemeinsame Lösung dürfe nicht so fantasielos sein, dass sie Passivität finanziere.

"An der Basis ein Gefühl der Befreiung"
Der Sprecher der parlamentarischen Linken in der SPD, Ernst Dieter Rossmann, lobte Becks Pläne dagegen als kluge Strategie. "Das Versöhnungssignal des Parteichefs löst an der Basis ein Gefühl der Befreiung aus, weil nun an oberster Stelle ausgesprochen wird, was dort schon immer so gesehen wurde", sagte Rossmann. Außerdem könne die SPD so vor weiteren Manövern des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) geschützt werden, der in der Union für ein längeres Arbeitslosengeld I streitet. SPD-Generalsekretär Hubertus Heil betonte: "Unser Ziel ist es, eine einvernehmliche Lösung auf Basis der Vorschläge von Kurt Beck zu erreichen."

Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Klaus Brandner, sagte, wenn sich der Arbeitsmarkt günstig entwickle, könnten die Kosten für ein längeres ALG I sogar geringer sein, als von Beck veranschlagt. Als innerparteilichen Kompromiss schlug er vor, Becks Pläne bis 2010 zu befristen. Statt bereits ab 45 Jahren eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I vorzusehen - wie es DGB und Beck gefordert hatten - solle es eine Verlängerung erst ab 50 Jahren geben. "Ab dem 50. Lebensjahr und nach 36 Monaten Beschäftigung in den vergangenen 5 Jahren soll für 18 Monate und ab dem 55. Lebensjahr nach 42 Monaten Beschäftigung in den vergangenen fünf Jahren für 24 Monate Arbeitslosengeld I bezahlt werden", sagte Brandner.

Wüst:  Wir können das schon umsetzen
Wüst forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, noch vor dem SPD-Parteitag in der Koalition über das Arbeitslosengeld I zu fassen. "Es gibt einen Beschluss des Bundesparteitags. Die SPD hat klein beigegeben. Wir können das morgen schon umsetzen", sagte er. Die Union solle der SPD keine Möglichkeit geben, noch mehrere Wochen mit diesem Thema Punkte zu sammeln.

Fuchs sagte zum Parteitagsbeschluss der CDU: "Das haben wir doch damals nur angenommen, weil jeder wusste, das kommt nicht." Für die CDU werde es Korrekturen beim ALG I "aufgrund unserer glasklaren Beschlusslage" nur im Gesamtpaket mit einer Lockerung des Kündigungsschutzes und mehr Spielraum für betriebliche Bündnisse für Arbeit geben. Außerdem brachte Fuchs ein vorzeitiges Ende der großen Koalition und vorgezogene Neuwahlen ins Gespräch. Wenn die SPD meine, sie müsse die Reformen der "Agenda 2010" des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) drastisch zurückdrehen, dann sei der großen Koalition die Geschäftsgrundlage entzogen.

Beckstein forderte die SPD auf, zunächst einmal klar sagen, wohin sie wolle. "Dann bin ich bereit, darüber mit Herrn Beck zu reden", sagte er. Grundsätzlich habe er Verständnis für Becks Vorschlag. Allerdings gehe der SPD-Chef immer vom Alter der Arbeitslosen aus. Er selbst stelle dagegen die Zeit der Beitragszahlungen in den Mittelpunkt, sagte Beckstein. Beck sage bisher auch nichts dazu, wie er die längere Auszahlung finanzieren und wie er Missbrauch künftig verhindern wolle.