Kölner Glocke nach 76 Jahren wieder in tschechischer Heimat

Nach langer Reise am Ziel

Eine beeindruckende Tat der Versöhnung: 76 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde jetzt eine Glocke, die von den Nationalsozialisten im heutigen Tschechien beschlagnahmt wurde, zurückgegeben.

Der Kran hievt die Glocke vom Dach / © Georg Müller (privat)
Der Kran hievt die Glocke vom Dach / © Georg Müller ( privat )

DOMRADIO.DE: Was ist das denn für eine Glocke, um die es sich handelt?

Peter Otten (Pastoralreferent in den Gemeinden St. Agnes und St. Gertrud Köln): Die Glocke hat vermutlich sehr lange im tschechischen Schillersdorf geläutet. Es gibt eine Inschrift auf der Glocke in deutscher Sprache vom Ende des 18. Jahrhunderts, woraus hervorgeht, dass das wohl eine Replika ist von einer Glocke, die verloren gegangen oder zerstört worden ist. Dann ist sie in der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt worden, wie viele, viele andere Glocken, übrigens auch Glocken von St. Agnes. Und dann gab es in Hamburg ein großes Glockenlager, wo die Glocken alle zusammengetragen worden sind. Die Glocke hat "überlebt", ist also nicht eingeschmolzen worden. Und nach dem Krieg konnten sich dann Kirchengemeinden, deren Glocken verloren gegangen waren, aus diesem Glockenlager, Glocken ausleihen. Und von daher handelt es sich um eine so genannte Leihglocke, die dann zuerst in St. Agnes geläutet hat. Da man sich in St. Agnes entschlossen hat, neue Glocken anzuschaffen, aber St. Gertrud schon im Plan war, haben wir gesagt, dass diese Glocke nach St. Gertrud kommt.

DOMRADIO.DE: Wie ist die Idee entstanden, die Glocke zurückzugeben nach Tschechien?

Otten: Die Tschechen, die Katholikinnen und Katholiken aus Schillersdorf, haben sich gemeldet. Schon vor bestimmt 20 oder 30 Jahren ging das los, mit ersten Gesprächen. Die hatten, glaube ich, ziemlich lange recherchiert. Aber irgendwann hat die Gemeinde herausgefunden, dass St. Gertrud die Glocke besitzt. Aber Sie können sich nicht vorstellen, wie kompliziert das ist. Diese Glocke gehört offiziell dem Staat. Aber es war gar nicht so einfach herauszufinden, was das bedeutet. Die Frage war: Ist überhaupt die Bundesrepublik Deutschland Rechtsnachfolgerin in diesem Fall, weil Schillersdorf ganz kurz eben zum Deutschen Reich gehörte, widerrechtlich. Und dann hat man überlegt: Kann es sein, dass sie eigentlich vielleicht sogar Österreich oder Ungarn gehört? Und das war alles sehr kompliziert. Es waren zum Schluss viele, viele staatliche Stellen. Die Botschaft in Prag, bestimmte Ministerien, das Katholische Büro in Berlin und in Düsseldorf, das Generalvikariat, der Kirchenvorstand, der Bauausschuss, die Tschechen beteiligt, wie das so ist mit viel Bürokratie. Aber jetzt hat es dann zum Glück endlich ganz schnell geklappt.

DOMRADIO.DE: Hat das gut funktioniert, die Glocke vom Turm zu bekommen und zu verladen?

Otten: Ja, wir haben es hier mit einer Böhm-Kirche zu tun. Und Böhm hat sehr viel experimentiert. Und es gab einen ungewöhnlichen Umstand: Man kann den Glockenturm von St. Gertrud nur durch eine Privatwohnung betreten. Das heißt, man musste auch immer mit dem Mieter sprechen. Sind Sie da? Sind Sie nicht da? Können wir mal rein? Da muss man da durch die Wohnung gehen, an einer anderen Tür wieder raus, steht dann auf dem Dach. Ja, es war so ein bisschen umständlich, aber auch irgendwie witzig. Und dann gab es natürlich statische Probleme. Die Glocke wiegt 650 Kilogramm und dann musste die oben zwischengelagert werden. Dann war die Frage: Hält das das Dach aus? Da hat ein Schreiner eine Holzkonstruktion gebaut, um das Gewicht zu verlagern. Also, der Kirchenvorstand, der Bauausschuss hat in den letzten Tagen sehr, sehr geschwitzt. Und was die geleistet haben, einfach vom Hirnschmalz, das ist Wahnsinn. Ohne die hätten wir das gar nicht geschafft.

DOMRADIO.DE: Und jetzt ist die Glocke wieder auf dem Weg nach Tschechien. Soll sie dann auch wieder in der Ursprungskirche läuten?

Otten: Ja, genau. Das ging jetzt zum Schluss rasend schnell. Die sollte eigentlich schon letzte Woche rüber. Aber da fehlten noch Stempel, Unterschriften und sonst was. Und dann konnten wir, der Kirchenvorstand, da nicht so schnell folgen. Sie soll jetzt zu Maria Himmelfahrt nochmal geweiht werden und dann offiziell zum ersten Mal läuten.

DOMRADIO.DE: Und wie sieht es in Sankt Gertrud aus? Gibt's da keine Glocke mehr?

Otten: Es gibt keine Glocke mehr. Das ist jetzt nicht ganz so misslich, weil nicht mehr wahnsinnig viele Gottesdienste dort stattfinden. Im Internet gibt's schon die ersten Vorschläge. Einer aus der Nachbarschaft schrieb: Wir sollten doch ein Glockenspiel da reinbauen mit Glocken im Viertelton-Abstand. Dann könnten wir moderne Musik spielen. Es ist schon Wahnsinn, wie die Leute da Anteil nehmen. Also das ist hier im Viertel sehr, sehr wahrgenommen worden, auch als Versöhnungsgeste. Und viele Leute schreiben mir einfach, dass das toll ist, dass die Geschichte jetzt mal schön zu Ende geht.

DOMRADIO.DE: Gab's denn da auch Debatten vorher, dass man gesagt hat, dass man die Glocke vielleicht gar nicht mehr abgeben will?

Otten: Nein, gar nicht. Überhaupt nicht. Also das ist überhaupt gar nicht einzusehen. Die Glocke gehört uns nicht. Und sie ist unrechtmäßig nach Deutschland gekommen. Und das ist ja wohl ein Akt der Selbstverständlichkeit, dass jetzt endlich mal zu Ende zu führen, nach 76 Jahren immerhin.

Das Interview führte Gerald Mayer.


Die Glocke an ihrer alten Wirkungsstätte / © Georg Müller (privat)
Die Glocke an ihrer alten Wirkungsstätte / © Georg Müller ( privat )

Die Glocke wird verladen / © Georg Müller (privat)
Die Glocke wird verladen / © Georg Müller ( privat )
Quelle:
DR