Nahost-Experte Oehring zur Aufnahme irakischer Flüchtlinge

"Deutschland darf nicht hinter seine Zusagen zurückfallen"

Am 25. und 26. September beraten die Innenminister der EU-Staaten erneut über die Aufnahme irakischer Flüchtlinge. Das Engagement der deutschen Politik für eine Aufnahme der verfolgten Christen und der Angehörigen anderer Minderheiten habe allerdings stark nachgelassen, kritisiert der Menschenrechtsbeauftragte des internationalen katholischen Missionswerks missio, Otmar Oehring. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) appellierte er am Sonntag an die Innenminister von Bund und Ländern, ihre früheren Zusagen einzuhalten.

Christen im Irak: Von jeher nur eine religiöse Minderheit, heute bedroht und verfolgt (DBK)
Christen im Irak: Von jeher nur eine religiöse Minderheit, heute bedroht und verfolgt / ( DBK )

KNA: Herr Oehring, seit mehr als einem Jahr werben die Kirchen für die Aufnahme eines Kontingents irakischer Flüchtlinge und haben dabei auch viel Unterstützung von Innenminister Schäuble und anderen Politikern erfahren. Wie stehen die Chancen auf eine positive Entscheidung der europäischen Innenminister?
Oehring: Wir erhalten immer mehr Signale aus den Innenministerien von Bund und Ländern und aus Brüssel, dass Deutschland mit seinem Engagement doch stark nachlässt und Rückzugsgefechte führt. Ich habe die Sorge, dass die EU-Innenminister letztlich wieder nur eine sehr weiche Erklärung verabschieden, die darauf verweist, dass die EU-Staaten doch auch im normalen Asylverfahren viel für irakische Flüchtlinge tun. Ich hielte es für skandalös, wenn Deutschland jetzt hinter seine früheren Zusagen zurückfallen würde.

KNA: Auch Frankreich hat sich für die Aufnahme eines Kontingents stark gemacht. Ziehen sich die Franzosen ebenfalls zurück?
Oehring: Es ist schon ziemlich perfide, wenn deutsche Stellen jetzt so tun, als ob die französische Ratspräsidentschaft sich nicht besonders für das Thema interessiere und es als deutsches Hobby abtue. Nach unseren Informationen aus Paris ist die Regierung von Präsident Sarkozy in der Sache sehr engagiert und setzt sich weiterhin für die Aufnahme nicht-muslimischer Irakflüchtlinge ein, wie im Frühjahr zwischen Präsident Sarkozy und Innenminister Schäuble abgesprochen. Und wenn Deutschland und Frankreich sich konsequent für die Aufnahme einsetzten, würden auch andere Staaten wie Spanien mitziehen.

KNA: Wie kommt es, dass der Wind sich in Deutschland offenbar so gedreht hat?
Oehring: Es geht um Sicherheitsbedenken, es geht um die Kostenübernahme für die Flüchtlinge und sicher auch um die kommenden Wahlen. Da besteht die - aus meiner Sicht falsche -Besorgnis, dass die Aufnahme der Christen nicht besonders populär ist. Ein Einschnitt war sicher der Besuch des irakischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki im Juli in Berlin, der erklärt hat, dass die Christen in seinem Land nicht diskriminiert würden und dass man sie für den Wiederaufbau dringend brauche - eine ziemlich unverschämte Behauptung.

KNA: Sie glauben ihm nicht?
Oehring: Es mag ja sein, dass das Land die in der Regel gut ausgebildeten Christen brauchen könnte. Alle Nachrichten, die wir aus dem Irak erhalten, zeigen aber, dass die Christen nirgendwo sicher sind und nirgendwo geschützt werden. Die Bundesregierung sollte auf die Aussagen von Herrn Maliki, die sicherlich aus seinen wirtschaftlichen Interessen erklärbar sind, nicht hereinfallen. Auch die anhaltend hohen Flüchtlingszahlen in Syrien, Jordanien und der Türkei beweisen doch das Gegenteil.

KNA: Wenn die Kirchen für die Aufnahme irakischer Christen und anderer Minderheiten werben, klingt das immer so, als sollten diese Menschen dauerhaft in Europa bleiben. Ist das ein falscher Eindruck?
Oehring: Man muss leider davon ausgehen, dass die nicht-muslimischen Minderheiten nicht mehr in den Irak zurückkönnen. Sowohl im schiitischen Süden als auch in der sunnitisch geprägten Mitte des Irak gibt es keine Überlebensperspektive für sie. Im auch kurdisch geprägten Norden schwankt die Lage zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Besonders nach dem Mord an dem irakischen Bischof Paul Faraj Rahho im März hat sich die Sicherheitslage verschlechtert. Es kommt zu offenen Übergriffen. Mittlerweile gibt es Meldungen, dass sich dort lebende Christen zum Selbstschutz bewaffnet haben. Aber das ist natürlich nur ein begrenzter Schutz und keine Dauerlösung.

KNA: Nach dem Besuch deutscher Abgeordneter in der Region hieß es, den irakischen Flüchtlingen in der Türkei, in Jordanien oder Syrien gehe es doch ganz gut. Wäre es nicht sinnvoller, die Flüchtlinge dort unterzubringen?
Oehring: Richtig ist, dass sie dort nicht in Lagern untergebracht sind, sondern in Wohnungen in den Armenvierteln leben. Ohne dauerhaften Rechtsstatus und ohne Arbeit vegetieren sie aber in Armut und Hoffnungslosigkeit vor sich hin. Und noch einmal: Vor allem die nicht-muslimischen Minderheiten werden auf Dauer nicht in den Irak zurückkehren können. Selbst bei einer Befriedung des Irak ist kaum vorstellbar, dass sie vor dem Hintergrund des Geschehenen wieder wie früher friedlich mit und unter Schiiten und Sunniten werden leben können.