domradio.de: Herr Schlüter, Sie gehen gerne immer wider in den Kölner Dom - mit gemischten Gefühlen - warum?
Harald Schlüter (Stellvertretender Leiter des Kölner Domforums und Mitglied des Netzwerks Kirchenführung): Ich will nicht sagen "mit gemischten Gefühlen", aber es gibt sehr verschiedene Situationen, in denen ich den Kölner Dom antreffe, in denen der Dom mir begegnet. Das ist auf der einen Seite der Morgen oder der Abend, wo der Touristenstrom nachgelassen hat und wo man von diesem Raum regelrecht ergriffen wird. Und es gibt Zeiten, da merke ich es bis in meine Körpersprache hinein, da bewege ich mich kaum anders als in der Bahnhofsvorhalle nebenan, weil so viele Menschen im Dom unterwegs sind.
domradio.de: Und, Herr Würbel, wann genießen Sie Gotteshäuser besonders?
Andreas Würbel (Referent bei der Thomas-Morus-Akademie in Bensberg und Mitglied des Netzwerks Kirchenführung): Am besten natürlich außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Wenn man eine besondere Gelegenheit hat, wie jetzt bei der Tagung in Hildesheim nach offizieller Öffnungszeit mit der Gruppe in den Dom zu gehen und den Raum mit seiner Ruhe, Stille und seiner ganz besonderen Atmosphäre erfahren zu können, ist das großartig. Das ist natürlich nicht so, wenn 3.500 Menschen im Kölner Dom von einer Seite auf die andere rennen und die Stille und Ruhe stören.
domradio.de: "Vorsicht Musealisierung", das war das Thema der diesjährigen Tagung des Netzwerks Kirchenführung. Welche Erfahrungen wurden denn von den Teilnehmern zur Sprache gebracht?
Schlüter: Man hat manchmal ein bisschen das Gefühl, dass die Museen immer mehr zu spirituellen Orten werden und die Sorge von manchen, die in der Verantwortung von Kirchen stehen, ist, dass die Kirchen immer musealer werden. Also, dass die Menschen gar nicht mehr den lebendigen Gottesdienstraum erfahren, sondern - in der historischen Bedeutung natürlich nicht ohne Grund - seine Ausstattung in der musealen Form wahrnehmen.
domradio.de: Wie könnte denn so eine Balance zwischen spiritueller Raumwahrnehmung und kunsthistorischer Wissensvermittlung aussehen? Gab es da auch Ansätze?
Schlüter: Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass die Besucher, die an einer Führung teilnehmen, nicht nur nacheinander die Kunstwerke besuchen, abhaken, so wie man es in einem Museum tut, wo man von Objekt zu Objekt geht, sondern dass sie eine Vorstellung von einem Raum bekommen, so wie er durch seine Ausstattung gewachsen ist und Orte im Raum gefunden hat, die dann auch für die Liturgie von Bedeutung sind. Das ist, glaube ich, das, was Kirchenführungen leisten müssen, um dem Besucher zu zeigen, dass eine Kirche mehr ist als ein Museum. Es ist ein gewachsener Ort mit viel Geschichte im guten Sinne, also lebendiger Tradition. All das gilt es zu vermitteln.
domradio.de: Kirchenführer sind ja nicht per se Missionare. Wie kann man denn diesen Konflikt lösen?
Würbel: Die Kirchenführerinnen und Kirchenführer müssen große Vermittlungsarbeit leisten, denn sie sind ja häufig Exponenten von Kirche - ob sie es sein wollen, oder nicht. Denn sie versuchen den Raum als liturgischen Raum zu vermitteln, obwohl in dem Moment keine Liturgie gefeiert wird. Da zu vermitteln, dass der Raum eigentlich ein Raum lebendigen Glaubens sein soll oder auch ist, das sehen die Besucher nicht. Die größte Herausforderung ist es dann, dies an Menschen weiterzugeben, die keinen christlichen Hintergrund haben.
domradio.de: Sie haben von der Stille gesprochen. In der Stille vermittelt sich viel von einem heiligen Raumgefühl. Stille lässt sich aber selten herstellen. Gibt es da bereits Gedanken - jenseits der Worte - wie so eine sinnliche Wahrnehmung eines spirituellen Raums inmitten des Tumultes geschaffen werden kann?
Schlüter: Vielleicht muss man bei dem Wort Kirchenführung noch einmal ansetzen, denn das Wort Führung suggeriert so, wie man es gerne auf bedeutenden Führungen sieht, jemanden, der am besten noch mit erhobenem Regenschirm vorangeht und die Gruppe durch den Raum, durch die Stadt führt. Der Begriff lässt sich kaum ausmerzen. Es gibt auch kaum eine Möglichkeit, es anders anzukündigen. Aber ich glaube, denen, die mit Kirchenführungen befasst sind, ist klar, dass eine Kirchenführung heute eher eine Erschließung und eine Begleitung sein muss. Was dabei unabhängig von der Frage, ob es im Raum unruhig ist oder nicht, ganz wichtig ist, ist, ob der Teilnehmer eine Möglichkeit hat, erst einmal selber zu schauen, bevor er bereits mit Informationen "zugetextet" wird. Er sollte zunächst eine Möglichkeit bekommen, mit dem Kunstwerk selber in einen stillen Dialog zu treten. Da kann, denke ich, ganz viel passieren. Das ist zum Glück nicht manipulierbar. Dafür aber Raum zu schaffen, ist eine hohe Kunst, aber auch eine große Aufgabe und Herausforderung für diejenigen, die Führungen machen und natürlich gerne aus ihrer Wissensfülle heraus ganz viel erzählen wollen. Sie müssen sich in dieser Situation ein ganzes Stück zurücknehmen können.
Würbel: Teilnehmer unserer Tagung berichteten, dass diejenigen, die an großen Flussläufen ihre Kirchen und Kathedralen haben, manchmal Schiffsreisende in großen Gruppen zu führen haben. Da wollen manchmal acht bis neun Gruppen gleichzeitig in die Kathedrale und haben nur wenig Zeit für einen Aufenthalt. In der wenigen Zeit wollen sie aber alle kunst- und kulturhistorischen Highlights sehen. Da besteht kaum eine Chance, so etwas wie Stille zu ermöglichen.
domradio.de: Das alles versucht das Netzwerk Kirchenführung für sich zu erdenken und Lösungen zu finden. Vor einem Jahr wurde dieses Netzwerk gegründet. Warum ist dieser Zusammenschluss wichtig?
Würbel: Diese Arbeitsgemeinschaft Netzwerk Kirchenführung versucht die Arbeit, die seit 2004 besteht, zu verstetigen, indem sich Verantwortliche aus touristisch bedeutsamen Kirchen austauschen und miteinander vernetzen, da die Schwierigkeiten und Herausforderungen in den einzelnen Domkirchen ja vergleichbar sind. Wir suchen jedes Jahr ein anderes Thema, einen anderen Ort. Nächstes Jahr werden wir voraussichtlich in Speyer sein. Da wird es wahrscheinlich um die Frage der Sprache und der Sprachzugänge gehen. Das ist ein Thema, das die Erwachsenen genauso wie Kinder betrifft. Unsere große Herausforderung wird dann aber auch sein, wie wir mit Menschen, die aus anderen Kulturen und Religionen kommen - mit Blick auf Touristen aus China oder Russland – umgehen. Oder auch die große Zahl der Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan, die auch mal einen Blick in eine Kirche werfen wollen. Die Frage wird sein, wie man denen in einfacher Sprache die Komplexität unserer Bauwerke und unserer Religion vermittelt.
Das Interview führte Birgitt Schippers.