Eigentlich sollte sie vor allem ein Blick zurück sein und eine gegenseitige Würdigung des guten Verhältnisses zwischen Christen und Juden in Deutschland. Doch dann bekam die hochkarätig besetzte Diskussionsveranstaltung der Deutschen Bischofskonferenz mit dem Zentralrat der Juden plötzlich eine ganz eigene Würze: Denn nicht nur der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, forderte die Rücknahme der 2008 von Papst Benedikt XVI. neu formulierten Karfreitagsfürbitte. Bischof Heinrich Mussinghoff schloss sich prompt diesem Wunsch an, der Vorsitzende der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum in der Bischofskonferenz.
Stein des Anstoßes ist eine der großen Fürbitten in der Liturgie des Karfreitags, in der es um die Juden geht. Über Jahrhunderte stand sie beinahe symbolhaft für einen weit verbreiteten katholischen Anti-Judaismus. Denn gebetet wurde unter anderem für die "verblendeten" und "treulosen" Juden und um deren "Befreiung" aus "Finsternis", "Verblendung" oder "Götzendienst".
Seit der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil dagegen heißt es heute in der in deutschsprachigen Gottesdiensten allgemein verwendeten Formulierung : "Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat. Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will."
Befürchtungen eines katholischen Überlegenheitsgefühls
Für jüdische Proteste sorgte dann 2008 Papst Benedikt XVI., der im Zuge des Aussöhnungsversuchs mit den traditionalistischen Piusbrüdern die Karfreitagsfürbitte für die lateinische Messe erneuerte und als außerordentliche Form zuließ. In diesem nur selten praktizierten Ritus wird seitdem in lateinischer Sprache sinngemäß darum gebetet, dass die Herzen der Juden erleuchtet werden mögen, damit sie Jesus Christus als Retter und Heiland aller Menschen erkennen. Viele Juden werteten das als neuerlichen Ausdruck eines katholischen Überlegenheitsgefühls und als Aufforderung zur Judenmission, auch wenn die Kirche dies immer wieder dementiert.
Zentralratspräsident Schuster erneuerte jetzt genau diese Kritik mit Blick auf Belastungen im christlich-jüdischen Verhältnis und forderte die katholische Kirche auf, die Neufassung zurückzunehmen. Ähnliche Formulierungen hätten über Jahrhunderte "christlichen Anti-Judaismus gefördert. Und was daraus wurde, das wissen wir ja alle", sagte Schuster der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Kritik an Benedikt XVI.
Zur Überraschung vieler Zuhörer im Frankfurter "Haus am Dom" nahm Bischof Mussinghoff diese Vorlage auf, äußerte großes Verständnis für das Anliegen und wünschte sich ebenfalls eine Zurücknahme der Neuformulierung und zugleich einen endgültigen Schlussstrich unter die Verhandlungen mit den Piusbrüdern.
Auch Mussinghoff betonte, er könne die Neufassung "nicht verstehen und nachvollziehen. Wir haben eine wunderbare Formulierung im ordentlichen Ritus, und ich würde es sehr begrüßen, wenn die neue Form der Fürbitte im außerordentlichen Ritus zurückgezogen würde." Sie sei eine "Belastung" für die christlich-jüdischen Beziehungen, die man aber auch leicht wieder zurücknehmen könne. Er habe "nie verstanden, warum Papst Benedikt diese Fürbitte in den alten Ritus wieder eingefügt hat", sagte Mussinghoff der KNA: "Das war mit Verlaub gesagt und bei allem Respekt keine gute Sache."
Ohne dass er sich irgendeiner Schuld bewusst war, fühlte sich plötzlich der Abgesandte des Vatikan in die Defensive gedrängt: Pater Norbert Hofmann, der Sekretär der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum. Eigentlich war er nur nach Frankfurt gekommen, um die Rede von Kurienkardinal Kurt Koch zu verlesen. Denn der Präsident dieser Kommission und des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen war kurzfristig von Papst Franziskus zu einem anderen Termin geschickt worden.
Spezifisch deutsche Sensibilität
Hofmann verwies darauf, dass Benedikt XVI. "sicher in guter Absicht und theologisch korrekt" eine neue Formulierung gewählt habe, da die bis dahin existierende Fassung im alten Ritus "viel schlimmer" gewesen sei. Die neue Fürbitte sei sicher "diplomatisch heikel", aber ganz bestimmt kein "Missionsbefehl". Und einmal mehr zeige sich hier, so Hofmann, dass die Sensibilität in Deutschland angesichts der Geschichte sehr viel größer sei als im Rest der Welt.
Was also tun? Hofmann riet Schuster, seine Bitte am besten direkt im Vatikan vorzubringen. Zuständig seien insbesondere die Sakramentenkongregation und die Glaubenskongregation unter der Leitung ihres Präfekten, des deutschen Kurienkardinals Gerhard Ludwig Müller, die ja auch letztlich über die Verhandlungen mit den Piusbrüdern entscheiden müsse - "natürlich immer in enger Abstimmung mit dem Papst".
Übrigens - eigentlich ging es bei der Diskussion um den im Oktober anstehenden 50. Jahrestag der Verabschiedung der Konzilserklärung "Nostra aetate" über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen, insbesondere zum Judentum. Dabei bewerteten Schuster, Mussinghoff und Koch wie Hofmann die christlich-jüdischen Beziehungen insgesamt als sehr gut, was aber nicht den Blick auf kleinere oder größere Belastungen verstellen dürfe. Zu welcher Kategorie die Karfreitagsfürbitte gehört? In den nächsten Tagen und Wochen könnte sich zeigen, ob die Debatte vom Sonntagabend weitere Wellen schlägt oder doch schnell wieder verpufft.