Die katholischen Bischöfe nehmen einen neuen Anlauf bei der wissenschaftlichen Erforschung sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Sie wollen am Montag in Bonn bekanntgeben, welchen Forschungsverbund sie mit der Aufarbeitung des 2010 bekannt gewordenen Missbrauchsskandals beauftragen wollen.
Dem Vernehmen nach hatten sich mehrere interdisziplinäre Forschungsverbünde für das Projekt beworben. Ein Beraterkreis um den Missbrauchsbeauftragten der Bischofskonferenz, Bischof Stephan Ackermann, traf die Entscheidung. Anfang 2013 hatten die Bischöfe die Zusammenarbeit mit dem Hannoveraner Kriminologen Christian Pfeiffer (70) aufgekündigt. Grund für das Zerwürfnis waren unterschiedliche Vorstellungen über den Datenschutz und den im Kirchenrecht vorgesehenen Umgang mit Akten.
Das von Pfeiffers Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) 2011 begonnene Forschungsprojekt sollte durch umfangreiche Aktenstudien belastbare Zahlen zum Missbrauch erbringen, den Verlauf der Taten aus der Sicht der Opfer nachvollziehen, das Handeln der Täter analysieren und klären, wie sich die Kirche gegenüber Tätern und Opfern verhalten hat. Dazu sollte das KFN möglichst viele Personalakten der 27 deutschen Bistümer untersuchen.
Auseinandersetzung mit Pfeiffer
Doch es kam zum Zerwürfnis: Das Vertrauensverhältnis sei zerrüttet, hieß es bei der Bischofskonferenz. Man habe sich nicht auf die Untersuchungsmethoden einigen können. Pfeiffer wurden Sprunghaftigkeit und mangelnde Seriosität vorgeworfen. Allerdings gab es auch kirchenintern erhebliche Widerstände gegen das Projekt, in dem der Wissenschaftler Einblick in möglichst viele Personalakten der 27 deutschen Bistümer erhalten sollte. Das "Netzwerk katholischer Priester" etwa kritisierte fehlenden Datenschutz und verwies auf den im Kirchenrecht vorgesehenen Umgang mit Akten.
Der mediengewandte Pfeiffer ließ sich das nicht bieten: Er sprach von Zensur und Aktenvernichtung. Zugleich ließ er allerdings durchblicken, dass er sexuellen Missbrauch in der Kirche für nicht weiter verbreitet hält als in anderen Teilen der Bevölkerung. Es gebe sogar "Anhaltspunkte dafür, dass die Priester im Vergleich zu Männern ihrer Altersgruppe unterrepräsentiert sind".
Kritiker sprachen den Bischöfen daraufhin den Willen ab, ernsthaft an Aufklärung interessiert zu sein. Doch die Bischofskonferenz hielt an dem Forschungsprojekt fest.
Tiefe Krise durch Missbrauchsskandal
Der Missbrauchsskandal war Anfang 2010 ans Licht gekommen und hatte die Kirche in eine tiefe Vertrauenskrise gestürzt. Eine Rekordzahl von 181.193 Katholiken kehrte damals der Kirche den Rücken. Ebenso wurden aus evangelischen und aus weltlichen Einrichtungen wie der Odenwaldschule Übergriffe bekannt. Die meisten lagen Jahrzehnte zurück, viele waren verjährt, manche Täter bereits tot.
Die Bischöfe reagierten mit einer Serie von Maßnahmen. Im März 2010 entschuldigten sie sich bei den Opfern. Im Sommer verschärften sie die Leitlinien für den Umgang mit den Tätern. Als erste Institution beschloss die Bischofskonferenz ein Modell zur materiellen Anerkennung des Unrechts. Demnach erhalten Opfer bis zu 5.000 Euro.
Das neue Forschungsprojekt soll nach bisherigen Informationen die Betonung stärker auf qualitative Untersuchungen legen. Wesentliche Ziele des Projekts "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" sind die Untersuchung von Täterstrategien, Opfererleben und institutionellen Aspekten.
Bereits Ende 2012 war ein anderes, von den Bischöfen in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt abgeschlossen worden. Es verlief reibungslos: Die vom Direktor des Essener Instituts für Forensische Psychiatrie, Norbert Leygraf, durchgeführte Studie analysierte forensische Gutachten und kam zu dem Schluss, dass Priester, die Minderjährige missbrauchen, in den seltensten Fällen in klinischem Sinne pädophil seien. Die Taten würden zumeist vor dem Hintergrund einer persönlichen Krise begangen.