Neue Sterbehilfe-Debatte in der Schweiz

"Grenzen und Schranken nötig"

Für eine Reise in die Schweiz gibt es viele Gründe. Doch einige Menschen, auch aus Deutschland, wollen ausgerechnet zum Sterben über die Grenze. Der Grund: In der Schweiz ist Beihilfe zum Suizid erlaubt. Das könnte sich ändern; zumindest könnten die Möglichkeiten der Sterbehilfe eingegrenzt werden.

Autor/in:
Caroline Schulke
 (DR)

Unter der Woche formulierte die Schweizer Regierung zwei Vorschläge, die bis März 2010 von Parteien, Kantonen und Verbänden beraten werden sollen.

Die Alternativen lauten: «Festlegung von klaren Sorgfaltspflichten im Strafrecht für Mitarbeitende von Suizidhilfeorganisationen oder aber die organisierte Suizidhilfe zu verbieten». Die Regierung favorisiert die erste Variante. Diese sieht unter anderem vor, dass die sterbewillige Person «ihren Willen frei äußern und sich ihren Entscheid reiflich überlegt haben» muss. Weiter sollen Gutachten von zwei unabhängigen Ärzten erforderlich werden. Sie müssen belegen, dass der den Sterbewunsch äußernde Mensch urteilsfähig sei und «an einer körperlichen Krankheit leidet, die unheilbar ist und in kurzer Zeit zum Tod führen wird».

An den Sterbehelfer wird die Aufforderung formuliert, Alternativen zum Suizid aufzuzeigen und keinen Erwerbszweck zu verfolgen.
Schließlich müsse das Sterbehilfemedikament ärztlich verschrieben worden sein. Mit solchen Bedingungen will die Regierung unbedachte Entscheidungen zum Suizid sowie organisierte Sterbehilfe für Menschen mit chronischen Krankheiten oder psychischen Leiden verhindern und eigennützigen Motiven der Helfer vorbeugen.

Die Regierung zeigt sich «überzeugt, dass mit der Festlegung dieser Sorgfaltspflichten Auswüchse und Missbräuche in der organisierten Suizidhilfe unterbunden und der Sterbetourismus eingedämmt werden können.» Als Alternative stellt sie ein Verbot der Sterbehilfe-Organisationen zur Diskussion.

Diesen Vorschlag favorisiert etwa die katholische Kirche. Sie warnt vor der Festlegung von klaren Sorgfaltspflichten im Strafrecht. «Man muss sich davor hüten, der Tätigkeit von Sterbehilfeorganisationen eine staatliche Legitimation zu gewähren», sagte der Sprecher der Bischofskonferenz, Walter Müller.

Den Organisationen selbst gehen beide Vorschläge der Regierung zu weit. Dignitas etwa schreibt in einer Stellungnahme von einem «unerhörten Affront» gegen Kranke, die die Kriterien nicht erfüllen.
Die Regierung leiste «einsamen Suiziden auf Bahngeleisen und von hohen Brücken und anderen unzulänglichen sowie menschenunwürdigen Methoden Vorschub».

Die Sterbehilfeorganisation Exit kritisierte am Donnerstag, dass die Vorschläge an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeigingen. Sollten sie Realität werden, dürfe Exit jedem dritten Menschen, den die Organisation jetzt in den Tod begleite, nicht mehr helfen, sagte Präsident Hans Wehrli.

Exit wirft Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf vor, sie sei mit der Realität nicht mehr vertraut. Dignitas-Chef Ludwig Minelli spricht sogar von Verleumdung. Widmer-Schlumpf hatte in einem Interview gesagt, die Organisationen würden Kunden offensiv anwerben. Dagegen sagte Minelli, dass Interessierte oft lange recherchieren müssten, bis sie Dignitas fänden - vor allem Sterbewillige aus dem Ausland.

Das scheint indes keine Hürde zu sein: Britische Medien berichten von 800 unheilbar kranken Briten, die auf der Dignitas-Warteliste stünden. Diese Zahl sei seit 2002 um das Zehnfache gestiegen. «Wir möchten aber nicht zu einem Land des Sterbetourismus werden», sagte Widmer-Schlumpf im Zeitungs-Interview. «Wir stellen eine Entwicklung fest, die Grenzen und Schranken nötig macht.» Zugleich wandte sie sich dagegen, Sterbehilfe-Organisationen vollständig zu verbieten.