KNA: Pater Olivier, was erwarten Sie von der Arbeit bei der COMECE?
Olivier Poquillon (Generalsekretär der EU-Bischofskommission COMECE): Ich beginne in einer Zeit der Krisen, etwa des Brexit. Aber eine Krise ist auch eine gute Gelegenheit zu überlegen, was wir gemeinsam machen möchten. In Europa fehlen zum Teil gemeinsame politische Ideen und ein Bewusstsein für das Gemeinwohl. Meine Hauptaufgabe ist es, für das Gemeinwohl zu arbeiten. Ich sehe vor allem zwei Herausforderungen für die EU: erstens Menschen zusammenzubringen, die vielleicht nicht in allem übereinstimmen. Und zweitens, Europa attraktiv zu machen.
KNA: Was meinen Sie damit: Menschen zusammenbringen?
Poquillon: Zuerst innerhalb der Kirche: Jeder Katholik hat seine eigene politische Meinung, und wir sollten diese Unterschiede als etwas Positives sehen. Das Leben der Menschen zum Beispiel in Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Polen und der Slowakei ist in manchem unterschiedlich. Diese Vielfalt ist gut. Die Kirche hat ein Instrument dafür: die Subsidiarität, ein Prinzip der Katholischen Soziallehre. Ergänzt wird dieses Instrument durch die Brüderlichkeit.
Wenn wir glauben, dass es in Europa nur eine Stimme oder eine Lebensweise gäbe, liegen wir falsch. Katholizismus bedeutet auch, Unterschiede zu vereinen.
KNA: Was denken Sie über die aktuelle Burkini-Debatte in Frankreich?
Poquillon: In Wahrheit geht es bei dieser Frage nicht um eine religiöse Kopfbedeckung oder einen Burkini, sondern um Angst. Auch das Ziel der Terroranschläge war es, Angst zu verbreiten. Wenn wir weiterhin in einer demokratischen Gesellschaft nach dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit leben wollen, sollten wir nicht weiterführen, was die Terroristen begonnen haben.
KNA: Verändert sich in Europa derzeit das Verhältnis zwischen Religion und Staat?
Poquillon: Das ist unterschiedlich in den einzelnen Ländern, aber im allgemeinen wird Religion zunehmend aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen. Meine Frage ist, wie wir das Verhältnis zwischen Religion und Staat positiv gestalten können. Denn Religion gehört nicht nur in den Privatbereich. Auch am Arbeitsplatz sollte man Katholik sein dürfen. Menschen können gute Katholiken und gute Beamte gleichzeitig sein. Das ist kompatibel. Ein Mensch ist ein Mensch, 24 Stunden am Tag.
KNA: Nicht in allen Ländern sind Kirche und Staat strikt getrennt. Was bedeutet das für die Integration von Einwanderern?
Poquillon: Integration ist eine alte Frage, die einen neuen Beginn erlebt. Es ist eine komplexe Aufgabe, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Faktoren wie die unterschiedliche Geschichte von Ländern, wie Subsidiarität und Brüderlichkeit müssen bei der Debatte eine Rolle spielen.
KNA: Täglich kommen Hunderte Flüchtlinge an den Küsten Europas an. Was kann die katholische Kirche in Europa zur Lösung dieser Krise beitragen?
Poquillon: Zuerst einmal sind wir - das heißt der Staat - nach internationalem Recht verpflichtet, Menschen aufzunehmen, wenn ihr Leben in ihrer Heimat bedroht ist. Diese Verträge haben die souveränen Staaten selbst ausgehandelt und unterzeichnet. Ich bezweifele, dass es eine einzige Antwort auf die Flüchtlingskrise gibt. Um sie zu lösen, müssen wir das Problem am Ursprung angehen: bewaffnete Konflikte, wirtschaftliche Not, Perspektivlosigkeit, den Klimawandel, um nur einige Beispiele zu nennen. Wir müssen eine Politik entwickeln, die von den Menschen und ihrer aktuellen und konkreten Situation ausgeht.
Für mich hat die Flüchtlingskrise auch mit einer grundlegenden Veränderung von Mobilität zu tun. Menschen sind mobiler als je zuvor und schneller bereit, sich aufgrund von Konflikten oder Wirtschaftskrisen auf den Weg zu machen. Wir müssen deshalb Lösungen für die Probleme vor allem mit den Herkunftsländern finden.
KNA: Ausgebildet wurden Sie bei den Dominikanern. Welche Rolle spielt ihr Orden, der in diesem Jahr sein 800-jähriges Bestehen feiert, bei Ihren neuen Aufgaben?
Poquillon: Der Mensch sollte im Zentrum der Politik stehen. Ich habe aus meiner Erfahrung im Orden mitgenommen, dass nur der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurde. Die EU wird ihre Glaubwürdigkeit bei den Bürgern dann wiedergewinnen, wenn sie sich in den Dienst der Menschen in Europa stellt.
Das Interview führte Franziska Broich.