DOMRADIO.DE: Worin sehen Sie vorrangig Ihre Aufgaben als Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät?
Prof. Dr. Andreas Odenthal (Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn): Ein Dekan hat grundsätzlich die Aufgabe, den Blick auf die gesamte Fakultät zu wahren und sie gut in die Zukunft zu führen. Dabei setze ich den Weg fort, der in den letzten Jahren beschritten worden ist.
Die Katholisch-Theologische Fakultät in Bonn hat mit meinem Vorgänger Jochen Sautermeister viel erreicht: Zwei Juniorprofessuren konnten besetzt werden, nämlich zum einen "Christliche Sozialethik" mit Anna Maria Riedl und zum anderen "Fundamentaltheologie und christliche Identitäten" mit Br. Stefan Walser OFM Cap.
Wichtig war die Berufung von international bestens vernetzten Kolleginnen und Kollegen, Judith Hahn für das Kirchenrecht und Klaus von Stosch für "Systematische Theologie unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftlicher Herausforderungen", der zugleich Leiter des "International Centers for Comparative Theology and Social Issues" ist. Und die neu geschaffene Professur für Philosophische Grundlagen der Theologie und Sozialphilosophie wird im Wintersemester von Michael Zichy ausgeübt.
Dies alles zeigt an, welche Bedeutung die gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen für unsere Theologie haben und wie wichtig die vielfältigen Kontakte unserer Fakultät sind, zunächst innerhalb der Universität zu den anderen Fakultäten, besonders unserer evangelischen Schwesterfakultät.
Sodann geht es um Kontakte zur Kirche und zu anderen Forschungseinrichtungen, national wie international und auch zur Politik. Diese Linie setzen wir fort, indem wir das Erreichte nun zunehmend mit Leben füllen.
DOMRADIO.DE: Welche Möglichkeiten der persönlichen Akzentsetzung gibt es dabei?
Odenthal: Zunächst gilt, dass es bei einem turnusmäßig wechselnd besetzen Amt nicht primär um persönliche Akzente gehen kann. Zudem steht der Dekan nicht alleine da. Als Prodekanin für Forschung und Internationales stehen Judith Hahn sowie die Prodekane Christian Blumenthal (für Studien- und Prüfungsangelegenheiten) und Christian Hornung (für allgemeine Angelegenheiten und Budgetmanager) zur Seite.
Die Fakultät als ganze bestimmt ihren Kurs. Und hier haben wir in den letzten Jahren wichtige Akzente gesetzt, etwa im Hinblick auf unseren Forschungsschwerpunkt "Ambiguitäten – Identitäten – Sinnentwürfe". Hier versuchen wir, den Reichtum des Christlichen mit seinen vielschichtigen und nicht immer linear verlaufenden Prozessen in den Blick zu nehmen.
Gleichwohl hat jeder Dekan seinen persönlichen Stil. Ich versuche, Räume zu eröffnen, in denen auf allen Ebenen gut zusammen gearbeitet und gedacht werden kann, wobei es mir ein großes Anliegen, die ästhetische Dimension von Kunst und Musik nicht zu vergessen.
DOMRADIO.DE: Die Zahlen der Studierenden der katholischen Theologie sind rückläufig. Brauchen wir dann noch eine so große Anzahl an theologischen Fakultäten in Deutschland?
Odenthal: Die Studierendenzahlen sind nicht nur für die theologischen Fakultäten ein wichtiges Thema, um das wir uns kümmern. Doch lade ich gerne zu einem Perspektivwechsel ein: Auch angesichts geringer werdender Studierendenzahlen hat die Theologie eine unverzichtbare Rolle an einer Exzellenz-Universität wie Bonn.
Wir machen seit langem die gute Erfahrung, dass bei vielen Forschungsprojekten die Stimme der Theologie gefragt ist. Denn sie vermag den Reichtum vieltausendjähriger Erfahrungen mit den Menschen und ihrem Gottesglauben einzubringen. Sie kann darauf hinweisen, wie tiefgehend religiöse Bindungen sind – nach meinem Dafürhalten übrigens ein Thema von geradezu weltpolitischer Bedeutung.
Dass solche Gespräche in Bonn möglich sind, verdanken wir unter anderem dem Rektorat, für das die Theologie im Gespräch der Universität unverzichtbar ist. Und wir tragen mit den Universitätsgottesdiensten in den universitären Alltag ein, dass Religiosität von Ritualen lebt: Sie sind gelebte Theologie im akademischen Umfeld. Das ästhetische und theologische Niveau der Gottesdienste ist mir als Liturgiewissenschaftler und als Universitätsprediger dabei ein großes Anliegen.
DOMRADIO.DE: Vor einiger Zeit wurden Pläne bekannt, die Priesterausbildung an nur wenigen Fakultäten zu konzentrieren. Was würde das für die deutsche Fakultätenlandschaft bedeuten?
Odenthal: Realistisch betrachtet wird es zu einschneidenden Veränderungen und dem Aufgeben von manchen Standorten kommen. Aber aus dem Gesagten dürfte deutlich geworden sein, welchen Verlust das für die Kirche, die universitäre Gesprächskultur, die Wissenschaft überhaupt und die Gesellschaft bedeuten würde – ganz abgesehen von den Anfragen an eine konzentrierte Priesterausbildung, die von der wissenschaftlichen Ausbildung von Theologinnen und Theologen für Schule und Gemeinde abgekoppelt ist.
Eine Volluniversität, die auf internationalem wissenschaftlichem Niveau agiert, wird sich diesen Verlust nicht leisten wollen. Die Universität Bonn hat im letzten Jahr mit einer eigenen Resolution die beiden theologischen Fakultäten als selbstverständlichen Teil der Exzellenzuniversität betont und deren Bedeutung auch für die Zukunft bekräftigt.
DOMRADIO.DE: In der Vergangenheit gab es immer wieder Spannungen zwischen der universitären Theologie und Vertretern des kirchlichen Lehramtes, insbesondere der Glaubenskongregation. Nun hat der neue Präfekt Kardinal Fernández kurz nach seiner Ernennung einen Brief von Papst Franziskus erhalten, der ihm Zurückhaltung bei der Maßregelung von Theologen empfahl. Lässt Sie das auf mehr wissenschaftliche Freiheit hoffen?
Odenthal: Freiheit gibt es nur in Bindungen. Für uns gilt dies nach zwei Seiten, als Verfassungskonformität dem Staat gegenüber und als Loyalität der Kirche gegenüber. Nach Karl Rahner schließt dies immer eine kritische Funktion der Wissenschaft gegenüber der Kirche ein. Käme es hier nicht zu Spannungen, hätte die Theologie etwas falsch gemacht.
Ich plädiere dafür, diese Spannungen konstruktiv zu nutzen und nicht durch vorschnelle Machtausübung vom Tisch zu wischen. Zu einem solchen konstruktiven Umgang gehört meines Erachtens bestmögliche Transparenz, dies auch hinsichtlich der kirchlichen Beteiligung bei den Verfahren zur Bestellung von Professorinnen und Professoren.
DOMRADIO.DE: Vertreter der theologischen Fakultäten waren auch stark am Synodalen Weg beteiligt und bringen sich weiterhin in den Reformprozess der katholischen Kirche ein. Dabei geht es vorrangig um lehramtliche und strukturelle Fragen. Was können Sie sich als Liturgiewissenschaftler als Beitrag aus Ihrem Ressort vorstellen?
Odenthal: Im Gottesdienst verdichten sich wie in einem Brennglas alle für die Kirche insgesamt anstehenden Fragen: nach der Qualität der Liturgie, nach dem ordinierten Amt und dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen, nach Geschlechtergerechtigkeit, nach neuen Modellen der Segensgottesdienste für Partnerschaften oder auch die Fragen um Gottesdienste online.
Es ist daher unstrittig, dass eine Kirchenreform Auswirkungen darauf haben wird, wie der Glaube gefeiert wird. Die Aufgabe der Liturgiewissenschaft ist es, neue Entwicklungen in den Blick zu nehmen, aber auch kritisch zu begleiten. Ich darf ein Beispiel bringen, das uns in Bonn in den nächsten Jahren beschäftigen wird, nämlich die Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten multireligiöser Feiern.
Im Grunde ist ein erster Schritt dahin bereits getan, nämlich in der kirchlichen Eheschließung von religionsverbindenden Paaren. In diesem Kontext ist theologisch sehr vieles zu bedenken, und es wird faszinierend sein zu beobachten, welchen Weg die Kirche im Dialog mit den anderen Weltreligionen beschreiten wird.
Das Beispiel zeigt, wie aktuell die Fragen sind, mit denen sich die Liturgiewissenschaft befasst, ein Urteil, das für die anderen theologischen Disziplinen im Übrigen genauso gilt.
Die Fragen stellte Jan Hendrik Stens.