Neuer Generalsekretär der EU-Bischofskonferenz: "Christen können nicht neutral bleiben"

EU als Wertegemeinschaft

Der neue Generalsekretär der EU-Bischofskommission COMECE, Prof. Piotr Mazurkiewicz, sieht das Projekt der europäischen Einigung als "Träger von Werten". Daher könnten Christen Europa gegenüber nicht neutral bleiben, sagte der polnische Priester und Politikwissenschaftler am Montag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Prof. Piotr Mazurkiewicz ist neuer Generalsekretär der EU-Bischofskommission COMECE / © Prof. Piotr Mazurkiewicz ist neuer Generalsekretär der EU-Bischofskommission COMECE (KNA)
Prof. Piotr Mazurkiewicz ist neuer Generalsekretär der EU-Bischofskommission COMECE / © Prof. Piotr Mazurkiewicz ist neuer Generalsekretär der EU-Bischofskommission COMECE ( KNA )

Allerdings müsse sich ein Christ fragen, ob er wirklich alles Mögliche getan habe, um die Menschenwürde in ihrer umfassenden Bedeutung zu schützen und zu fördern. Mazurkiewicz sagte, es sei zu einfach, bei Fragen wie Abtreibung oder Sterbehilfe auf die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten zu verweisen. Der Vertrag von Lissabon oder die Charta der Grundrechte seien Versuche, die EU auch als eine Wertegemeinschaft zu verstehen. Probleme entstünden daraus, dass die europäischen Gesellschaften sehr unterschiedlich seien. Daher sei es einerseits wichtig, einander zu respektieren. Andererseits müsse man aber auch anerkennen, "dass wir eine Reihe von Werten teilen, die unser Zusammenleben tragen". Christoph Lennert hat mit Piotr Mazurkiewicz gesprochen:

KNA: Sie sind als Pole der erste Vertreter eines neuen EU-Staates COMECE-Generalsekretär. Darf man fast fünf Jahre nach der EU-Erweiterung überhaupt noch von "alten" und "neuen" EU-Staaten sprechen? Und wie, meinen Sie, wird sich Ihre Herkunft auf Ihre Tätigkeit auswirken?
Mazurkiewicz: "Die Geschichte der COMECE ist noch nicht sehr lang. Insofern ist es nicht so, als wäre ich der erste auf einer langen Liste von Generalsekretären, der nicht aus den alten EU-Staaten kommt. Aber nicht nur für die Kirche, sondern auch für die EU stellt sich die Frage, ob sie noch eine Distanz zwischen alten und neuen EU-Staaten wahren will. Ich fühle mich in Brüssel nicht als jemand, der aus einem fernen Land kommt. Die Distanz zwischen Brüssel und Warschau ist kürzer als die zwischen Brüssel und Rom!

Aber es ist ja nicht nur die geografische Distanz, die unsere Wahrnehmung prägt. Natürlich hat jeder von uns seine eigene Geschichte - jedoch gilt das auch für jemanden, der aus Spanien, Irland, Schweden oder Deutschland kommt. Europa ist ein sehr kleines Gebiet mit einer sehr großen kulturellen Vielfalt. Das ist unser Reichtum. Jenseits des Eisernen Vorhangs gab es immer das Gefühl, dass wir ein Teil Europas sind. Und wir waren immer gut informiert über die westliche Kultur. Es war sicher einfacher, in Polen Bücher aus Frankreich zu finden als in Frankreich Bücher aus Polen."

KNA: Herr Generalsekretär, Sie haben bislang als Wissenschaftler gearbeitet. Europa und die europäische Einigung waren allerdings schon in der Vergangenheit zentrale Themen Ihrer Tätigkeit. Sehen Sie Ihr neues Amt als einen Schritt von der Theorie zur Praxis?
Mazurkiewicz: "Das ist natürlich ein großer Wandel. Aber als Politikprofessor war ich immer im Kontakt mit der politischen Welt. Man kann in einer solchen Funktion nicht im Elfenbeinturm bleiben. Wenn ich mir die politische Welt ansehe, dann versuche ich das immer als Priester - nicht als jemand, der Politik macht, sondern als jemand, der sich verantwortlich fühlt auf Grundlage der Soziallehre der Kirche. Es geht also nicht nur darum, Einfluss zu nehmen, sondern auch darum, über die Grundlagen nachzudenken, bei Menschenrechten, bei ethischen Fragen der Gesellschaft."

KNA: Ein anderes Thema, mit dem Sie sich beschäftigt haben, ist die Rolle der Kirche in der sich wandelnden Gesellschaft. Da gibt es sicher große Unterschiede zwischen den einzelnen EU-Staaten. Hatten Sie bisher den Eindruck, auf EU-Ebene werde die Kirche ausreichend wahrgenommen?
Mazurkiewicz: "Ich habe in den ersten drei Wochen in Brüssel noch nicht viele eigenen Erfahrungen machen können. Wichtig ist aber, dass das Projekt der europäische Einigung von Anfang an auf den Werten Frieden, Menschenrechte, Demokratie und Solidarität basiert. Ich glaube, das Projekt der europäischen Einigung ist immer noch Träger dieser Werte, trotz einiger Probleme. Aus diesem Grund kann dieses Projekt für uns nicht einfach neutral bleiben.

Andererseits sollte ein Christ sich stets die Frage stellen, ob er wirklich alles Mögliche getan hat, um die Menschenwürde in ihrer umfassenden Bedeutung zu schützen und zu fördern. Ich denke besonders an die Werte, die Papst Benedikt XVI. als unveräußerlich bezeichnet: die Achtung und den Schutz des menschlichen Lebens, seinen Schutz von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod; die auf die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau gegründete Familie; die Freiheit der Erziehung seiner Kinder und die Förderung des Allgemeinwohls in all seinen anderen Formen."

KNA: Da ist aber meist die EU nicht zuständig, sondern es sind die Mitgliedstaaten - etwa bei Abtreibung oder Sterbehilfe.
Mazurkiewicz: "Es ist zu einfach zu sagen, darüber entscheiden allein die Mitgliedstaaten. Denn die EU-Staaten entscheiden ja auch über den Vertrag von Lissabon oder die Charta der Grundrechte. Das sind ja die Versuche, die EU auch als eine Wertegemeinschaft zu verstehen. Zu diesem Zweck wurden diese Dokumente ja geschrieben. Es gibt natürlich Probleme, weil unsere Gesellschaften sehr unterschiedlich sind. Deswegen ist es einerseits wichtig, dass man einander respektiert, und dass man andererseits anerkennt, dass wir eine Reihe von Werten teilen, die unser Zusammenleben tragen. Es gibt keine richtige Gemeinschaft ohne etwas, was allen gemeinsam ist."

KNA: Sie haben Ihr neues Amt gerade erst angetreten. Aber gibt es bereits jetzt ein Thema, das Ihnen besonders am Herzen liegt und das Sie mit der EU-Bischofskommission vorantreiben wollen?
Mazurkiewicz: "Ich bin nicht mit einem Projekt hergekommen. Denn um ein Projekt zu haben, muss man die Realität kennen. Ich bin noch dabei, die COMECE und die EU-Institutionen kennenzulernen. Die COMECE ist eine respektierte und gut organisierte Einrichtung. Ich werde versuchen, der Richtung meines Vorgängers zu folgen, jedoch ohne einfach seine Herangehensweise an die europäischen Angelegenheiten zu kopieren. Jeder hat seine kleinen Eigenheiten - aber diese Vielfalt ist ein Reichtum."