DOMRADIO.DE: Wie ist die Amtseinführung gestern abgelaufen?
Daniel Katz (Rabbiner der Jüdischen Liberalen Gemeinde Köln): Das war sehr schön. Verschiedene Menschen haben gesprochen, bevor ich eine Rede gehalten habe, mit einem Text aus der Mischna, etwas Biblisches aus dem Buch Daniel und etwas Persönliches über mich.
DOMRADIO.DE: Wenn man bei uns von jüdischen Gemeinden spricht, denkt man am ehesten an orthodoxe Gemeinden. Was ist in Ihren Augen der wichtigste Unterschied zwischen den liberalen und den orthodoxen Gemeinden?
Katz: Dass die Frauen und die Männer in einer orthodoxen Synagoge getrennt sind. Die Frauen sitzen entweder an Seite oder hinten oder oben, jedenfalls nicht zusammen mit den Männern. An der Leitung des Gottesdienstes haben sie überhaupt keinen Anteil.
Das ist bei den liberalen Juden anders. Da macht man eigentlich keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Frauen dürfen vorbeten, aus der Thora lesen, mitsingen, predigen und alles machen, was Männer machen.
DOMRADIO.DE: Gibt es einen weiteren wichtigen Unterschied?
Katz: Einige liberale Gemeinden haben eine Orgel oder benutzen andere Musikinstrumente. Man könnte diese Instrumente natürlich auch in orthodoxen Gemeinden an Feiertagen oder bei Hochzeit finden, aber zu den Gottesdiensten werden sie eigentlich nicht benutzt.
DOMRADIO.DE: Wenn man es ganz verkürzt, klingt das ein bisschen, als wären die liberalen jüdischen Gemeinden Reformjuden. Sowie Protestanten auch von Katholiken abgespalten sind. Kann man das so sagen oder ist das zu weit hergeholt?
Katz: Das könnte man sehr grob sagen. Aber man muss wissen, dass der Unterschied nicht sehr groß ist. Theologisch und liturgisch sind wir näher beieinander als Katholiken und Protestanten. Die Struktur des Gottesdienstes ist gleich, obwohl das niemand hören will. Der Stil ist anders. In der orthodoxen Synagoge steht der Vorbeter, sei es der Rabbiner, der Kantor oder der Laie, in derselben Bet-Richtung wie die Gemeinde. Bei liberalen Gemeinden steht man sich eigentlich gegenüber, so wie in Kirchen. Die Sprache, bei liberalen sowie orthodoxen Juden, ist Hebräisch. Die Liberalen benutzen auch manchmal die Landessprache.
DOMRADIO.DE: Sie sind gestern offiziell ins Amt des Rabbiners der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Köln eingeführt worden. Kann man die Aufgaben eines Rabbiners mit denen eines Pfarrers vergleichen? Leitung der Gemeinde, Seelsorge, Glaubensfragen?
Katz: Heutzutage ist das der Fall. Traditionell war das anders. Der Rabbiner war prinzipiell ein Lehrer. Auch jemand, der Streit in der Gemeinde, der Gesellschaft oder zwischen Juden lösen konnte, oder Entscheidungen in einem Konflikt treffen konnte. Er hat auch Texte interpretiert. Gottesdienst zu leiten war nicht unbedingt Teil der Aufgaben eines Rabbiners. Heute hängt das von der Gemeinde ab. Wenn man keinen Kantor hat, kann der Rabbiner auch den Gottesdienst leiten. Er ist Seelsorger. Das ist heute vielleicht am wichtigsten. Er ist auch für Lebenszyklus-Angelegenheiten da.
DOMRADIO.DE: Die christlichen Kirchen in Deutschland haben ein zunehmendes Nachwuchsproblem. Da gibt es immer weniger Menschen, die sich entscheiden, Pfarrer oder - in der evangelischen Kirche - Pfarrerin zu werden. Läuft das in jüdischen Gemeinden besser? Gibt es da immer genügend Menschen, die Rabbiner oder Rabbinerin werden möchten?
Katz: Das ist eine interessante Frage. Wir haben viele kleine Gemeinden in Deutschland und viele haben keinen Rabbiner, sind aber nicht fähig einen Rabbiner vollzeit, oder halbzeit einzustellen. Ich glaube nicht, dass es viele junge Juden in Deutschland gibt, die schon als Kind oder als Jugendliche Rabbiner werden wollten. Es gibt viele, die erst mit ihrer zweiten Karriere dazu kommen. Wir haben auch viele Ausländer. Ich bin auch Ausländer.
DOMRADIO.DE: Also Nachwuchsprobleme? Ja oder nein?
Katz: Wir haben heute viel mehr Rabbiner, als wir vor zehn Jahren dachten, wie viele wir heute haben würden.
DOMRADIO.DE: Gibt es etwas, was Sie sich für dieses Amt vorgenommen haben?
Katz: Natürlich wollen wir, dass die Gemeinde wächst. Ich interessiere mich für das Wissen der Gemeindemitglieder und ich möchte, dass jeder in der Gemeinde weiß, worum es geht, wenn man Gottesdienste feiert, oder andere Sachen macht. Ich will nicht einfach einen Gottesdienst führen, Liturgie sprechen, wenn die Menschen keine Ahnung haben, worum es geht.
Momentan haben wir ein besonderes Problem in der Gemeinde, weil wir keine eigene Synagoge haben. Wir haben vorläufig ein Synagogengebäude, das aber nicht zentral in Köln liegt, und darum müssen wir uns kümmern. Das ist nicht so einfach, ein Gebäude zu finden, das für eine Synagogengemeinde passt. Das ist ein zentrales Problem. Der Vorstand kümmert sich natürlich darum, aber wir gehen davon aus, dass es eine Zeit dauern könnte, bevor wir eine richtige und ständige Synagoge haben.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.