"An meinem ersten Tag als UNO-Generalsekretär lastet eine Frage schwer auf meinem Herzen", beginnt Guterres seine Botschaft am Neujahrstag. "Wie können wir den Millionen von Menschen helfen, die in Konflikten gefangen sind und massiv unter Kriegen leiden, bei denen kein Ende in Sicht ist?" Er verurteilte Gewalt an Zivilpersonen sowie Angriffe auf Krankenhäuser und Hilfskonvois und fügte hinzu: "Niemand gewinnt diese Kriege; alle verlieren."
Es gehe darum, auf allen Ebenen Differenzen zu überwinden, mahnte der UNO-Generalsekretär: "Von Solidarität und Mitgefühl in unserem täglichen Leben, zu Dialog und Respekt über politische Grenzen hinweg" - "vom Waffenstillstand auf dem Schlachtfeld, zum Kompromiss am Verhandlungstisch, um politische Lösungen zu erreichen".
Unterdessen hatte sich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am Silvestertag in einer Resolution zu der bereits in Kraft getretenen Waffenruhe bekannt und Pläne von Russland und der Türkei unterstützt, im kasachischen Astana syrische Regierung und Opposition wieder an den Verhandlungstisch zu bringen.
Neunter UN-Generalsekretär
An Silvester mit dem Gongschlag trat der Portugiese Antonio Guterres am New Yorker East River den nominell höchsten Diplomatenposten der Welt an. Der 67-Jährige, von 2005 bis 2015 UN-Flüchtlingshochkommissar, ist ab 1. Januar neunter Generalsekretär der Organisation der Vereinten Nationen - mitten in der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg und mitten in der Wiederauferstehung von Nationalismen weltweit.
Vereidigt ist Guterres bereits seit gut zwei Wochen. Nun beginnt sein wohl härtester Job. Begleitet wird er von allenthalben guten Wünschen, aber auch von einiger Häme. So twitterte der designierte US-Präsident Donald Trump dieser Tage in 140 Zeichen, was er von der UNO hält: "Die Vereinten Nationen haben ein so großes Potenzial - aber zurzeit sind sie nicht mehr als ein Club, in dem sich Leute treffen, quatschen und vergnügen können. Wie traurig!"
Und angesichts von UN-Forderungen nach einer Untersuchung wegen Tausender Morde an Drogenhändlern auf den Philippinen lästerte deren neuer Staatspräsident Rodrigo Duterte laut einem britischen Zeitungsbericht: "Ich werde die Vereinten Nationen niederbrennen, wenn ich in die USA reise". Duterte, der sich als rächender Rambo stilisiert, wollte auch nicht ausschließen, dass die Philippinen aus der UNO-Staatengemeinschaft und dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausscheren könnten.
Politische Welt durcheinander
Guterres tritt zu einem Zeitpunkt an, in der die Welt vielerorts in Aufruhr zu geraten scheint. "Make America great again", Flüchtlinge raus und "Wir sind das Volk" heißen die nationalistischen Slogans. Populisten sind in Europa vielerorts auf dem Vormarsch. Hindu-Extremisten in Indien; China, Russland, Nordkorea rasseln mit den Säbeln.
Der "Brexit"-Beschluss zum EU-Austritt Großbritanniens und der Ausstieg mehrerer afrikanischer Staaten aus dem Internationalen Strafgerichtshof sind Belege für den derzeit schweren Stand, den multinationale Bündnisse haben, die auf Kompromissen beruhen. Und nur ein Indiz, wie schwer es Guterres mit jenen haben dürfte, die ihn beauftragt haben, war die Auswahl von Donald Trumps künftigem Außenminister. Lange im Rennen war dafür der frühere US-Botschafter bei der UNO, John Bolton. Der hatte einst erklärt, wenn man am East River zehn Stockwerke verlöre, würde das überhaupt nichts ausmachen.
Seit die internationale Einigkeit selbst in grundlegenden Fragen des Völkerrechts bröckelt und die Gräben des Kalten Krieges wieder aufzureißen drohen, kann das Amt des UNO-Generalsekretärs kaum mehr Freude machen. Zudem: Im Jahr 2000 hatte sich die Weltgemeinschaft ehrgeizige Millenniumsziele gesetzt. Bekämpfung von Armut und Hunger, Kindersterblichkeit und HIV/Aids, dazu Grundbildung für alle. Viele Fortschritte, die seitdem erzielt wurden, haben Naturkatastrophen, Kriege und globale Wirtschaftskrisen wieder aufgefressen.
Weltweite Krisen
Die Zahl der zu bewältigenden Krisen ist weiter Legion: Nahost-Konflikt, Syrien-Krieg, Afghanistan, Irak; der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine; Flüchtlingskrisen, die weltweite Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus, Hungerkrisen und Bürgerkriege in Afrika und Asien; Erdbeben, Klimawandel, Flutkatastrophen.
Der fleißige Aktenvernichter Ban Ki Moon, Guterres' stets bemühter, aber blasser Vorgänger als UNO-Generalsekretär, hat die erhofften Resultate nicht gebracht, auch nicht bei der Reform von UN-Gremien. Die Vereinten Nationen könnten einen verrückt machen mit ihrer "Untätigkeit", sagte er zuletzt. Da klingt viel Frust durch.
Antonio Manuel de Oliveira Guterres, früherer Generalsekretär der portugiesischen Sozialisten, von 1995 bis 2002 Ministerpräsident in Lissabon und von 1999 bis 2005 Präsident der Sozialistischen Internationale, bringt eine Menge Qualifikationen für die Nachfolge des glücklosen Ban mit: fließendes Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch etwa, ein prominentes politisches Vorleben - und ein Gesellenstück in der wohl wichtigsten UN-Organisation.
Glänzender Redner
Als UN-Hochkommissar für Flüchtlinge verfolgte Guterres eine gründliche Reform des UNHCR. Der Personalstand am Hauptsitz in Genf sank um mehr als ein Fünftel - während sich das Volumen der Tätigkeiten gleichzeitig verdreifachte. Die weltweite Zahl der Flüchtlinge vor Konflikten und Verfolgung stieg von 38 Millionen im Jahr 2005 auf mehr als 60 Millionen. Solche Effizienz musste Eindruck machen für die Kandidatur einer Organisation, die viele nur als "Wasserkopf am East River" bezeichnen.
Die Notleidenden der Welt brauchen nach dem Charismatiker Kofi Annan (1997-2006) wieder eine Stimme und ein Gesicht, um medial nicht noch weiter in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Dass der glänzende Redner Guterres eine solch profilierte Figur am Mikrofon der UNO-Vollversammlung sein wird, davon sind viele am East River überzeugt. Auf jeden Fall wird der diplomierte Elektroingenieur versuchen, die Spannung hochzuhalten.