DOMRADIO.DE: Sie haben eine neue Veranstaltungsreihe gemäß einer alten akademischen Tradition eingeführt oder wiederbelebt. Auf welche Tradition bauen Sie mit Quodlibet auf?
Prof. Christoph Ohly (Rektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie): Das ist eine alte universitäre Tradition, dass im Sinne einer sogenannten "Disputatio de quodlibet", also eines Gesprächs über ein beliebiges Thema, entweder jemand ganz aktuell ausgewählt wurde, damit er auf eine gestellte Frage unmittelbar antworten konnte, ohne große Vorbereitung. Oder, was wir jetzt eben tun werden: eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler wird eingeladen zu einem beliebigen aktuellen Thema zu sprechen, um uns damit herauszufordern und zum Nachdenken zu bringen.
DOMRADIO.DE: Dieses neue Format kann dann in ganz unterschiedlichen Veranstaltungen daherkommen. Das müssen nicht immer Vorträge sein. Da ist auch von akademischen Partnerschaften die Rede. Was darf man sich darunter vorstellen?
Ohly: Wir treten mit Institutionen, mit Einrichtungen in eine Kooperation, in eine Partnerschaft, die dann auch sogenannte Quodlibet-Stipendien möglich machen. Also dass tatsächlich eine Wissenschaftlerin oder ein Wissenschaftler an einem bestimmten Thema arbeitet, auch für längere Zeit an die Hochschule kommt und dann dort entsprechend forscht, aber auch Lehrveranstaltungen anbietet und sein Thema oder ihr Thema damit vor Ort stark machen kann.
DOMRADIO.DE: Jetzt schauen wir uns die Themen mal an, bei denen geht es darum, über den Tellerrand zu blicken und Theologie in den Dialog einzubringen. Wie kann das gelingen? Können Sie da ein Beispiel nennen?
Ohly: Zum Auftakt wir laden Professor Leinkauf von der Universität in Münster ein. Ein Philosoph, der zu einem Thema sprechen wird, das zunächst einmal schwierig klingt: "Dialog, Ungenauigkeit und Freiheit bei Nicolaus Cusanus". Das macht sehr deutlich, dass wir damit ganz viele Disziplinen und Fachbereiche verbinden können, nämlich die Frage zum Beispiel bei mir im Kirchenrecht: Es gibt Gesetze, es gibt Normen, aber wie können die auf den konkreten Fall angewendet werden? Und gibt es Möglichkeiten, da auch ungenau zu arbeiten im Sinne von einer Freiheit, die deutlich macht: Ich muss ein Gesetz vielleicht auf einen konkreten Einzelfall nicht immer so hundertprozentig anwenden, wie es die Regel eigentlich vorsieht. Welche Freiheit ist darin verborgen? Das ist eine spannende Sache, die uns herausfordert nachzudenken, auch in der heutigen Zeit, wie wir in bestimmten Fachbereichen Überzeugungen dialogisch vermitteln und gleichzeitig aber auch klar machen: Ich habe die Wahrheit jetzt für mich nicht gepachtet. Ich will tatsächlich in das Gespräch mit dem anderen eintreten.
DOMRADIO.DE: Muss ich Theologie studiert haben, um dabei zu sein und folgen zu können?
Ohly: Ich sage immer, solch ein Vortrag will die Wissenschafts-Community herausfordern. Das können Theologen, Philosophen sein, das können aber auch Naturwissenschaftlerinnen sein. Wir richten uns damit eigentlich an alle, weil wir tatsächlich in der nachfolgenden Diskussion auch konkrete praktische Beispiele ansprechen wollen im Blick auf die Überlegungen und die Theorien, die vorgestellt worden sind.
DOMRADIO.DE: Theologie auch über den Tellerrand hinaus in den gesellschaftlichen Dialog einzubringen. Ist das auch Ihr Anliegen als Rektor der Kölner Hochschule für Theologie?
Ohly: Absolut. Ich glaube, von beiden Seiten her. Zum einen, dass wir versuchen, unseren Studierenden eine gute Ausbildung im Bereich der katholischen Theologie zu bieten in den entsprechenden Lehrveranstaltungen. Aber gleichzeitig auch unter dem Stichwort Dialog immer die Bereitschaft stärken, darüber hinaus zu schauen, nach den Fragen der heutigen Zeit in wissenschaftlichen Bereichen zu suchen. Es geht auch um kulturelle, gesellschaftliche Anfragen, die die Studierenden fähig machen, sprachfähig im Gespräch eigene Positionen herauszuarbeiten, zu formulieren und auch zu vertreten. Ich glaube, das ist ja auch wichtig, dass man merkt, dann steht da jemand auch hinter dem, was er denkt oder sie denkt.
DOMRADIO.DE: Die Kirche befindet sich ja in einer massiven Krise. Wie kann es denn da auch der Theologie vielleicht gelingen, ihre gesellschaftliche Relevanz wieder ein bisschen in den Vordergrund zu rücken, lebendig zu machen?
Ohly: Dazu gehört eine Portion Mut, sich eben nicht in solch einer Krisenzeit ins Schneckenhaus zurückzuziehen nach dem Motto: Wir bilden so einen heiligen kleinen Zirkel noch mit den Gleichgesinnten. Sondern den Mut zu haben, herauszugehen. Dazu gehört aber auch Demut, zu sagen: Ich gehe in solch ein Gespräch, ich gehe in die Begegnung mit den Menschen unserer Zeit, nicht mit dem Anspruch, sie zunächst belehren zu wollen. Weil ich weiß, ich habe alles erkannt, ich habe die Wahrheit gepachtet. Sondern ich denke immer, Dialog ist auch ein gemeinsames Wandeln im Gespräch, in der Wahrheit, sodass ich durchaus selbstbewusst dann sagen würde: Wir haben mit dem Evangelium eine Botschaft, die weltrelevant, die menschenrelevant ist. Und dazu gehört der Mut und die Demut, bereit zu sein, wie es auch Papst Franziskus immer sagt, wirklich bis an die Ränder zu gehen und zu sagen: Hier bin ich und dafür stehe ich ein. Und das natürlich auch im Bereich der Theologie.
Das Interview führte Michelle Olion.