Neuköllner-Bezirksbürgermeister zur Sarrazin-Debatte

"Es ist immer falsch, zu sehr zu verallgemeinern"

Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin erntet für seine neuerlichen Thesen zur Migration in Deutschland breite Kritik. Einer, der täglich mit der Klientel zu tun hat, ist Heinz Buschkowsky, SPD-Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln. Im domradio.de-Interview relativiert er Sarrazin provokante Äußerungen, bestätigt aber, dass in Deutschland Migrations-Probleme gerne verdrängt werden.

 (DR)

domradio.de: Der SPD-Politiker Thilo Sarrazin fordert mehr Anstrengungen der Muslime bei der Integration, dies müsse eine Bringschuld von Migranten sein. Warum erfährt er so viel Ablehnung?
Buschkowsky: Das ist ja bei Sarrazin nicht neu, er provoziert das ja auch, ich denke, er braucht das sogar. Er ist ja ein Mensch, der sich gerne reibt und dem es auch Spaß macht, wenn sich Menschen an ihm reiben.

domradio.de: Integrations-Staatsministerin Böhmer sagt, Sarrazins Behauptungen seien wissenschaftlich nicht haltbar. So gebe es keine Studien, die eine grundsätzliche mangelnde Integrationsbereitschaft der Muslime in Deutschland belegten. Welches Bild vom Stand der Integration haben Sie denn in Ihrer täglichen Arbeit?
Buschkowsky: Es ist wie immer: Natürlich gibt es das, was Sarrazin beschreibt, das wissen Sie auch in Köln. Aber natürlich gibt es auch die Gegenbeweise. Alleine, dass er kritisiert, dass 40 Prozent der Muslime sich im Sozialtransfer befinden. Darin steckt auch die andere Seite der Medaille, nämlich, dass es 60% nicht sind. Man muss aufpassen, dass die Verallgemeinerung nicht von jedem Besitz ergreift, und ich kann ihnen hier aus meinem Alltag sagen: Natürlich haben wir auch bei uns breite Teile der zugewanderten Bevölkerung, die sich sehr wohl eingerichtet haben im Sozialsystem und wir haben andere, die sich den Buckel krummlegen. Es gibt immer solche und solche und Sarrazin belegt nun, dass nicht jeder Migrant gekommen ist, um von morgens bis abends nur zu Schaffen, das ist aber so ungewöhnlich nicht. Teilweise haben wir  es auch provoziert, in dem wir Menschen, die zu uns gekommen sind, verboten haben zu arbeiten. Man muss sich das immer sehr fein ziseliert ansehen, was sich da so in der Gesellschaft abspielt.

domradio.de: Sarrazin wirft der politischen Elite im Land vor, nicht ehrlich genug mit dem Thema Migration umzugehen.
Buschkowsky: Diese These unterschreibe ich blind, das ist so. Das Thema Migration ist eines, wo sehr viel weggeduckt und schöngeredet wird, auch falsch geredet wird. Es gibt in der Integration immer Probleme, es gibt immer Menschen, gerade wenn sie aus Ländern kommen, in denen es überhaupt kein Sozialsystem gibt, die erstmal glauben, dass sie im Paradies angekommen sind. Es gibt immer Menschen, die versuchen, das heimatliche Dorf zu konservieren und mitzunehmen und die überhaupt nicht daran denken, sich an die Spielregeln der neuen Heimat zu halten. Das sind Dinge, die einfach nicht funktionieren. Man kann nicht mit dem anatolischen, pakistanischen, afghanischen, afrikanischen Dorf hier in einer europäischen Leistungsgesellschaft leben. Das funktioniert nicht. Dass Analphabeten mit dem Begriff der Schulpflicht erst einmal kleine Probleme haben, ist so ungewöhnlich nicht, die Frage ist nur, wie wir als Gesellschaft darauf reagieren und den Menschen klarmachen, welche Integrationserwartung wir hegen und wir ihnen helfen. Wie wir insbesondere den Kindern helfen, in die neue Heimat hineinzuwachsen und eine Bildungskarriere zu machen. Da kann ich bestätigen, dass unser Bildungssystem sich auf diese Bevölkerungsschichten überhaupt noch nicht eingestellt hat. Und unser System, in dem die gesellschaftliche Stellung von Mama und Papa entscheidend ist für die Zukunft des Kindes, ist da nicht gerade förderlich.

domradio.de: "Seine Positionen haben absolut nichts mit sozialdemokratischer Integrationspolitik oder überhaupt mit demokratischer Politik zu tun", das sagt der Berliner SPD-Landeschef Michael Müller. Kann Sarrazin mit seiner Meinung noch in der SPD bleiben?
Buschkowsky: Also ich halte solche Aussagen nach Auszügen eines 450-Seiten langen Buches in der Presse für ausgesprochen schwierig Ich gehöre zu den Privilegierten, die das Buch schon haben. Ich bin jetzt auf Seite 100, und ich würde mir nicht anmaßen, nun schon ein abschließendes Urteil zu fällen. Das Buch liest sich sehr sehr schwer, man muss hoch konzentriert sein, seine Thesen belegt Sarrazin mit umfangreichen Basismaterial und ich habe den großen Verdacht, dass viele, die nun schon ganz genau wissen, was drin steht, noch nicht eine einzige Seite gelesen haben. Also ich würde da vorsichtig sein, ich warte ab, bis ich das Buch durch habe. Auf den 100 Seiten, die ich gelesen habe, habe ich noch nichts gefunden, das eine derartige Aussage rechtfertigt. Dass Sarrazin Meinungen vertritt und für sich einfordert, die andere vielleicht nicht haben, das ist sein gutes Recht. Er sagt ja z.B., er möchte, dass seine Urenkel weiter in einem christlich orientierten Abendland leben. Wenn er vom Muezzin geweckt werden möchte, dann buche er eine Reise ins Morgenland. So etwas ist sicherlich sehr provokativ, aber ich denke, dass viele Menschen diese Auffassung teilen, das ist dann aber Meinungsseite.

Ich habe aber überhaupt keine Lust, mich über statistische Werte zu streiten und zu diskutieren, ob sie richtig sind oder nicht. Ich denke, dass es immer falsch ist, zu sehr zu verallgemeinern, dass funktioniert nicht. Einen Fehler macht Sarrazin aber, er schreibt die heutige Situation linear fort auf fünfzig und hundert Jahre, und das ist nachweislich falsch. Denn wenn das stimmen würde, dann hätte sich ja die These von Karl Marx bestätigt, dann wäre es zur Verelendung der Massen gekommen, und dann hätte die Weltrevolution statt gefunden oder wir würden immer noch im römischen Reich leben. Die menschliche Gesellschaft entwickelt sich aber in Sprüngen und ich glaube nicht, dass sich die düsteren Prophezeiungen von Sarrazin bewahrheiten werden. Ich glaube daran, dass sich unsere Gesellschaft weiterentwickelt und wir auch die bildungsfernen und gerade die migrantischen Schichten in den Griff bekommen werden. Davon ich überzeugt, dazu sind wir eigentlich klug genug.

Interview: Christian Schlegel