DOMRADIO.DE: Sie sind Vertreter der Priester im Erzbistum Köln beim Synodalen Weg. Dieser trifft sich jetzt in Frankfurt. Wie sind da Ihre Erwartungen?
Wolfgang Picken (Bonner Stadtdechant): Ich habe die Erwartung, dass sich die Synodalen auch mit dem auseinandersetzen, was der Papst zum Thema Synode weltweit gesagt hat. Wir sollten uns darüber zunächst einmal gemeinsam auseinandersetzen und uns fragen, ob wir die Ansprüche erfüllen, die der Papst mit diesem Synodalen Weg verbindet. Vielleicht ist es notwendig, dass wir möglicherweise aufgrund der Statuten und der Rahmenbedingungen, die er festgelegt hat, auch an unserem eigenen Weg Veränderungen vornehmen müssen.
Ich habe das schon bei der ersten synodalen Versammlung als problematisch erachtet. Es gab einen Brief an alle Synodalen durch den Papst und wir haben über den Brief überhaupt nicht gesprochen. Als ob es den eigentlich nicht gibt. Als ob das irgendwie ein privates Dokument sei. Und das darf uns bei dem jetzigen Dokument des Papstes nicht passieren. Das reicht auch nicht aus, dass Herr Sternberg oder irgendwer sagt, der Papst sei mit uns total einer Meinung.
Das mag für die so sein, aber ich denke, es ist notwendig, dass wir uns als Teil der ganzen Kirche mit den Vorstellungen des Papstes von einem Synodalen Weg zuerst auseinandersetzen und nicht einfach unsere Agenda durchziehen, als ob es solche Worte und solche Anregungen des Papstes gar nicht gegeben hätte. Das wäre meine erste Erwartung, die ich mit dem Synodalen Weg und der Konferenz, die vor uns steht, verbinden würde.
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche in Deutschland, speziell im Erzbistum Köln, macht derzeit eine krisenhafte, schwierige Zeit durch. Es wird viel gestritten. Es gibt kontroverse Themen. Welche Herausforderungen sehen Sie da jetzt aktuell für die Delegierten beim Synodalen Weg?
Picken: Wichtig ist: Es gibt auf den Missbrauchsskandal und auch auf die Krise der Kirche keine einfachen und keine schnellen Lösungen. Und der Synodale Weg nimmt sich natürlich genau das vor, was auch nachvollziehbar ist. Man hätte das natürlich gerne. Aber es braucht eine seriöse, ausgewogene Debatte. Es braucht vor allen Dingen eine angemessene Streitkultur untereinander, in der jeder das Gefühl hat, dass seine eigene Meinung hinreichend bewertet wird, in der wir uns für so komplexe theologische Themen auch die notwendige Zeit nehmen.
Sie müssen bedenken, dass die große Mehrheit der Synodalen in den Foren gar nicht Mitglied war. Das heißt, die haben alle Texte auf den Tisch liegen, an deren Entwicklung sie gar nicht mitgearbeitet haben. Es betrifft überall Kernthemen von theologischen Grundfragen. Die Mehrheit der Synodalen sind keine Theologen. Also müssen wir uns Zeit nehmen, uns diesen Themen anzunähern.
Wenn ich die Agenda sehe und die Tagesordnung und die fleißig erarbeiteten Texte aus den Foren, verstehe ich einerseits den Druck, dass sie gerne hätten, dass wir das alles besprechen. Aber seriös und wirklich diskursiv kann das nach meinem Dafürhalten kaum stattfinden bei der kurzen Zeit, die man da hat.
Also müssen wir uns auch darüber Gedanken machen, ob der Zeitradius, den der Synodale Weg sich gibt, angemessen ist. Ist er auch der Tiefe der Problematik, vor der wir stehen, angemessen? Oder müssen wir uns nicht viel mehr Ruhe und Gelegenheit nehmen, in eine wirkliche Auseinandersetzung zu treten und uns den Themen langsam anzunähern? Und das ist in zwei Tagen bei all diesen Themen eigentlich gar nicht denkbar.
So ist die Gefahr, dass wir einfach von einem Thema zum anderen laufen, unter großem Stress stehen. Und Stress führt zu Konflikten, die man eigentlich vermeiden könnte, wenn man mit Ruhe und Gelassenheit an Dinge geht. Und gegenwärtig haben manche der Synodalen den Eindruck, da werden jetzt einfach Themen durchgedrückt, auch unter der Maßgabe, wir seien so in einer Krise und müssten jetzt schnell handeln und reagieren. Und ich glaube, das wird nicht aufgehen.
DOMRADIO.DE: 2019 haben ja die Bischöfe in Lingen bewusst entschieden, Laien partizipieren zu lassen am Synodalen Weg. Das Thema Machtmissbrauch stand da im Vordergrund, notwendige Veränderungen sollen angegangen werden. Welche Schritte können Sie da mitgehen?
Picken: Also ich glaube sagen zu können, dass es der gemeinsame Nenner aller Synodalen ist, dass es Veränderungen in der Kirche braucht. Das ist ja auch nichts Sensationelles. Jede Zeit hat Veränderungen in die Kirche gebracht. Wir müssen mit der Zeit leben und wir müssen uns immer die Frage stellen, das sagt das Konzil sehr schön, ob die Nöten und die Sorgen der Menschen sich hinreichend auch in unserem Denken und Handeln abbilden. Von daher braucht es Reformen, braucht es natürlich auch wirksame Reaktionen auf die Phänomene des Missbrauchs.
Wichtig ist dabei aber nach meinem Dafürhalten, dass wir zunächst den Spielraum ausnutzen, den weltkirchliche Theologie und Kirchenrecht uns bieten, und dass wir uns nicht den Illusionen hingeben, wir könnten hier quasi ein Konzil stattfinden lassen, das erst einmal für den Raum Deutschland Grundlagen der Theologie verändert, um daraus dann vielleicht eine völlig andere Kirche zu konstruieren.
Das wird am Ende nur Frustration erzeugen, weil da die Weltkirche nicht mitgehen wird. Da gibt es ja schon sehr deutliche Signale auch aus dem Vatikan. Kardinal Kasper hat sich sehr prominent geäußert, Kardinal Koch ebenso. Bei Forderungen nach einer totalen Reform wird Rom irgendwann sagen, dass das nicht mit der Weltkirche kongruent geht. Und dann stehen wir da mit lauter Appellen und Veränderungen und Illusionen. Und dann wird der Abstand zur Kirche und die Enttäuschung möglicherweise größer sein als vorher.
Es wurde ja auch mal gesagt, manche der Synodalen wollten nur eine Art "Make up". Aber vieles von dem, was da auf dem Tisch liegt, ist eher Gesichtschirurgie mit dem Skalpell. Viele Veränderungen, die beispielsweise im Alternativtext "Vollmacht und Verantwortung" vorgetragen werden, sind alles andere als "Make up". Wenn die nämlich überall schon umgesetzt wären, wäre man großen Schritt weiter.
DOMRADIO.DE: Kommen wir nochmal auf diese weltkirchliche Dimension. Papst Franziskus hat eine Bischofssynode angekündigt, möchte auch einen synodalen Weg dort hingehen. Wo sehen Sie da Parallelen zum deutschen Synodalen Weg? Wo sehen Sie die Unterschiede?
Picken: Die Parallele ist, dass der Heilige Vater sehr deutlich sagt: "Wir stehen in einer Welt, die sich stark verändert. Wir stehen in einer kirchlichen Situation, die immer wieder suchen muss, wie sie die Anpassung und die Anknüpfung an diese Welt erreicht. Und wir erleben ein inneres Ausbluten, ein geistliches Entleeren von Kirche." All diesen Prozessen will der Papst mit einem Synodalen Weg begegnen. Und das wollen die Deutschen auch.
Ein zentraler Unterschied zwischen dem, was der Heilige Vater mit dem synodalen Prozess verbindet und unserem synodalen Prozess, ist ein Basisprozess. Man könnte sagen ein "Buttom-up". Er will, dass zunächst in den Kirchengemeinden, in den Diözesen, dann in den Ortskirchen der Länder und später dann auf Weltkirchenebene diskutiert wird, damit das wirklich ein Prozess ist, der die ganze Kirche in eine geistliche, spirituelle, theologische Vergewisserung und in eine Nachdenklichkeit führt und einen neuen Aufbruch.
Nach meinem Empfinden fehlt dieser Unterbau dem deutschen Synodalen Weg vollständig. Zwar sind wir gewählt vermeintlich aus der Basis, aber die inhaltlichen Debatten werden gar nicht in die Basis zurückgespielt. Die Basis ist an diesen Dingen nicht beteiligt. So laufen wir Gefahr, dass wir die Synode von Delegierten werden, ohne Anbindung an das Kirchenvolk.
Und genau das will der Heilige Vater nicht. Er will, dass das von unten nach oben wächst. Ich glaube, da werden wir in der Synode drüber nachdenken müssen. Wenn wir jetzt die erste Lesung von Texten haben, wie beziehen wir die Glaubenden vor Ort jetzt beispielsweise auch nochmal in einen solchen Prozess mit ein? Für meine Begriffe wäre das bei demokratischen Prozessen zwingend notwendig, ist aber bezeichnenderweise im Synodalen Weg in Deutschland nicht vorgesehen
DOMRADIO.DE: Der Synodale Weg in Deutschland möchte eine geistlicher Weg sein. Wenn Sie nach Frankfurt fahren, wofür beten Sie dann? Was wünschen Sie dem Synodalen Weg?
Picken: Ehrlich gesagt: Natürlich eröffnen wir immer eine Sitzung mit einem geistlichen Impuls, wir unterbrechen für das Gebet. Aber das ist nicht das, was ich unter einem geistlichen Weg verstehe. Eigentlich muss das Geistliche in der intensiven inhaltlichen Verbindung mit dem stehen, worüber wir reden.
Das kann ich beim Synodalen Weg beim besten Willen nicht wahrnehmen. Wir müssen uns erst einmal die Themen geistlich vornehmen, durchdringen, hinhören, uns vielleicht auch ehrlich mit der Theologie von Jahrhunderten auseinandersetzen, bevor wir dann an ihr rummontieren und rumschrauben und den Geist Gottes da irgendwie erst einmal lebendig werden lassen. Von daher wäre mein Gebet für den Synodalen Weg, dass er ein geistlicher werden möge.
Das Interview führte Alexander Foxius am 20. September.