Grünen-Politikerin Rüffer warnt vor zunehmender Diskriminierung durch Pränataltests

"Nicht nur ein Schritt zur Selektion, wir stecken da mitten drin"

Vorgeburtliche Bluttests auf Trisomie werden bald von Krankenkassen bezahlt. Der Beschluss sei fatal und ohne eine Diskussion mit der ethischen Dimension gefallen, kritisiert Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Grünen.

Arbeiten im Forschungslabor / © Cristian Gennari (KNA)
Arbeiten im Forschungslabor / © Cristian Gennari ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sagen, Aufgabe der Krankenkassen ist es, Leistungen zu finanzieren, die einen medizinisch-therapeutischen Nutzen haben. Den sehen Sie bei diesem Test nicht.

Corinna Rüffer (Sprecherin für Behindertenpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen): Ja, so ist das, ganz offensichtlich. Dieser Test dient dazu, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit herauszubekommen, ob ein Kind mit einer Trisomie – 13, 18 oder 21 – geboren wird. Aber das ist ja keine Krankheit, sondern eine genetische Disposition. Und es gibt dafür keine Therapien. Deshalb führt dieser Test in letzter Konsequenz in den allermeisten Fällen dazu, dass diese Schwangerschaften beendet werden.

Das ist aus meiner Sicht überhaupt keine Leistung, die eine gesetzliche Krankenkasse zu erfüllen hat. Es geht ja im medizinischen System eigentlich darum, Menschen zu heilen, sie zu unterstützen. Diesen Anforderungen wird der Test aus meiner Sicht in keiner Weise gerecht, sondern er ist diskriminierend gegenüber Menschen mit Behinderungen.

DOMRADIO.DE: Aber diese Tests wird es trotzdem geben und die kosten normalerweise mehrere hundert Euro, wenn man sie selbst bezahlt. Sollen die Leute sie dann selber zahlen oder wollen sie die Tests generell verbieten?

Rüffer: Ich finde, es ist eine total absurde Vorstellung aus dieser Frage jetzt eine soziale Frage zu machen. Erstens sind die Tests, seitdem sie eingeführt wurden im Jahr 2012, immer günstiger geworden. Er kostet eben nicht mehr viele hundert Euros, sondern der kostet nur noch 129 Euro und vielleicht mittlerweile sogar noch weniger. Die Leute, die so argumentieren und sagen, wir müssen doch der Unterschicht den Zugang zu diesen Tests gewährleisten, reden nicht über die Ungerechtigkeiten, die wir in unserem medizinischen System haben – mit privaten Krankenversicherungen, mit der Frage, wer finanziert denn eigentlich eine Brille, wenn ich sie brauche, oder den Zahnersatz.

Es sind jetzt in dem Zusammenhang wirklich ganz andere Fragen zu diskutieren, als diese. Deswegen halte ich es wirklich für abwegig, sozusagen unter dem Deckmantel der sozialen Gerechtigkeit, hier so ein ethisch relevantes Thema anzugehen.

DOMRADIO.DE: Das eine ist ja, dass die Tests eine Kassenleistung werden sollen. Aber wenn ich das richtig verstehe, dann wird auch diese Broschüre sozusagen mit den Mutterschaftsrichtlinien kritisiert, mit der ja die werdenden Eltern aufgeklärt werden sollen. Warum ist das so?

Rüffer: Na ja, da gibt es verschiedene Aspekte. Es geht um das Bild von Behinderung, das da vermittelt wird auf der einen Seite. Aber es geht ja ganz grundsätzlich um die Frage: Wer hat denn eigentlich Zugang zu diesen Tests? Da ist dann von Risiko-Schwangeren die Rede. Aber die Formulierung und die Definition ist ja so weit, dass in der Bundesrepublik quasi fast alle Schwangerschaften als Risiko-Schwangerschaften gelabelt werden. Da ist das große Problem, dass dieser Test mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Screening führt – also tatsächlich flächendeckend geguckt wird, mit welcher Wahrscheinlichkeit Kinder mit Trisomie auf die Welt kommen.

Das ist ein Riesenproblem. Im Jahr 2005 ist so ein Screening in Dänemark eingeführt worden und schon im nächsten Jahr hat sich die Zahl der Lebendgeburten von Menschen mit Trisomie halbiert. Also das heißt, faktisch wird es immer weniger Menschen mit der Trisomie geben. Und das heißt, dass wir das mit der Inklusion, der gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, vielleicht in dieser Gesellschaft gar nicht so ernst meinen, wie das in Sonntagsreden immer verhackstückt wird.

DOMRADIO.DE: So ähnlich hat sich auch der Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, geäußert. Er sagte, dass rund 90 Prozent der Trisomie-Verdachtsfälle zum Tod des Embryos führen würden, weil die Eltern sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden. Das sei eine besorgniserregende Entwicklung in Richtung Selektion. Sehen Sie das auch so? Oder können Sie auch eher nachvollziehen, wenn Eltern kein behindertes Kind zur Welt bringen möchten?

Rüffer: Das ist faktisch so und das ist nicht nur ein Schritt zur Selektion, sondern wir stecken da mitten drin. Das ist aus meiner Sicht mit geltendem Recht in Deutschland auch nicht zu vereinbaren. Also wir haben die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Wir haben gesagt, behinderte Menschen haben die gleiche Würde, die gleichen Rechte wie alle anderen Menschen auch. Das kann man dann noch mit einer religiösen Brille hinterlegen. Das ist nicht mein Anknüpfungspunkt. Aber ich bin total froh, wenn die Kirchen sich zu diesem Test offensiv positionieren. Das ist leider in der evangelischen Kirche nicht so passiert, wie ich mir das gewünscht hätte. Ich hätte eher gedacht, dass man da mehr Verbündete findet.

Meine Haltung ist eine liberale Haltung. Ich finde, jede Frau hat das Recht zu entscheiden, ob sie ein Kind haben möchte oder nicht. Aber das findet natürlich seine Grenzen. Nicht jeder Mensch hat das Recht, ein gesundes Kind oder ein nichtbehindertes Kind auf die Welt zu bringen. Das zu gewährleisten, ist auch eine total absurde Vorstellung, ehrlich gesagt. Weil nur ein Bruchteil der Kinder und der Menschen, die später eine Behinderung haben, mit einer solchen geboren werden. Genetische Abweichungen spielen bei der Summe behinderter Menschen in dieser Gesellschaft eine absolut untergeordnete Rolle.

Wir suggerieren etwas, was nicht zu leisten ist. Wir haben ja auch schon andere Methoden gehabt. Die Fruchtwasseruntersuchungen beispielsweise sind in den 70er Jahren eingeführt worden. Die Pränataldiagnostik führt im Endeffekt dazu, dass der Staat Kosten einführt. Das ist gerade vor dem Hintergrund deutscher Geschichte eine total perfide Argumentation. Deshalb ist es ganz wichtig, dass dieses Thema an dieser Stelle jetzt nicht aufgegeben wird.

Der Bundesausschuss im Gesundheitswesen (G-BA) hat nach Evidenzkriterien entschieden. Er guckt also nur hin, funktioniert der Test besser als die anderen früheren Methoden und ist er schonender. Das ist auch zweifelsohne der Fall. Aber die ganz grundsätzliche Frage: Wo wollen wir als Gesellschaft eigentlich hin? Wollen wir eine Gesellschaft ohne behinderte Menschen? Ist das wirklich unser Ziel und was macht das mit unserer Humanität? Das sind Fragen, die wir nicht außen vorlassen dürfen – auch deshalb, weil das ja nicht der einzige Test ist, vor dem wir stehen. Das menschliche Genom ist nicht mehr so ein Geheimnis, wie wir mal gedacht haben. Es drängen weitere Tests auf andere Erkrankungen und Behinderungen auf den Markt. Wir müssen uns als Politik, aber auch als Gesellschaft insgesamt mit diesen Fragen auseinandersetzen. Ich halte das für ganz zentral für die Fortentwicklung unseres menschlichen Wertesystems.

Das Interview führte Florian Helbig.


Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen / © Stefan Kaminski (privat)
Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen / © Stefan Kaminski ( privat )
Quelle:
DR