Nichtregierungsorganisationen bangen um ihre Zukunft in der Türkei

"Angriff auf die Zivilgesellschaft"

In der Türkei wird die Lage für Nichtregierungsorganisationen immer gefährlicher. Die Verhaftung des IT-Spezialisten Peter Steudtner könnte viele Experten künftig davon abhalten, beruflich in die Türkei zu reisen.

Autor/in:
Philipp Mattheis
Deutsche und türkische Flaggen / © Marijan Murat (dpa)
Deutsche und türkische Flaggen / © Marijan Murat ( dpa )

Rund 19 ist es Jahre her, da setzte sich Amnesty International (AI) mit einer Kampagne für den damals noch kaum bekannten Recep Tayyip Erdogan ein. Der Politiker war im Gefängnis gelandet, weil er ein religiös-martialisches Gedicht rezitiert hatte.

Für die säkular-kemalistische Regierung war das damals Grund genug, den Mann zu einer zehnmonatigen Gefängnisstrafe zu verurteilen, von denen er knapp drei absitzen musste. Inzwischen ist Erdogan türkischer Präsident - und wird von Amnesty scharf kritisiert.

"Neue Grenze erreicht"

Vor wenigen Tagen erinnerte die Menschenrechtsorganisation auf Twitter nochmals an jene Tage, als Erdogan in Haft saß. Zugleich forderte Amnesty den türkischen Präsidenten auf, die Amnesty-Direktorin in der Türkei, Idil Eser, freizulassen. Sie sitzt seit 5. Juli im Gefängnis.

Eser wurde auf einem Seminar von Amnesty auf der Prinzeninsel Büyükada bei Istanbul verhaftet. Unter den Festgenommenen war auch der Deutsche Peter Steudtner, der dort einen Vortrag über IT-Sicherheit gehalten hatte. Vorgeworfen wird ihnen "Unterstützung von Terrororganisationen". Amnesty-Sprecher Andrew Gardner sagte dem Magazin "Al Monitor", nun sei "eine neue Grenze erreicht".

Viele NGOs geschlossen

Seit Jahren wird die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen in der Türkei schwieriger. Seit dem fehlgeschlagenen Putsch vom 15. Juli 2016 aber sprechen manche von einem "Angriff auf die Zivilgesellschaft". Rund 1.400 Nichtregierungsorganisationen wurden geschlossen - die meisten von ihnen standen dem Prediger Fetullah Gülen nah. Viele aber kümmerten sich auch um die Rechte von Frauen oder Kindern.

In letzter Zeit sind besonders solche betroffen, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind. In der Türkei gibt es mehr als 2,5 Millionen syrische Flüchtlinge, darunter viele Minderjährige im schulpflichtigen Alter. Dies sei tatsächlich ein weitgehend unregulierter Bereich gewesen, sagt ein Leiter einer Stiftung in Istanbul, der namentlich nicht genannt werden möchte. Die türkischen Behörden gingen aber nun rabiat gegen viele Organisationen vor.

Auswirkungen dürften auch die verschärften Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes haben. Denn die Arbeit vieler Organisationen besteht darin, Kongresse, Seminare und Meetings zu organisieren.

Reise-Vorbehalte

Letztlich wird die Verhaftung des IT-Spezialisten Steudtner viele Experten davon abhalten, beruflich in die Türkei zu reisen. "Es wird jetzt schwieriger werden, überhaupt Leute in das Land zu bekommen", sagt Kristian Brakel, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Laut Brakel ist die Lage "zwar nicht so dramatisch, wie sie vielleicht von Deutschland aus aussieht". Stiftungen, Nichtregierungsorganisationen und karitative Einrichtungen stünden aber unter Druck.

"Die Situation ist im Moment nicht so unkalkulierbar, dass man nicht mehr in das Land reisen könnte", sagt Michael Werz von der Nichtregierungsorganisationen American Progress. "Zwar ist der Druck auf Partnerorganisationen gestiegen, aber gerade deswegen ist es wichtig, Kommunikationskanäle offen zu halten." Wenn man gewisse Sperrzonen umgehe - dazu zählt Werz die Kurdenproblematik, Vetternwirtschaft und Korruption - könne man in der Türkei noch immer sinnvolle Arbeit leisten.

Universitäten im Fokus

Auch die Universitäten geraten immer stärker unter Beschuss. Am 10. Juli wurden 42 Mitarbeiter der renommierten Bogazici-Universität und der Medeniyet-Universität verhaftet. Als Grund war anscheinend ausreichend, dass sich auf deren Smartphones die Messaging-App ByLock befand, die vor allem von Gülen-Anhängern benutzt wurde.

Die Presse ist schon seit längerem Zielscheibe des vermeintlichen Anti-Terrorkampfes. Die Journalisten-Organisation P24 zählt mittlerweile 165 inhaftierte Journalisten, darunter auch der deutsche Staatsbürger Deniz Yücel.

In der Türkei wird es auch deshalb immer schwerer, an Informationen zu kommen. Ein weiterer Grund: Im Internet-Lexikon Wikipedia war Ende April ein Artikel aufgetaucht, in dem der Putschversuch als fingiert bezeichnet worden war. Die türkische Regierung forderte daraufhin von den Betreibern die Löschung des Artikels, was diese verweigerten. Seitdem ist das Internet-Lexikon in der Türkei komplett gesperrt.


Quelle:
KNA