Niebels Halbzeitbilanz ist für Experten ernüchternd

"Ein Liberaler muss das halt so machen"

Zwei Jahre "neue Entwicklungspolitik": Minister Niebel mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. Die Rhetorik sei neu, das Programm eher nicht, bescheinigen hingegen Fachleute.

Autor/in:
Ann Kathrin Sost
 (DR)

Entwicklungsminister Dirk Niebel sparte nicht mit Superlativen, als er am Freitag vor den Journalisten der Bundespressekonferenz seine Amtszeit resümierte. Zufrieden gab der Minister bekannt: "Wir haben geliefert." Niebel betont gern, er habe in seinen gerade einmal zwei Jahren als Minister mehr erreicht als seine Vorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) in elf. "Zwei Jahre neue Entwicklungspolitik" taufte er selbstsicher seine Halbzeitbilanz.



Als Niebel am 28. Oktober 2009 sein Amt antrat, schien der bis dahin ausgesprochene Kritiker der Entwicklungspolitik für manchen eine komplette Fehlbesetzung. Umso positiver wurde dann gewertet, wie schnell Niebel sich in die Materie einarbeitete und wie genau er zuhörte. "Er hat eine erhebliche Bereitschaft zum Lernen gezeigt - und er hat gelernt", konstatiert Guido Ashoff vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn. Der 48-jährige Niebel gilt als Mann ohne Allüren, der die Mitarbeiterin einer kleinen Hilfsorganisation im westafrikanischen Hinterland genauso aufmerksam behandelt wie gestandene Regierungsbeamte. Seine zahllosen Reisen - rund drei Dutzend bisher - tragen wohl zum Lerneffekt bei.



"Die Rhetorik ist anders, aber in der Praxis hat sich wenig geändert"

Revolutionär Neues hat der Mann mit der umstrittenen Militärmütze dabei nicht geleistet. "Er kann und soll das Rad auch nicht neu erfinden", sagt Ashoff. Deutschland sei in der Entwicklungspolitik in zahllose internationale Abkommen eingebunden, die es einhalten müsse: "Der Gestaltungsspielraum ist nicht unendlich."



"Die Rhetorik ist anders, aber in der Praxis hat sich wenig geändert", sagt auch der Entwicklungsexperte Franz Nuscheler, der ehemals das Institut für Entwicklung und Frieden in Duisburg leitete. Dies gelte insbesondere für Niebels Credo, das Engagement in der Privatwirtschaft zu stärken: "Ein Liberaler muss das halt so machen." Dabei baut Niebel auch auf getaner Arbeit auf: Die sogenannten "Public Private Partnerships" hatte Wieczorek-Zeul zur festen Größe im Ministerium etabliert.



Doch das Potenzial dieses Vorhabens ist womöglich kleiner als Niebel hofft: "Die Kenntnisse und Kompetenzen unserer Unternehmer werden in den Entwicklungsländern gebraucht", wirbt er. Aber die könnten zögern: "Geschäfte in anderen Ländern sind in der Regel hochriskant", gerade für kleinere Unternehmen, sagt Jann Lay, Entwicklungsökonom am GIGA-Institut Hamburg. Und: Es sei zwar legitim, privates deutsches Engagement etwa in Afrika zu fördern.

"Das ist aber Wirtschaftspolitik, nicht Entwicklungspolitik." Sinnvoll wäre Lay zufolge, Entwicklungsländer attraktiver für ausländische Unternehmen zu machen - nicht nur für die deutschen.



Für die "Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft", wie sie im Haushalt des Ministeriums genannt wird, ist ohnedies mit rund 54 Millionen Euro keine große Summe vorhanden. Das ist nur ein vergleichsweise kleiner Betrag im 6,3 Milliarden Euro schweren Entwicklungshaushalt.



Durch die Bank gelobt wird Niebel indes für sein größtes Projekt, die Fusion von drei großen staatlichen Entwicklungsorganisationen zur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Von der "größten Strukturreform in der Geschichte der deutschen Entwicklungspolitik" spricht Niebel. An der Reform war Wieczorek-Zeul gescheitert.



Keine Leidenschaft für Entwicklungspolitik

Strukturen schaffen, Institutionen bündeln, Konzepte erstellen - hier scheinen die Stärken des studierten Verwaltungswirts zu liegen. Effektiv zu sein, klingt aber wenig attraktiv. Keine Leidenschaft für Entwicklungspolitik wird Niebel von Kritikern entsprechend gern vorgeworfen. "Der Mann muss zum Jagen getragen werden", sagt SPD-Entwicklungsexperte Sascha Raabe. Er attestiert Niebel fehlenden Ehrgeiz, wenn es um den Kampf um seinen Haushalt geht. So habe dieser sich für 2012 mit einer kleinen Steigerung von 1,8 Prozent zufrieden gegeben, statt mit Unterstützung vieler Parlamentarier für mehr Geld zu kämpfen.



Nuscheler bereitet etwas anderes Sorgen: Dass Niebels oft polternde Rhetorik dem Bild der Entwicklungspolitik in der Öffentlichkeit schadet. Es "demoralisiert unheimlich", wenn Niebel die Arbeit in der Entwicklungspolitik vor seiner Zeit in die "Kuschelecke" stelle und über Mitarbeiter in "Alpakapullovern" frotzele, sagt Nuscheler: "Das hat Langzeitwirkung."