Es ist der Tag vor Weihnachten und es liegt Vorfreude in der Luft. Kinder spielen auf den Straßen, Menschen gehen freudig durch die Gassen und an Kreuzungen stehen Chöre und singen Weihnachtslieder. Überall ist zu spüren, dass das Weihnachtsfest vor der Tür steht. Nur bei einem kommt keine Lust auf:
"Frohe Weihnachten? Humbug! Weihnachten ist Rattendreck! Wenn es nach mir ginge, müsste jeder Dummkopf, der mit ‚Fröhliche Weihnacht‘ im Munde Parole läuft, mit einem Stechpalmenzweig durchs Herz begraben werden, ja!“
Das sagt der geizige Ebenezer Scrooge. Ein Geschäftsmann, der dem Fest der Liebe nichts abgewinnen kann, weil er da seinem Gehilfen im Büro einen ganzen Tag freigeben muss. Scrooge ist geizig und hat ein kaltes Herz.
So beginnt die von Charles Dickens geschriebene berühmte und zugleich schaurig-schöne Erzählung, die im viktorianischen London spielt. Im weiteren Verlauf der Geschichte wird der Geizhals Scrooge geläutert. Drei Geister besuchen ihn, um ihn vor Augen zu halten, was er war, was er geworden ist und was hinter dem Sinn von Weihnachten steckt."
Vor 180 Jahren veröffentlicht
"A christmas Carol - eine Weihnachtsgeschichte" wurde am 19. Dezember 1843 veröffentlicht und hat an Aktualität bis heute nichts eingebüßt. Noch immer geht es um Arm und Reich, um Gut und Böse und um Einsamkeit und Gemeinschaft.
Die Geschichte von Ebenezer Scrooge wurde vielfach verfilmt. Es gibt Musicals, Comics, Parodien – und in der niederländischen Stadt Deventer einmal jährlich das "Dickens Festival". Immer am 3. Advent schlüpfen mehr als 900 (Laien-) Schauspieler in Kostüme und verwandeln die Stadt in der Nähe von Appeldorn in das viktorianische London von 1840. Missernten, protektionistische Kornzölle und Hungersnöte prägen das Bild des Landes.
Mehr als 100.000 Besucher in Deventer
Von Jahr zu Jahr werden es mehr Besucher, so Adrie van Essen. Er ist Mitveranstalter des Dickens-Festijn und freut sich im DOMRADIO.DE-Interview über den großen Zuspruch.
Angefangen hat alles vor 33 Jahren. Eine Ladeninhaberin von Deventer hatte den Impuls dazu gegeben, das "Dickens-Festival" ins Leben zu rufen. "Ihr Vater war ein großer Charles Dickens-Fan. Er hat ihr die Geschichten von Dickens abends immer vorgelesen. Und so wurde auch sie ein großer Dickens-Fan", so Adrie van Essen.
Ihr Wunsch war es, die historische Altstadt von Deventer in das viktorianische London zu verwandeln. "Gut 90% der Darsteller kommen aus der Stadt Deventer und dem näheren Umfeld und spielen schon zehn und zwanzig Jahre mit.", so van Essen weiter.
"Nächstenliebe ist der Geist der Weihnacht"
Man merkt allen Einwohnern von Deventer an, dass sie mit Spaß dabei sind. "Es ist eine tolle Gemeinschaft, die wir hier haben. Alle warten das ganze Jahr darauf, dass es das Festival wieder gibt. Es ist ein ganz großes Fest und die Gemeinschaft ist das Schönste an diesem Event. Nächstenliebe ist der Geist der Weihnacht.", so Adrie van Essen.
Die Kostüme sind originalgetreu und wurden teilweise schon vor 30 Jahren beim ersten "Dickens Festijn" verwendet. Die Liebe zum Detail wird überall deutlich: Schon von weitem hört man den Bestatter rufen "Macht Platz für den Toten Jakob." Schauspieler in schwarz gekleidet ziehen durch die Straßen, vorneweg der Sarg samt Bestatter.
Man begegnet vielen Charakteren. Bettler, Musiker, Pfarrer, Schornsteinfeger, Prostituierte, spielende Kinder und Räuber, Gaukler und Geschäftsleute, Fotografen und Kohlearbeiter kreuzen die Wege. Auch Oliver Twist und David Copperfield, fiktive Personen aus der Gedankenwelt von Charles Dickens, bekommen ihren Platz.
Die St. Nicholas-Kirche im Herzen der Altstadt zeigt einen ganz besonderen Gast: Charles Dickens selber liest seine Geschichten vor. Die "Bergkerk", wie die Kirche von den Einwohnern auch genannt wird, stellt den Kirchenraum für das Wochenende zur Verfügung. Im Inneren gibt es neben den Vorführungen auch religiöse Artikel zu kaufen. Krippenfiguren, Marienikonen, Rosenkränze und mehr wechseln den Besitzer.
Es ist eine bemerkenswerte Kulisse, die die Einwohner von Deventer jedes Jahr schaffen. Mehr als 100.000 Besucher kommen aus den Niederlanden sowie Deutschland und Belgien hierher. "Es ist einfach toll, dabei zu sein. So viel Detailliebe ist einfach wunderbar.", sagt Gerda Krönburg aus Gelsenkirchen. Sie hat, wie alle anderen auch, lange am Eingang warten müssen. Wartezeiten von mehr als 60 Minuten sind keine Seltenheit, der Zuspruch ist groß.
Das zeigt, dass die Veranstalter den Nerv getroffen haben und sich damit abheben von den typischen Weihnachtsmärkten.
"Weihnachten bekommt immer mehr Bedeutung in den Niederlanden"
Das kirchliche Leben in den Niederlanden ändert sich laut Adrie van Essen langsam, die Bedeutung von Weihnachten nimmt zu. "In den Niederlanden feiern wir Saint Nicholas am 6. Dezember. Das war vor 20 Jahren noch ein großes Fest. Das ändert sich aber im Moment, Weihnachten bekommt immer mehr Bedeutung in den Niederlanden. Die Geschenke werden auch nicht mehr nur noch am Nikolaustag verteilt sondern immer öfter an Weihnachten. Ich denke, es wird bald in den Niederlanden so sein, wie in Deutschland. Und auch die Kirchenbesuche an Weihnachten werden immer mehr."