Nigeria: Versehentlicher Angriff auf Flüchtlingslager

"Schockierender Vorfall"

Das nigerianische Militär kämpft im Nordosten gegen die Terrorgruppe Boko Haram. Nun hat ein Luftangriff versehentlich ein dicht besiedeltes Flüchtlingslager getroffen. Die Folgen sind fatal - dutzende Menschen wurden getötet.

Flüchtlinge in Nigeria bei Luftangriff getötet / © MEDECINS SANS FRONTIERES (dpa)
Flüchtlinge in Nigeria bei Luftangriff getötet / © MEDECINS SANS FRONTIERES ( dpa )

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef zeigte sich tief besorgt. Der Vorfall unterstreiche, wie wichtig es sei, Zivilisten in komplexen humanitären Notlagen zu schützen, erklärte der Leiter des Unicef-Notfallprogramms, Manuel Fontaine, am späten Dienstagabend. Die Organisation Human Rights Watch forderte am Mittwoch die nigerianische Regierung auf, eine schnelle, angemessene und wirksame Entschädigung für die Opfer und deren Familien bereitzustellen.

Bei dem gegen die islamistische Terrorgruppe Boko Haram gerichteten Luftangriff hatte die nigerianische Armee am Dienstagmorgen Dutzende Binnenflüchtlinge getötet. Das gab General Lucky Irabor, Leiter des Sonderkommandos Lafiya Dole, in der Provinzhauptstadt Maiduguri bekannt. Der Luftangriff ereignete sich in der Region Kala Balge im äußersten Nordosten des Bundesstaates Borno. Laut Irabor sollen sich dort Boko Haram-Mitglieder aufgehalten haben. Getötet wurden stattdessen jedoch mehrere Dutzend Zivilisten.

Rotes Kreuz: Auch Helfer getötet

Nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) wurden mindestens 52 Menschen getötet und  mehr als 120 Menschen verletzt. "Dieser große Angriff auf hilflose Menschen, die bereits vor extremer Gewalt geflohen sind, ist schockierend", erklärte ein führender Vertreter von Ärzte ohne Grenzen, Jean-Clément Cabrol. Nun müsse alles getan werden, um die schnellstmögliche Evakuierung der Verletzten zu garantieren, sei es aus der Luft oder am Boden. Teams von MSF im Tschad und in Kamerun stünden bereit, die Verletzten zu behandeln. Nigerias Präsident Muhammadu Buhari sprach den Familien der Opfer sein Beileid aus. Die Regierung werde den örtlichen Behörden bei der Bewältigung der Situation beistehen, wie er auf Twitter erklärte.

 

 

Das Rote Kreuz erklärte, sechs örtliche Mitarbeiter der Hilfsorganisation seien getötet und mindestens 13 weitere verletzt worden. Sie gehörten zu den Teams, die in dem Lager rund 25 000 Binnenflüchtlinge versorgen, wie die Organisation auf Twitter erklärte.

Es war zunächst unklar, ob die getöteten Rot-Kreuz-Mitarbeiter unter den 52 gemeldeten Toten waren.

Humanitäres Recht verletzt

Human Rights Watch betonte, dass das Flüchtlingslager unüberlegt bombardiert und damit internationales humanitäres Recht verletzt worden sei, selbst wenn es keinen Hinweis auf eine bewusste Attacke gebe. Unicef erklärte, es begrüße die Entscheidung der nigerianischen Regierung, zu untersuchen, wie es zu diesem "schockierenden Vorfall" habe kommen können.

In den vergangenen vier Wochen hatte die nigerianische Armee ihren Druck auf Boko Haram erhöht und regelmäßig über Erfolge im Antiterrorkampf berichtet. Im Nordosten Nigerias leben zugleich laut Internationaler Organisation für Migration (IOM) mehr als 1,7 Millionen Binnenflüchtlinge. In der Region Kala Balge sind es mehr als 35.000. Die Versorgung vor Ort gilt als besonders schlecht. Den IOM-Angaben zufolge kommen nur unregelmäßig Nahrungsmittellieferungen in der entlegenen Region an.

Menschen suchten in Rann Schutz vor Boko Haram

Die sunnitischen Fundamentalisten von Boko Haram haben seit 2009 bei Angriffen und Anschlägen im Nordosten Nigerias und angrenzenden Gebieten mindestens 14 000 Menschen getötet. Rund 2,7 Millionen Menschen sind UN-Angaben zufolge vor der Gewalt geflohen. Auch die Menschen im Lager Rann haben zum Großteil Schutz vor dem Terror der Boko Haram gesucht.

Die nigerianischen Streitkräfte haben Boko Haram seit vergangenem Jahr militärisch deutlich geschwächt. Die Extremisten kontrollieren nur noch ein kleineres Gebiet im Nordosten des Landes, aber sie führen immer wieder Anschläge aus. Die Versorgungslage in der Region ist katastrophal, besonders in vor Kurzem erst zugänglich gewordenen Gebieten. In der Region sind den Vereinten Nationen zufolge fünf Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, rund zwei Millionen von ihnen gelten bereits als mangelernährt.


Quelle:
KNA , dpa