Norbert Blüm befürwortet im domradio.de-Interview das Betreuungsgeld

"Achtung vor der Arbeit der Eltern"

Zankapfel Betreuungsgeld: Ab 01. August kommt die staatliche Unterstützung für Eltern, die ihre U-3-Kinder zuhause betreuen. Ein gutes Konzept, findet Bundearbeitsminister a.D., Norbert Blüm, und verteidigt die Idee im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Ich grüße Sie, Herr Blüm! Wer das Betreuungsgeld haben möchte, muss es beantragen. Das Land Thüringen zählt bislang aber keinen einzigen Antrag, Mecklenburg-Vorpommern kommt auf nur 44 Anträge. Auch in Rheinland-Pfalz kann von einem Ansturm keine Rede sein. Liegt das geringe Interesse ausschließlich daran, dass dort die SPD regiert bzw. mitregiert?
Norbert Blüm: Ich bin ja nicht der Vormund der Gesellschaft, das ist ein Angebot. Ich finde es richtig und es liegt in der Hand der Menschen, es zu nutzen oder nicht zu nutzen. Warum ich dafür bin? Aus zwei Gründen: Erstens kann ich nicht akzeptieren, dass nur Erwerbsarbeit Arbeit ist. Wieso ist Familienarbeit keine Arbeit? Wieso muss nicht auch die anerkannt werden?

Zweitens: Wenn ich noch nicht für das Betreuungsgeld gewesen wäre, dann wäre ich durch die Diskussion nun wirklich ein Anhänger geworden. So viel Arroganz ist mir noch nie - oder selten - begegnet. Da wird gesagt, das Betreuungsgeld sei ein Beitrag zur Entprofessionalisierung der Erziehung. Was entnehme ich aus diesem Satz? Aus diesem Satz entnehme ich: Mama und Papa sind Dilettanten, die verstehen nichts von ihren Kindern. Am besten ist es, das Kind in die Hände von Erziehungsprofis zu geben und perfekterweise schon gleich nach der Geburt, erst Kinderkrippe, dann Kita, dann Ganztagsschule - das ist die total beaufsichtigte Kindheit. Mein Ideal ist das nicht!

domradio.de: Sie haben sich erst kürzlich in einem Artikel der FAS dazu geäußert, dass die Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf das Ende der Freiheit sei. Es ist ein Plädoyer GEGEN die Erwerbstätigkeit der Mutter. Das ist ziemlich unpopulär im Jahr 2013…
Blüm: Also erst einmal habe ich mich noch nie an Popularität erinnert. Und das, was populär war, war auch nicht immer richtig. Und so plump habe ich das nicht gemeint, wie Sie es jetzt gerade zitiert haben …

domradio.de: Ich habe es ein bisschen verkürzt …
Blüm: … jaja, das war sehr verkürzt. Ich will das einmal richtig in meinem Sinne darstellen. Ich sagte: Die absolute Wahlfreiheit zwischen Berufsarbeit ist deshalb nicht gegeben, weil das Kind eine Einschränkung darstellt. Wer Kinder hat, ist immer eingeschränkt. Der kann nicht den gleichen Urlaub machen wie früher. Aber diese Einschränkung ist kein Verlust, sie ist auch Reichtum. Wir müssen einmal davon Abschied nehmen, als wäre derjenige, der die meisten Wahlmöglichkeiten hat, der freieste Mensch. Da wäre ja der Idiot der freieste Mensch, der rücksichtslose. Also: Freiheit besteht nicht nur in wählen können, sondern in Selbstverwirklichung. Und vielleicht ist ein Kind auch eine Form von Glück, in unsrer Familie war das jedenfalls so. Und ich habe etwas dagegen, wenn Kinder immer nur als Last gesehen werden. Sie sind ein Quell des Glücks, aber sie bedeuten - das gehört zur Wahrheit dazu, daran führt kein Weg vorbei – eine Einschränkung von Freiheit. Man hat nicht mehr die gleichen Freiheiten. Das kann man durch Teilzeit und Telearbeit und Kindergeld nicht einfach wegmachen. Das ist ein Teil unserer Konstitution. Und ich finde, das Wichtigste ist das Kind, nicht die Eltern.

domradio.de: Dass die SPD gegen das Betreuungsgeld ist, liegt in der Natur des Wahlkampfs. Das Modell führe uns zurück in die 50er Jahre, heißt es in der Kritik. Ob das so ist oder nicht, können Sie besser beurteilen als ein junger Mensch. Was ich aber weiß, ist, dass 100 bis 150 Euro für eine Mittelschicht-Familie nur ein Taschengeld ist. Wer soll sich denn Ihrer Meinung nach davon angesprochen fühlen?
Blüm: Gut, das ist ein Taschengeld. Wenn Sie mehr zahlen wollen, muss man das Geld erst einmal haben. Aber mir kommt es nicht nur auf die Höhe des Geldes an, sondern auch auf das Zeichen der Achtung vor der Arbeit, die Eltern für ihre Kinder erbringen, und auch die Achtung für diejenigen, die dafür ihre Berufsarbeit einschränken oder zurückstellen. Ich jedenfalls möchte nicht in einer Welt leben, in der nur die Erwerbsarbeit zählt.

Es gibt ein Gerichtsurteil des BGH, das besagt, dass eine Mutter ihr dreijähriges Kind in die Fremdbetreuung geben muss, weil sie sonst den Unterhalt verliert. Mit anderen Worten: Die geschiedene Mutter mit Kind muss genauso viel erwerbstätig werden wie der geschiedene Vater ohne Geld. Was schließlich aus diesem Urteil folgt, das Mutterarbeit, Kinder zu betreuen, oder überhaupt Elternarbeit keine Arbeit ist. Arbeit ist nur Erwerbsarbeit. Und da sehen Sie die ganzen Schizophrenien einer Gesellschaft, die die Arbeit in der Familie geringachtet.

domradio.de: Wenn wir auf die Sozialleistungen beim Erziehungsgeld zurückkommen, wenn es um familienpolitische Fragen geht, schauen wir gerne über den Tellerrand nach Skandinavien, dort gibt es nicht erst seit gestern schon Erfahrung mit dem Betreuungsgeld. Eine Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt, dass unter den Leistungsempfängern Frauen mit geringer Bildung, niedrigem Einkommen und Migrationshintergrund überrepräsentiert sind ‑ in allen skandinavischen Ländern. Dort plant man das Erziehungsgeld sogar wieder abzuschaffen, weil es einen sehr negativen Einfluss auf die Integration von Migranten habe. Das sei für Deutschland auch zu erwarten, heißt es. Können Sie das nachvollziehen?
Blüm: Das kann ich nicht nachvollziehen. Ich will die Studie nicht geringachten, aber ich will einmal sagen: Ich komme aus einer bildungsfernen Familie. Mein Vater war Autoschlosser, meine Mutter war Hausfrau. Die hätten beiden das Betreuungsgeld nicht als einen Schlag ins Gesicht betrachtet - und was heißt hier bildungsfern: Ich habe in meiner angeblich bildungsfernen Familie möglicherweise mehr Bildung gelernt als manche Kinder in einkommensstarken Familien.

Ich habe Anstand gelernt, Rücksichtnahme, ich habe Solidarität gelernt - alles ganz wichtige Tugenden. Und vielleicht organisieren wir die Gesellschaft nicht nur nach Untersuchungen von irgendwelchen klugen Leuten, sondern schaffen eine Gesellschaft, in der die Kirche im Dorf oder mit anderen Worten die Familie Familie bleiben kann und nicht alles "veröffentlicht" und alles verstaatlicht wird. Was ist das für eine Kindheit – keine Minute ohne professionelle Aufsicht. Selbst die Ferienzeit wird jetzt mit einem schulischen Angebot versehen. Was für eine wirklich traurige Kindheit!

Ich habe das Abenteuer Kindheit genossen, mein Kindheitsparadies war nicht die Schule, das waren die Freunde und Bekannten, das waren Mutter und Vater. Ich bin ja nicht gegen Schule und Kindergarten, alles als freies Angebot, aber lasst den Kindern noch ein Stückchen Freiheit und zwingt sie nicht schon nach der Geburt in die Kinderkrippe und später in die Ganztagsschule ‑ immer ein Profi über ihnen, der sie beaufsichtigt. Das finde ich eine traurige Kindheit.

 

(Das Interview führte Tobias Fricke.)


Norbert Blüm (dpa)
Norbert Blüm / ( dpa )