NRW-Integrationsminister widerspricht "Sarrazin-Vorurteilen"

"78 Prozent der Muslime mit geregeltem Einkommen"

Keine besondere Belastung der Gesellschaft in NRW erkennt Guntram Schneider, Landesminister für Arbeit, Integration und Soziales, in den muslimischen Mitbürgern. Dies werde auch nicht durch die jetzt im Auftrag seines Hauses erstellte Studie "Muslimisches Leben in Nordrhein-Westfalen" belegt, so Schneider im Interview.

 (DR)

KNA: 28 Prozent der muslimischen Haushalte beziehen laut Ihrer Studie Sozialtransferleistungen. Muslimische Migranten haben ein besonders niedriges Bildungsniveau und die Identifikation mit Deutschland fällt unter gläubigen Muslimen eher schwach aus. Ist nicht der traditionelle Islam mit seiner Abschottungstendenz gegenüber "Ungläubigen" das eigentliche Integrationsproblem oder warum sind so viele seiner Anhänger eine Belastung für die Gesellschaft?

Schneider: Ihre Unterstellung, dass muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger eine Belastung für die deutsche Gesellschaft seien, teile ich nicht. Erstens ist die von Ihnen zitierte Zahl der muslimischen Transferleistungsempfänger falsch und beruht auf einem redaktionellen Fehler der "Welt". Die Studie zeigt vielmehr, dass

78,4 Prozent der befragten Muslime in NRW über ein geregeltes Einkommen verfügen. Die Zahl der von Transferleistungen abhängigen Befragten dieser Stichprobe beläuft sich auf 21,6 Prozent und unterscheidet sich nicht wesentlich von den bundesweiten Zahlen

(19,9 Prozent).



Zweitens wird Ihre These von einem niedrigen Bildungsniveau in der Studie nicht belegt. Zum Beispiel liegt die Quote der muslimischen Schülerinnen und Schüler mit Fachhochschul- oder Hochschulzugangsberechtigung bei 40 Prozent - zu 28,5 Prozent im Bundesvergleich. Damit zeigt sich eine hohe Bildungsaspiration hier lebender Muslime. Drittens kann ich keine Abschottungstendenzen erkennen. 46 Prozent der Muslime sind deutsche Staatsbürger. Die Hälfte der Muslime ist in einem deutschen Verein organisiert.

Lediglich ein Prozent der Muslime möchte keinen Kontakt zu Deutschen haben.



KNA: Haben Sie auf Seiten der Muslime Ansprechpartner, die wirklich etwas bewirken können und wollen? Wie ist der Umgang mit den Islamverbänden, denen man oft vorwirft, sie wollten lediglich möglichst viel an islamischer Tradition in die Mehrheitsgesellschaft hinüberretten, ohne dafür echte Gegenleistungen zu erbringen?

Schneider: Insbesondere die Zusammenarbeit mit den Migrantenselbstorganisationen funktioniert hervorragend. Hier besteht ein fruchtbarer gegenseitiger Kontakt. Den von Ihnen zitierten Vorwurf werden Sie von mir nicht hören. Die vier großen Dachverbände haben sich vor vier Jahren zum Koordinationsrat der Muslime (KRM) zusammengeschlossen, um der staatlichen Seite möglichst sprachfähig gegenübertreten zu können. Darüber hinaus gibt es auch andere islamische Organisationen, mit denen die Landesregierung in Kontakt steht. Die islamische Szene ist heterogen. In den Reihen der Organisationen befinden sich inzwischen auch Vertreter jüngerer Generationen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind. Diese verstehen sich in erster Linie als deutsche Muslime und prägen den Dialog entsprechend erfolgreich.



KNA: Sind die Ergebnisse der Studie ein Beweis für eine verfehlte Einwanderungspolitik der letzten Jahrzehnte? Muss nicht vor allem der Familiennachzug gründlich überdacht werden?

Schneider: Richtig ist, dass man sich bei uns viel zu lange dagegen gesträubt hat, anzuerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Hier musste sicherlich vieles nachgeholt werden. Erst mit dem Zuwanderungsgesetz der Regierung Schröder 2005 wurde Integration überhaupt erst in verbindliche Bahnen gelenkt. Die Studie belegt meines Erachtens, dass wir tatsächlich Fortschritte machen konnten. Grundlage hierfür ist eine systematische und verbindliche Integrationspolitik. Auch deshalb möchte ich in NRW durch ein Integrationsgesetz diese erfolgreichen Ansätze nachhaltig strukturell verankern.



KNA: Welche neuen Konzepte bieten Sie Muslimen an? Welche Forderungen haben Sie an Muslime?

Schneider: Für die Landesregierung ist Integration keine "Einbahnstraße". Integration geht alle in unserer Gesellschaft etwas an. Sie beruht auf Gegenseitigkeit. Sowohl die hier lebenden Muslime als auch alle Nichtmuslime müssen ihren Beitrag dazu leisten.



KNA: Halten Sie ein Scheitern muslimischer Integration für denkbar, durch das es zu einem dauernden Gegensatz zwischen der nichtmuslimischen säkularen Gesellschaft und einem Großteil traditioneller Muslime kommen würde?

Schneider: Es geht nicht darum, einzelne Religionsgruppen zu integrieren. Sondern Integration bezieht sich auf alle Menschen unterschiedlicher Herkunft - egal welchen Glaubens. Und dabei gilt:

Grundlage für das Zusammenleben bei uns ist das Grundgesetz und unsere deutsche Rechtsordnung. Daran müssen sich alle halten.



Interview: Johannes Schönwälder